Tichys Einblick
„Central Bank Digital Currency“

Der Digital-Euro kommt – und könnte das Finanzsystem umwälzen

Die EZB startet mit ihrer elektronischen Währung. Über Risiken redet sie wenig. Im Rat der Zentralbank gibt es allerdings einen wichtigen Skeptiker.

Fotomontage

IMAGO / Christian Ohde

Die Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) verkündete, „einen Gang höher zu schalten und das Projekt des digitalen Euro zu starten“, so Präsidentin Christine Lagarde an diesem Mittwoch. Damit beendet die EZB eine erste Testphase, die schon im Herbst 2020 begann, und unternimmt den ersten konkreten Schritt zur Einführung ihrer „Central Bank Digital Currency“ (DBDC), der zwei Jahre in Anspruch nehmen soll. Bis Bürger tatsächlich die rein elektronische Zentralbankwährung in ihren digitalen Börsen speichern können, würde es nach den Worten von EZB-Direktoriumsmitglied Fabio Panetta noch etwas länger dauern. Frühestens 2026 soll der digitale Euro also in Umlauf kommen – und laut Panetta und Lagarde das Bargeld auch nicht verdrängen, sondern nur ergänzen.

Trotzdem dürfte ein Digital-Euro das Finanzsystem tiefgreifend verändern. Die Umwälzung vollzieht sich gerade weltweit. Auch andere Zentralbanken arbeiten an der Entwicklung eigener DBDCs. Chinas Zentralbank führte seinen digitalen Yuan schon im Mai 2020 in vier ausgewählten Städten ein, Shenzhen, Suzhou, Xiong’an und Chengdu. In Shenzhen und Suzouh überwies die Staatsbank  zufällig ausgewählten Bürgern 200 Yuan in eine digitale Börse, üblicherweise installiert im Mobiltelefon. Die Digital-Pioniere können das Geld in einigen Läden ausgeben, die an dem Großversuch teilnehmen. 

Als wichtigster Antreiber der digitalen Staatswährungen gelten die Kryptowährungen – von Rechnern dezentral geschöpfte Zahlungseinheiten wie Bitcoin und Etherum. Staaten und ihre Zentralbanken wollen verhindern, dass diese privat geschaffenen Währungen  die Bedeutung von Euro, Yuan, Dollar und Yen ernsthaft gefährden. 

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Mit dem neuen Digitalgeld kündigt sich deshalb eine grundlegende Umwälzung an, weil es das Finanzsystem an einer entscheidenden Stelle verändert. Bisher steht es weltweit auf zwei Säulen: Dem Zentralbankgeld, das die Währungshüter der EZB, der Fed oder der Bank of Japan in Umlauf bringen. Und dem so genannten Giralgeld, das die Geschäftsbanken durch Kreditvergabe schöpfen. Wenn eine Bank ein Darlehen ausreicht, leiht sie nicht ihrem Kunden A Geld aus dem Guthaben von Kunden B. Sondern sie schöpft die Summe, die sie dem Kreditkonto gutschreibt. Möglich ist die Schaffung von Geld dadurch, dass die Zentralbank die Geschäftsbanken gegen die Hinterlegung von Wertpapieren mit Geld versorgen. Bürger können Zentralbankgeld bisher also nur in Form von Scheinen und Münzen halten, Bankguthaben aber ausnahmslos als Giralgeld. Das würde sich jetzt durchgreifend ändern: Der digitale Euro wäre Zentralbankgeld, also Geld aus der unmittelbaren Quelle der Währung, das Normalbürger dann in ihrer elektronischen Brieftasche aufbewahren. Genau darin, so wirbt Lagarde, soll auch der Vorteil der Digitalwährung liegen: „Mit unserer Arbeit wollen wir sicherstellen, dass Bürger und Unternehmen auch im digitalen Zeitalter Zugang zur sichersten Form des Geldes, dem Zentralbankgeld, haben.“ 

Die Guthaben sollen nach der bisherigen Planung nur maximal 3000 Euro betragen – alles, was darüber liegt, würde dann weiter auf dem klassischen Girokonto liegen. Die Digital-Euro wären als Zentralbankgeld vor Verlust geschützt. Die 3000-Euro-Grenze ist niedrig gesetzt. Sollte sie sich allerdings später erhöhen, würden Banken mehr und mehr aus ihrem klassischen Geschäft gedrängt, nämlich der Kreditvergabe. Ihre Mittlerrolle zwischen Zentralbank und Kunde würde dann allmählich überflüssig. 

Wichtiger als die Sicherheit – die ja schon durch die Einlagensicherung bis zu deutlich höheren Beträgen garantiert – dürfte für viele Bürger die Frage nach dem Schutz ihrer Zahlungsdaten sein. Denn eine Digitalwährung lässt sich problemlos mit der Blockchain-Technologie verbinden, die in einer praktisch unendlichen Dokumentationskette alle Transaktionen festhält, die mit dem elektronischen Zahlmittel vorgenommen werden. Jeder Geldfluss ließe sich also nachverfolgen. Mehrere Medien schrieben am Mittwoch, eine Verbindung zwischen Digital-Euro und Blockchain sei nicht vorgesehen. Beim „Handelsblatt“ hieß es:  „Bislang deutet sich an, dass die EZB den digitalen Euro zunächst für Endnutzer umsetzen will. Er würde wahrscheinlich nicht auf der Blockchain-Technologie basieren… Die EZB hat erklärt, dass sie den starken Wunsch in der Bevölkerung nach Datenschutz berücksichtigen will.“ Auch die FAZ meint: „So tendiert die EZB dazu, keine Blockchain zu verwenden, wie sie bei Bitcoin im Einsatz ist.“  

Allerdings beschreibt ein englischsprachiger Bericht auf der Webseite der EZB über die erste Versuchsstufe der Zentralbank mit dem digitalen Euro ab September 2020 das Experiment anders – nämlich ausdrücklich als Test unter Einbeziehung der Blockchain-Technologie. „The experimental set-up simulated an end-to-end digital euro proposal that implemented a solution covering the issuance of digital euro in the form of electronic bills by the central bank and a payment infrastructure based on a new blockchain technology.“  

Wie die EZB das Inflationsziel aufweicht – und damit den Euro
Im EZB-Rat drängten vor allem die Franzosen auf eine rasche Einführung des digitalen Euros mit dem Argument, die Eurozone käme sonst gegenüber Kryptowährungen wie Bitcoin oder dem digitalen Yuan zu spät. Im EZB-Führungsgremium gibt es allerdings auch einen Skeptiker: Bundesbank-Präsident Jens Weidmann. Er stellte die Frage, ob Notenbank tatsächlich privat geschaffene Digitalwährungen ersticken sollten. Offenbar zweifelt er auch daran, ob eine Verdrängung der Geschäftsbanken aus ihrer alten Rolle und eine Machtkonzentration in Hand von Staatsbanken tatsächlich zu der klassischen Marktwirtschaft passt – oder ob sie nicht eher für ein hybrides System à la China stehen würde. Außerdem würde der digitale Euro natürlich die ohnehin extrem ausgeweiteten Zentralbankbilanzen noch weiter aufpumpen – selbst bei einem vorläufigen Limit von 3000 Euro pro Bürger.

Anders als die EZB geht die Bundesbank deshalb auch auf Risiken des Digital-Euro ein. In ihrem Monatsbericht vom April 2021 heißt es: 

„Digitales Zentralbankgeld bietet Chancen, birgt jedoch auch Risiken. Grundsätzlich könnte eine weitgehende Substitution von Geschäftsbankengeld durch CBDC Auswirkungen auf die Geldpolitik und die Finanzstabilität haben und zu einem Bedeutungsverlust von Banken als Intermediäre im Finanzsystem führen. Nicht zuletzt könnten sich die Anteile der privaten und öffentlichen Zahlungsverkehrsaktivität stark zulasten des Privatsektors verschieben, mit negativen Konsequenzen für Innovationen und erhöhten finanziellen Risiken infolge einer verlängerten Zentralbankbilanz.“ 

Die Bundesbank betont auch: der Schutz ihrer Zahlungsdaten vor einem staatlichen Zugriff sei gerade den Deutschen sehr wichtig. 

An der Einführung des digitalen Euro werden die Warnungen allerdings nichts mehr ändern. 

Anzeige