Tichys Einblick
In China willkommen

Bayer und das Ende der Chemie in Deutschland

Während des Glyphosat-Getöses lief eine andere große Übernahme auf dem Agrarchemie-Sektor. Der Staatskonzern Chem China übernahm den schweizerischen Agrarchemie-Konzern Syngenta.

Werner Baumann, Vorstandsvorsitzender Bayer AG

imago images / Sven Simon

Das gab es nur sehr selten: Der Vorstand eines DAX-Konzernes wird auf der Hauptversammlung nicht entlastet. Die Aktionäre verweigerten dem Bayer-Vorstandschef Werner Baumann die Gefolgschaft. 55,52 Prozent der anwesenden Anteilseigner stimmten gegen die Entlastung.

Gründe sind der Aktienkurs, der immer tiefer in den Keller fällt, und die Klagewelle, die NGOs in Amerika wegen angeblicher Gesundheitsgefahren von Glyphosat angezettelt haben. Was das bedeutet, wird sich in den nächsten Tagen herausstellen. Mit Sicherheit wird die Aktie weiter in den Keller stürzen. Wenn jetzt Baumann nicht entlastet wurde, so habe das keine rechtlichen, unmittelbaren Folgen, meinte Christoph Schalast, Professor an der Frankfurt School of Finance & Management, im Deutschlandfunk. Aber: »Ich kann mir kaum vorstellen, dass ein Aufsichtsrat einen Vorstand nicht entlässt, der von der Hauptversammlung nicht entlastet wurde. Ich glaube, das folgt automatisch. Entweder man tritt zurück, weil man kein Vertrauen mehr hat von der Mehrheit. Oder aber man muss in Kauf nehmen, dass der Aufsichtsrat einen ablöst.«

»Der Schritt, Monsanto zu kaufen war richtig.« Bayer-Chef Werner Baumann kam in seiner Rede schnell zur Sache und betonte auf der Hauptversammlung in Bonn, der Vorstand habe pflichtgemäß gehandelt und den Kauf vorher sehr sorgfältig geprüft. Er verwies darauf, dass Zulassungs- und Regulierungsbehörden Produkte wissenschaftlich prüfen. Die Behörden haben weltweit Glyphosat zugelassen und diese Zulassung immer wieder verlängert – und das über Jahrzehnte hinweg. Glyphosat ist also sicher.

Harte Zeiten für den Vorstandsvorsitzenden von Deutschlands größtem Chemieunternehmen. Er mußte auf der turbulenten Hauptversammlung den Deal verteidigen, der dem Unternehmen gewaltige Kursverluste in Höhe von 40 Prozent eingebracht hat. Von daher kein guter Deal.

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Doch ausgerechnet Monsanto hat sich als ein wesentlicher Faktor zum gestiegenen Konzernergebnis erwiesen. Das durch Monsanto gestärkte Agrochemiegeschäft trägt mehr als die Hälfte zum Konzernumsatz bei. Mit Monsanto ist Bayer zum weltweit führenden Unternehmen im Agrarbereich geworden. Der Grund passt den vielen NGOs nicht: Glyphosat verkauft sich hervorragend. Es ist das einzige wirksame Unkrautvernichtungsmittel, das Landwirten zur Verfügung steht. Ein anderes gibt es trotz 30- jähriger Forschung noch immer nicht. Die Patente sind ausgelaufen, mehr als 70 Unternehmen produzieren Unkrautvernichtungsmittel auf Basis von Glyphosat.

In den asiatischen und amerikanischen Ländern gibt es keine Aufstände wegen angeblicher Krebsgefahren. Dort wollen die Bauern ihre Ernte nicht durch Unkraut gefährden lassen und benutzen diese Mittel.

Draußen vor der Tür zur Hauptversammlung: Demonstranten aller möglichen Gruppen von Imkern, deren Bienen angeblich durch Glyphosat verendet sind, bis hin zu Umweltaktivisten. Es genügt heute die Behauptung, »Chemie« mache alles kaputt, und Medien zollen begeistert Beifall. Viele der jungen demonstrierenden Frauen sieht man mit dick rot geschminkten Lippen; der Lippenstift enthält oft halt auch mal böse Chemierohstoffe, wahrscheinlich auch von Bayer.

Doch kann sich ein weltweit führender Chemiekonzern von Protesten und Kampagnen leiten lassen oder nicht doch eher von Wissenschaft und Technik, von dem also, was ihn in den vergangenen 150 Jahren groß gemacht hat?

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Es geht auch um einen Industriekrieg, der mit härtesten Bandagen geführt wird. Ein Kampf, der mit voller Wucht tobt und auch von finanzstarken NGOs geführt wird. Hinter denen wiederum stehen ideologiegetränkte Firmen, die zum Beispiel Bioprodukte verkaufen wollen und Impfungen, Gentechnik und Chemotherapie ablehnen, über ihre Alternativmedizin viele Millionen Dollar verdienen. Sie sehen häufig auch Chemtrails als wahr an.

Da kommt ein Pflanzenschutzmittel wie Glyphosat als Hebel im Kampf um die Vorherrschaft gerade recht. Das wird zwar seit 40 Jahren weltweit erfolgreich angewendet. Von Gesundheitsgefahren ist in all den Jahren nichts bekannt. Doch es lässt Unkräuter verderben, also Leben, warum nicht auch menschliches Leben, so die bange Frage? Eine Steilvorlage für NGOs, um eine Gefahr für alles Leben zu konstruieren. Einem unwissenden Publikum kann man vieles auftischen.

Woher kommen Aussagen über die Gefährlichkeit von Glyphosat? Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sagt das ausdrücklich nicht. Doch deren Unterorganisation IARC, die internationale Agentur für Krebsforschung in Lyon, hat das Mittel in die Kategorie 2a eingestuft. Das bedeutet: Die Substanz ist grundsätzlich in der Lage, Krebs zu erzeugen. Rindfleisch, Lammfleisch und Ziegenfleisch befinden sich auch in dieser Kategorie. Von jedem Produkt gehen theoretisch beliebig viele Gefahren aus. Wie beim Salz. Zu viel davon kann auch tödlich sein. Der Friseurberuf gilt ebenfalls als »wahrscheinlich krebserregend«.

Das Vorgehen der IARC führt in die Irre. Doch erst die I-ARC-Einschätzung hat das Fass richtig ins Rollen gebracht und die Grundlage für den Aktionismus von NGOs geliefert.

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Baumann versuchte auf der Hauptversammlung, den Ablauf darzustellen. »Auf diese Anwürfe der IARC haben große Regulierungsbehörden reagiert und Glyphosat-Zulassungen nochmals gründlich untersucht. Kanada hat zusätzlich 20 Wissenschaftler, die bislang nicht in den Glyphosat-Komplex eingebunden waren, eigens beauftragt neu und unabhängig zu prüfen. Diese Wissenschaftler hatten auch zu allen internen Dokumenten Zugang.«

Baumann: „Die haben jeden Stein umgedreht«. Im Januar 2019 veröffentlichte das kanadische Gesundheitsministerium das Ergebnis: kein Krebsrisiko durch Glyphosat.
Baumann: »Deutlicher geht es nicht.« Er gab zu, Bayer habe sich zu sehr auf wissenschaftlich begründete Fakten konzentriert, »aber Emotionen und Gefühle nicht ausreichend berücksichtigt«.

Zu hohes Prozessrisiko und Reputationsverluste waren seinerzeit die Argumente gegen einen Kauf von Monsanto von Baumanns Vorgänger im Amt, Marijn Dekkers. Er und seine Truppe fürchteten eine heftige Klagewelle. Deutsche Unternehmen haben oft nicht viel Glück, wenn sie sich in den USA einkaufen.

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage nach der Handlungsfähigkeit von Unternehmen, die von zweifelhaften, häufig von der Konkurrenz befeuerten NGOs unter Druck gesetzt werden – neuerdings auch mit Kindergruppen. Die Autoindustrie spürt das seit einiger Zeit sehr heftig am eigenen Leib. Tatsachen zählen nicht, weinende Kinderaugen mit Panik in der Stimme umso mehr. Keine Grundlage für moderne Industriegesellschaften.

Baumann betonte: »Unsere Geschäfte sind darauf ausgerichtet, zur weltweiten Ernährung mit ausreichenden und hochwertigen Lebensmitteln beizutragen und gleichzeitig das Leben der Menschen mit neuen Medikamenten zu verbessern oder sogar an der möglichen Heilung chronischer Krankheiten mitzuwirken.«

Für die Bewertung und Zulassung von Produkten aber sei nur Basis von Wissenschaft, nicht von Meinungen und Emotionen maßgebend. Dafür erhielt er Beifall aus dem Publikum. Zugleich werde, so Baumann, das Vertrauen in die Wissenschaft gesellschaftlich ausgehöhlt und unterminiert.

Die Erfolge in anderen Erdteilen, in denen weniger Hysterie, sondern eher Hunger herrscht, sind dagegen beachtlich. Zusammen mit Monsanto bietet Bayer Landwirten Hightech in Sachen digitaler Landwirtschaft an. Auf diesem Feld hat Monsanto viel Know how mitgebracht. Der Landwirt kann heute viel mehr und bessere Informationen über Boden und Pflanzen erhalten als bisher.

Lebensferne Öko-Lobby
Lobbyistenfantasien statt Fakten
Baumann: »Jeder Landwirt trifft jedes Jahr auf seinen Feldern etwa 40 wegweisende Entscheidungen – von der Fruchtfolge über die Auswahl des Saatguts bis zum Dünger. Dank der digitalen Technik können diese Entscheidungen heute und in den kommenden Jahren besser und präziser ausfallen als jemals zuvor. Das wird auch dazu führen, dass nur so viel Dünger und auch nur so viel Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden wie unbedingt nötig. Eine digitale Landwirtschaft wird eine nachhaltigere Landwirtschaft sein. Darin liegt eine große Chance.«

»Fieldview« ist ein solches Produkt, das dem Landwirt den konkreten Nutzen bestimmter Aktionen auf dem Feld vorhersagen kann. Das sind wichtige Schlüsseltechnologien für künftige Landwirtschaft, die deutlich besser als bisher arbeitet und mehr Ertrag liefert. Dazu zählt auch genverändertes Saatgut. Das aber spielt in Deutschland keine Rolle, hier darf es das nicht geben. Doch Deutschland spielt sowieso keine große Rolle.

Während des Glyphosat-Getöses lief relativ geräuschlos eine andere große Übernahme auf dem Agrarchemie-Sektor über die Bühne. Der chinesische Staatskonzern Chem China übernahm vor zwei Jahren den schweizerischen Agrarchemie-Konzern Syngenta zum Preis von 43 Milliarden Dollar. China will vor Amerika die weltweite Führung bei neuen Agrar-Technologien mit gentechnisch veränderten Pflanzen übernehmen. Dazu baut Syngenta in Peking das Zentrum moderner Gentechnologien auf, bei denen die Gentechnik-Editiermethode Crispr-Cas eine wesentliche Rolle spielt. Damit können neue Pflanzen besser und schneller entwickelt werden.

Sprecher von Ökoorganisationen mit Bayer-Aktienbesitz wie von Misereor und die Demonstranten vor der Bayer-Hauptversammlung würden in Schockstarre fallen, würde sich Bayer-Chef Baumann mit den entscheidenden Fragen zur Zukunft befassen.