Tichys Einblick
Das Auto wird bleiben

Deutsche Verkehrspolitik: Umverteilung von Arm nach Grün

Allen politischen Beschwörungen zum Trotz kaufen die Deutschen immer mehr Autos statt weniger. Von der Öffentlichkeit kaum zur Kenntnis genommen, sorgt die neue deutsche Verkehrspolitik für eine breite Umverteilung von Arm nach Grün. Das dürfte Sozialdemokraten eigentlich nicht gefallen.

Rushhour in Berlin, 04.01.2022

IMAGO / photothek

Das Automobil hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Die grüne Verkehrspolitik hat sie noch vor sich! Und sie dürfte nicht für alle Beteiligten erfreulich werden.

Zunächst zum Automobil. Vor hundert Jahren wurde das Automobil als Game Changer und Retter vor dem stinkenden Pferdemist und -urin auf den Straßen bejubelt und gefeiert, heute wird es als Klimaschädling verteufelt. Dazwischen liegen gerade mal 100 Jahre einer Erfolgsstory ohne Gleichen!

Gerade in den jüngsten Jahren hatte es der Wohlstandslieferant Automobilindustrie besonders schwer. Erst kam der Dieselskandal, bei dem alle Autohersteller und ihre fahrbaren Untersätze in den Generalverdacht der Abgasschummelei gerieten. Wie sich später dann herausstellte, die meisten zu recht, aber eben nicht alle. 

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Und nicht zuletzt brach die Klimaschutzpolitik über das Auto herein. Als der Klimawandel immer deutlicher wurde und als Hauptverursacher der weltweite Anstieg des CO2-Ausstoßes ausgemacht war, geriet das Automobil voll in die Schusslinie. Wegen des Verbrennens von Benzin und Diesel und der dabei entstehenden CO2- und NOX-Abgase wurde das Automobil wie vor hundertfünfzig Jahren das Pferd in der Öffentlichkeit als Hauptverursacher gebrandmarkt und verteufelt. Plötzlich war die Elektromobilität als Retterin vor der Klimakatastrophe angesagt. Weg mit dem Verbrennermotor, rein in das Elektroauto, folgend der grünen Logik: CO2 frei und klimafreundlich fährt nur der, bei dem kein Abgas aus dem Auspuff kommt. Die deutsche Umweltpolitik und die Öffentlichkeit schlossen sich dieser Meinung an. Übersehen wurde dabei geflissentlich, dass der Strom für den Elektroantrieb nachhaltig, und nicht aus Kohle hergestellt werden darf. Und nach deutscher Auslegung auch nicht aus Kernkraftwerken kommen darf.

Car-bashing kam in Mode. Kein Wunder, denn hinzu kommen die Ärgernisse mit den täglichen Verkehrsstaus in den städtischen Ballungsgebieten und auf den Autobahnen. Alle Verkehrsübel wurden natürlich dem Verkehrsmittel Automobil, nicht deren Nutzer angelastet. Denn: Die Hölle sind bekanntlich immer die Anderen! Gerade in einer offenen und mobilen Gesellschaft stören immer die Autos der anderen, nie das eigene.

Als Folge predigte die Politik den Umstieg, erst aus dem Verbrennerauto in das Elektroauto, dann den Ausstieg aus dem Auto generell auf das Fahrrad oder in öffentliche Verkehrsmittel jeglicher Machart. Die eigentliche politische Zielsetzung dieser klimaaktiven, grünen Denkungsart war dabei eindeutig: Beschränkung der privaten Autonutzung, raus mit dem Auto aus den Innenstädten, hin zu weniger Autos. Hinter verschlossenen politischen Türen war man sich einig, dass der Automobilbestand – in Deutschland heute 48 Millionen – nicht weiter wachsen solle, sondern verringert werden müsse. Und dass die Zahl der Elektroautos auf mindestens 10 Millionen steigen müsse. 

Der Plan der neuen Bundesregierung geht klar in diese Richtung, wenn auch nicht so klar ausgesprochen: „ Ein zentraler Pfeiler unserer Klimapolitik ist die Verkehrswende“, so Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner ersten Regierungserklärung. Mobilität müsse klimafreundlicher werden, der Schwerpunkt werde auf dem Ausbau der Schiene liegen. 

Soviel zur Vorgeschichte. Doch da hat die Politik die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Der heißt privater Autofahrer. Allen politischen Beschwörungen zum Trotz kaufen die Deutschen, Corona hin oder her,  immer mehr Autos statt weniger. Der Bestand der zugelassenen Pkw in Deutschland stieg selbst in der Pandemiekrise weiter an. So waren am 1. Oktober 2021 laut Kraftfahrzeug Bundesamt (KBA) 48,648 Millionen Pkw zugelassen, rd. 400.000 Autos mehr als zu Jahresbeginn.

Soviel Autos gab es in Deutschland noch nie, ein neues Allzeithoch, das genaue Gegenteil von einer Abkehr. Damit kommen rund 580 Autos auf 1000 Bundesbürger, d.h. die gesamte deutsche Bevölkerung vom Kleinkind bis zum Greis kann locker auf den Vordersitzen der deutschen Pkw-Flotte Platz finden. Zum Vergleich: Der Spitzenreiter USA (846 Autos je 1000 Einwohner) ist noch weit voraus, und aufgrund einer anderen Geographie wohl unerreichbar. 

Sieg der Vernunft in Wolfsburg
Wie VW sich still von der reinen Elektrostrategie verabschiedet
Nicht nur dieser ungebremst wachsende Automobilbestand steht in direktem Widerspruch zu den grünen Verkehrs- und Klimazielen der Bundesregierung. Handelt es sich bei diesem Altbestand doch in großer Mehrheit um Verbrennerfahrzeuge. Per Stand 1. Juni 2021 sind darin lediglich 1 Million Elektroautos enthalten, und davon sind 494.000 als Plug-In-Hybrid (PHEV) unterwegs, können also bis dato im Idealfall lediglich 50 Kilometer weit rein elektrisch mit Batterie gefahren werden. Am Verbrenner hängt´s, zum Verbrenner drängt´s.

Immerhin sehen die Klimaziele der Bundesregierung vor, den Bestand an Elektroautos bis Anfang der 30iger auf 10 Millionen hochzutreiben. Die Kaufprämien für E-Fahrzeuge, die ursprünglich Ende 2021 auslaufen sollte, wurde zunächst bis Ende 2022 verlängert. Anschließend erfolgt Neufassung. Kosten bisher rund vier Milliarden Euro jährlich. Ohne Kaufsubventionen wollen die Masse der Kunden offensichtlich keine Elektrofahrzeuge erwerben, es sei denn man zählt zur Gruppe der begüterten Hedonisten.  

Ein wachsender Bestand an Verbrennerautos generell, vor allem aber auch in den Städten – nach Meldung der SZ sind zum Beispiel allein in München seit Jahresbeginn 2021 netto rund 24 000 Neuwagen zum Altbestand von 720 000 hinzugekommen – ist das Gegenteil von dem, was die Klimapolitik der Bundesregierung will. 

Eine Umkehr in der Wertschätzung des eigenen Automobils ist nicht in Sicht. Alle Ablösungsmodelle aus der Wirtschaft wie Car-Sharing, Mietwagen oder E-Bikes waren Flops. Das eigene Auto ist und bleibt des Deutschen liebstes Kind. Und gerade die Pandemie und das Ansteckungsrisiko im Gedränge des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs hat die Liebe der Autofahrer zum Besitz eines eigenen Autos weiter belebt. Hinzu kommt die Explosion der Immobilien- und Mietpreise in den Ballungszentren, die die Werktätigen in die Speckgürtel der Städte und notgedrungen in die Pendlermobilität treiben. Die Tätigkeit im Homeoffice schaffte zwar Erleichterung, ist aber keine Lösung für industrielle oder personenbezogene Tätigkeiten. Und in der Fläche blieb das Automobil ohnehin unersetzlich. 

All das muss bei den grünen Klimaaktivisten zu der Erkenntnis führen, dass man gegen den Wählerwillen in einem demokratisch und marktwirtschaftlich verfassten System keine Abkehr vom eigenen Verbrenner-Automobil erzwingen kann. Auch nicht durch Verbote oder Vermiesen über Marterinstrumente wie eine Treibstoffpeitsche via Mineralölsteuer etc. Soll der Verkehr CO2 ärmer und damit klimaverträglicher umgestaltet werden, müssen die Autos, insbesondere der Altbestand künftig einfach mit nicht fossilem, CO2- armen Treibstoff klimaneutral betrieben werden. Für den Ersatz durch Elektroautos fehlt es an privater Kaufbereitschaft wie an „grünem“ Strom. Stattdessen hat Deutschland in den nächsten Jahrzehnten vor allem mit der Vermeidung von Black-outs durch den Ausstieg aus dem „dreckigen“ Strom und dem Mangel an „sauberem“ Strom zu kämpfen. Elektroautos sind daher absehbar nicht die Lösung des Klimaproblems. 

Doch auch der sozialdemokratische Regierungspartner wird seine umwelt- und verkehrspolitische Position überdenken müssen. Dafür sorgt das Ergebnis einer Studie der Deutschen Bank, die in der Öffentlichkeit wie das Pkw-Bestandswachstum im Wahlkampfgetöse ebenfalls kaum zur Kenntnis genommen worden ist. Die Studie kommt  zu dem Ergebnis, dass Elektromobilität nach deutscher Machart schlichtweg eine Umverteilung von Arm nach Grün ist: „Generell nehmen derzeit Personen mit einem höheren Einkommen die staatlichen Fördermaßnahmen stärker in Anspruch als Personen mit einem niedrigeren Einkommen. Häufig sind Elektroautos Zweitwagen in einem Haushalt und/oder sie werden als Firmenwagen genutzt. Dagegen finanzieren alle Steuerzahler gemäß ihrer jeweiligen Leistungsfähigkeit die Fördermaßnahmen und den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Diese Kosten dürften Geringverdiener mit eigenem Auto – gemessen an ihrem Einkommen – überproportional zu tragen haben, denn bei ihnen fällt der Anteil der Kraftstoffkosten am gesamten verfügbaren Einkommen in der Regel höher aus als bei Haushalten mit hohem Einkommen. Zumeist gibt es für Geringverdiener auch keine Möglichkeit, einen Firmenwagen zu nutzen“

Die Elektroauto-Subventionen kommen also vor allem Gutverdienern zugute, müssen aber auch und vor allem von Gering- und Durchschnittsverdienern bezahlt werden. Klug handelt also der, der sich möglichst rasch noch ein Elektroauto zulegt, solange die Steuerzahler ihm noch eine Kaufprämie zahlen. 

Alles in allem gibt es also reichlich Gründe für die neue Bundesregierung, die bisherige Verkehrspolitik zu überdenken – nicht nur aber erst recht für die sozialdemokratische Partei des Bundeskanzlers, falls es ihr mit dem Anliegen sozialer Gerechtigkeit ernst sein sollte.

Anzeige