Tichys Einblick
0,0 Prozent BIP-Wachstum

Deutsche Wirtschaft im Abwärtstrend

Die deutsche Wirtschaft schrumpft weiter. Das Bruttoinlandsprodukt hat sich quartalsweise vorerst stabilisiert – aber andere Indikatoren zeigen einen weiteren Abwärtstrend an.

Das Statistische Bundesamt gab am Freitag bekannt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sich im zweiten Quartal dieses Jahres nicht weiter verschlechterte. Zum ersten Quartal soll das Wirtschaftswachstum 0,0 Prozent betragen. Verheerender ist der Vergleich mit dem Wirtschaftswachstum im Vergleich zum zweiten Quartal 2022. Hier liefert das Statistische Bundesamt (Destatis) ein bereinigtes Wachstum von -0,2 Prozent. Die tatsächliche Änderung ist sogar noch größer, -0,6 Prozent, wird aber, so Destatis, durch Kalendereffekte wie bewegliche Feiertage und die Zahl der Sonntage im Quartal verzerrt.

Gleichzeitig revidierte Destatis seine Meldung der BIP-Veränderungen seit 2019. Die bisherigen Ergebnisse wurden unter Einbezug neuer statistischer Daten korrigiert. Diese Daten deuten an, dass die Wirtschaft 2020 etwas stärker schrumpfte als ursprünglich gemeldet – und die Erholung 2021 soll dafür ungleich stärker gewesen sein. Statt um 2,6 Prozent wuchs das BIP in diesem Zeitraum um 3,1 Prozent.

Doch das ist nur ein Teil der Wirtschaftsentwicklung. Die BIP-Berechnung ist eine Rückschau; vorausschauende Indikatoren sind mehrheitlich negativ.

So meldete das Ifo-Institut, dass der Geschäftsklimaindex im Juli im dritten Monat in Folge sank. Der Ifo-Index befragt Unternehmen nach ihrer Einschätzung der jetzigen Lage und der Erwartung der zukünftigen Geschäftslage. Die Firmen sind pessimistisch; dem Indikator nach ist die Wirtschaft geradezu in einer Depression. Seit Anfang 2019 ist das Geschäftsklima fast konstant unter dem Wert von 2015, den das Ifo-Institut als Referenzwert nutzt. Immer mehr Unternehmen schätzen die aktuelle und zukünftige Lage als schlecht ein.

Inflation wird weiter hoch bleiben

Die Inflation ist weiterhin hoch. Sie lag im Juni 2023 bei 6,4 Prozent. Import- und Großhandelspreise zeigen zwar eine negative Entwicklung an. Die Importpreise sanken sogar um 9,1 Prozent. Doch die massiv gestiegenen Preise Mitte 2022 – um gut 30 Prozent – sind damit noch nicht wettgemacht. Die Erzeugerpreise stiegen hingegen in Deutschland weiter leicht an, um 0,1 Prozent.

Damit die Preise sich aber stabilisieren, müsste ein Preisanstieg 2022 durch einen größeren Preisfall 2023 kompensiert werden. Da das nicht passiert ist, ist das Preisniveau nach wie vor höher als noch 2021 – und die hinterherhinkenden Verbraucherpreise müssen weiter steigen. Die Inflation wird also auch noch weiterhin den Wohlstand der Bürger auffressen. Auch wenn die Geschwindigkeit des Fraßes sich verlangsamt.

Auch kann die Inflation in den kommenden Monaten einen neuen Schub erwarten. Denn die Bundesregierung hat beschlossen, die LKW-Maut massiv zu erhöhen. Dieser Transportkostenanstieg wird ebenfalls unweigerlich an die Kunden weitergegeben werden müssen. Ab Dezember wird pro freigegebene Tonne CO2 200,- Euro Mautaufschlag fällig. Damit steigt die Maut um 83 Prozent. Die Maut war bisher außerdem erst ab 7,5 Tonnen Gesamtgewicht des LKW fällig. Ab Juli 2024 soll sie dann für alle Nutzfahrzeuge über 3,5 Tonnen Gesamtgewicht fällig werden. Ausnahmen gibt es ausschließlich für Handwerker.

Positiv hingegen entwickelt sich das Konsumklima. Die Bürger sind wieder williger, Geld auszugeben. Doch: Der Index liegt weiterhin unter dem „Normalwert“. Die im Geschäftsklima erwähnte schlechte Stimmung kam hier erst im Frühjahr 2020 an. Doch auch das Konsumklima ist seitdem fast konstant schlecht. Es hat sich nun „verbessert“, gegenüber den Werten im August letzten Jahres. Als die Inflationsrate besonders hoch war. Die Bürger konsumieren weniger als vor den Corona- und Gaskrisenjahren.

Arbeitslosigkeit steigt, weniger offene Stellen

Die Arbeitslosigkeit steigt seit April 2022 immer weiter und hat nun 5,7 Prozent erreicht. Es ist eine Erholung im Vergleich zum Lockdownjahr 2020 – aber nach wie vor sind 330.000 Arbeitslose mehr gemeldet als 2019. Auch die gemeldeten offenen Stellen sind seit Mai 2022 rückläufig.

Auch andere, von Destatis gesammelte, Wirtschaftsdaten zeigen einen Beschäftigungseinbruch an. Das Job-Portal Indeed konnte seit 2020 einen massiven Anstieg an Stellenausschreibungen melden – dieser Anstieg korreliert aber auch mit den steigenden Nutzerzahlen in dieser Zeit, wie er vom Statistikdienst Statista gemeldet wurde. Die Nutzerzahlen sind seit 2022 um die 600 Millionen Besuche geschwankt – die offenen Stellenausschreibungen sind in Deutschland aber seit Anfang des Jahres stark rückläufig. Konkurrent LinkedIn meldet gleichzeitig einen massiven Einbruch in der selbst herausgegebenen „LinkedIN Hiring Rate“. Seit Mitte 2022 werden deutlich weniger Neuanstellungen verzeichnet, als der langfristige Trend als normal einschätzt.

Prophezeiungen sind bekanntlich trügerisch. Zukunftsindikatoren sind noch-nicht-realisierte Erwartungen. Doch Zukunftserwartungen formen heutige Entscheidungen. Wer Angst vor einer schlechten Wirtschaftslage hat, baut kein neues Werk; der Bauunternehmer geht leer aus und die Bäckerei kann den Handwerkern keine Mittagspause verkaufen. Dasselbe gilt für Jobs, die nicht neu besetzt werden: Es ist Wirtschaftskraft, die in der Zukunft verloren geht, wegen der Entscheidungen im Jetzt, die von den Erwartungen der Zukunft beeinflusst werden. Der Wohlstand des Landes, das BIP, folgt all diesen Entscheidungen nach. Und für die Zukunft sieht es nicht gut aus. 

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