Tichys Einblick
Gesellschaft

Rainer Hank – Was macht der Mensch mit der Macht?

In „Lob der Macht“ nimmt Rainer Hank eine Neuvermessung der Macht vor. Zwar verachten wir die Macht und die Mächtigen angeblich, insgeheim aber bewundern wir sie. Die Biografien einiger Machtmenschen aus der Wirtschaft zeigen die Machtspiele der Mächtigen. Ein Gespräch.

Rainer Hank zählt im eigenen Blatt, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, dessen Wirtschaftschef er ist, nicht zum linken Mainstream. Er, promovierter Literaturwissenschaftler mit Neigung zur katholischen Theologie, verteidigt unbeirrt den liberalen Kapitalismus.

Sein Buch „Links, wo das Herz schlägt“ war eine muntere Abrechnung mit dem Zeitgeist. Und nun setzt sein „Lob der Macht“ Nadelstiche ins Herz der real existierenden Dekadenz.

Wolfgang Herles: Erasmus von Rotterdam schrieb ein „Lob der Dummheit“, ein vergiftetes Lob. Ist Ihr Lob der Macht auch vergiftet?

Rainer Hank: Es ist affirmativ gemeint, nicht vergiftet. Ich finde, die Macht muss man loben. Denn erstens wird sie geleugnet. Fragen Sie irgendeinen DAX-Vorstand: Wie gehen Sie mit Ihrer Macht um, dann antwortet er, Macht sei keine Kategorie für ihn.

Macht sei Kommunikation, sagt man heute verharmlosend.

Genau. Man sagt: Verantwortung oder Einfluss, das ist schon das Maximum. Oder die Macht wird diabolisiert. Seit Jacob Burckhardt kann man diese Tradition sehen: Macht ist böse.

Weil man Macht mit Machtmissbrauch assoziiert. Und so ist es ja auch meistens. Wer zu lange zu viel Macht besitzt, missbraucht sie.

Herr Weinstein, der Hollywood-Tycoon, ist das beste Beispiel für Machtmissbrauch. Aber wer, weil Macht missbraucht werden kann, „igittigitt, wir wollen die Finger davonlassen“ sagt, wird das Verdrängte nur zurückbekommen.

Wundern wir uns wirklich über einen Weinstein?

Wir wundern uns darüber, dass die berühmtesten Schauspielerinnen dabei waren. Alle wussten es, keiner sprach darüber. Und irgendwann kippt das dann, und es kommt ans Licht der Öffentlichkeit.

Ich habe den Eindruck, dass die deutsche Öffentlichkeit die Macht an sich bewundert. Je länger sich einer an der Macht halten kann, desto erfolgreicher gilt er als Politiker. Aber es ist doch kein Verdienst, sich lange an der Macht zu halten?

Ist es schon. Es gibt zwei Perspektiven. Die Mächtigen selbst tun alles, die Kategorie Macht weit von sich wegzustellen. Aber die Leute, die Serien wie „House of Cards“ gucken und die Mächtigen bewundern, sagen, wenn jemand es lange hinkriegt, Status oder Geld zu bewahren, dann hat er Glanz, Charisma. Und bei Angela Merkel würde ich sagen, ist es tatsächlich eine Leistung, sich so lange an der Macht zu halten, denn normalerweise ist der Tag des Triumphs der Tag, an dem die Macht errungen wird. Und dann geht’s langsam, aber stetig bergab.

Bei Merkel bin ich anderer Ansicht, weil sie erstens nicht weiß, wozu sie die Macht gebrauchen soll, außer für ihre Macht selbst. Und zweitens finde ich es grundsätzlich schlecht, wenn jemand in einer Demokratie viermal Kanzler sein kann.

Ich lobe nicht Frau Merkel, sondern die Macht als Faszinosum. Sie hat am 22. September ein Viertel ihrer Wähler verloren und sagt, das reiche ihr für den Machterhalt. Diese Chuzpe muss man erst mal haben.

Sie weiß nicht, was sie hätte anders machen sollen.

Ein Viertel ihrer Wähler geht zur FDP und zur AfD, und sie tut so, als kümmere sie das gar nicht. Das ist zwar kein Machtmissbrauch, aber doch ein unverschämter Umgang mit der Macht.

Die meisten Zeitungen – auch in Ihrer habe ich das eine oder andere gelesen – bewundern das geradezu.

Es ist ein eklatanter Fall von Realitätsverleugnung. Aber seit dem Wahlsonntag wird die Nachfolgefrage gestellt.

Sie sind ja ein Wirtschaftsjournalist, und die Grundthese Ihres Buches ist: Macht ist dann gut, wenn sie sich auf einem Markt bewähren muss. Der Markt verhindert das Machtmonopol, der Markt bedeutet Wettbewerb. Und anders ist Macht in der offenen Gesellschaft nicht mehr vorstellbar.

Ich habe versucht, das Prinzip einer guten Wirtschaftsordnung auf den Wettbewerb der Macht zu übertragen. Zugespitzt heißt das: Macht ist deshalb gut, weil die Mächtigen entmachtet werden können. Oder auch: Mein Buch ist nicht nur ein Lob der Macht, sondern auch des Machtkampfs. Und auch der wird oft von Journalisten negativ beschrieben. Nein, es ist toll, dass die Mächtigen vom Thron gestürzt werden, auch in einer Demokratie und auch in einer Marktwirtschaft. Wir sehen, wie viele CEOs aus guten Gründen gehen müssen, weil einer kommt und sagt, ich mach etwas viel Tolleres, weil sie nicht performt haben, und weg sind sie. Toll ist das nicht für den Einzelnen, aber für das System des Kapitalismus ist es großartig.

Wir Journalisten sind ja nur an zweierlei interessiert: am Aufstieg und am Sturz. Wir schreiben die Leute hoch und stoßen sie dann in die Tiefe. Dieser Aufstieg setzt einiges voraus. Eines, schreiben Sie, ist Selbstüberschätzung.

Ja. Selbstüberschätzung ist eine schlechte Charaktereigenschaft, aber wer an die Macht will und sich nicht selbst überschätzt, der sollte es bleiben lassen.

Deshalb kommen Intellektuelle dafür nicht infrage – sie sind die geborenen Skeptiker.

Handeln und Reflektieren kommen sich immer in die Quere. Und das Zweite ist: Macht benötigt Empathie. Die hat ja einen wahnsinnigen Boom gehabt in den letzten Jahren. Wer jedoch – zu Unrecht – Empathie für eine altruistische Gutmenscheneigenschaft hält, irrt. Empathie heißt einfach nur, ich kann mich einfühlen in Sie, in eine Gruppe, und das nutze ich perfekt aus.

Trump kann das. Man ergreift die Macht nicht, man wird von ihr ergriffen, wenn man den Interessen einer Gruppe dient. Eigentlich ein demokratisches Verhalten, aber auch ein populistisches.

Populismus wird häufig als Schimpfwort genommen, aber in der Demokratie heißt es doch auch, dem Volk aufs Maul zu schauen und zu kämpfen für die Maximierung der Wählerstimmen. Das geht nicht ohne Einfühlung. Manchmal wird so getan, als habe sich Trump an die Macht geputscht. Das ist nicht so. Es sind Machtzuteilungs- und nicht Machtergreifungsprozesse. Auch Hitler hat die Macht nicht ergriffen, sondern demokratisch bekommen und dann allerdings missbraucht bis zur perfiden Perversion.

Gilt das auch für Erdogan?

Nach allem, was man hört, ging das demokratisch. Was mich dazu bringt, leise Zweifel – darf man ja in Deutschland auch nicht – an der Mehrheitsdemokratie zu haben. Wenn ich eine Hierarchie der Werte zur Macht aufstellen müsste, würde ich sagen, Rechtsstaatlichkeit und Balance of Power sind immer wichtiger als Demokratie. Mit Mehrheitsdemokratie kann man Rechtsstaatlichkeit kaputtmachen. Dann wird die Mehrheit – sie kriegt auch etwas dafür – benutzt, um den Machtwettbewerb zu ersticken.

Das unterscheidet den mächtigen Amtsinhaber vom mächtigen Staatsmann. Adenauer, um ein Beispiel zu bringen, hat alle wichtigen Entscheidungen, von der Marktwirtschaft bis zur Westbindung, gegen die Mehrheit der damaligen Bevölkerung durchgefochten, sich nicht einfach an die Spitze der Mehrheit gestellt.

Man muss auch dabei eine Balance finden. Ein Mächtiger, der ganz und gar gegen die Mehrheit handelt, wird nicht mehr wiedergewählt.

Und wenn man dann an der Macht ist, braucht man etwas, was nichts Schönes ist, nämlich permanentes Misstrauen; ohne Paranoia kommt man offenbar nicht aus.

Häufig ist das so. In der Politik wie in der Wirtschaft. Thomas Middelhoff, den auch ich bewundert habe, ist mit großem Charisma ausgestattet. Er ist aber auch das Beispiel für ein Gesetz: Je länger einer an der Macht ist, desto schneller wird aus Selbstüberschätzung Hochmut. Wenn sich jemand für allmächtig hält, führt das zu Paranoia. Weil er natürlich weiß, wie er selbst hochgekommen ist und dass seine Macht angreifbar ist. Deshalb sieht er überwiegend Intrigen und Widersacher, und das macht ihn verrückt. 80 Prozent seiner Tätigkeit verwendet er dann nicht mehr darauf, die Umsätze zu steigern, sondern dazu, die Macht abzusichern mit einem Kreis von Günstlingen. Bei Merkel ist Volker Kauder der Inbegriff des Hofschranzen.

Die ganze Partei ist eine Hofschranzen­partei?

Das ist wohl wahr.

Selbst die römischen Feldherren hatten ja immer einen Sklaven hinter sich stehen, der ihnen sagte: Du bist sterblich, du bist fehlbar. So jemand fehlt da.

Da kommt dieser Satz: In dem Moment, in dem ich gewählt wurde, hab ich meinen engsten Freunden gesagt, sagt mir bloß, wenn ich abhebe. Wenn die das dann machen, korrigiert sich der Mächtige nicht, sondern dann ist der, der das sagt, unten durch.

So war es bei Kohl. Er hatte wunderbare Leute, Geißler, Biedenkopf, Weizsäcker, und am Schluss hielt er es nur noch in seinem Hofstaat aus. Bei Merkel ist das wahrscheinlich genau­ so. Dagegen gibt es nur ein Mittel: den Machtwechsel.

Ja. Spätphasen der Macht sind immer problematisch. Das haben Sie angedeutet: Ob man nicht die Amtszeit begrenzen sollte. Ich finde, das müsste diskutiert werden. Natürlich ist es der Volkswille. Die zweite und zugleich letzte Amtszeit, das sieht man in Amerika, gibt auch eine Freiheit. Statt dieses langsamen Siechtums, nicht von der Macht lassen zu wollen.

Es gibt seit jeher die Utopie von der Ab­ scha ung der Macht. Solche Utopien sind nicht bloß gescheitert, sondern haben sich stets in ihr Gegenteil ver­ wandelt, ins Totalitäre.

Der Gedanke ist erst einmal ein sympathischer. Macht bedeutet ja Über- und Unterordnung. Deshalb gibt es immer den Gedanken: Wäre nicht eine Welt schöner ohne Ungleichheit, ohne Unterwerfung?

Herrschaftsfreiheit hieße Gleichheit. Solange es Ungleichheit gibt, muss es auch Macht geben.

Das denke ich auch. Und umgekehrt: Machtverhältnisse konstituieren Ungleichheit, und deshalb ist die Macht auch so unbeliebt. Macht ist ein Produkt der Zivilisation, aber ungemütlich ist sie schon; das sollte man nicht verschweigen. Und da gibt es immer wieder Utopien der Machtfreiheit wie in der Apostelgeschichte. Alles soll allen gehören, keiner soll über den anderen herrschen. Das Blöde daran ist, wenn dem Menschen der Trieb trotzdem durchgeht, dann muss man aufpassen, dass sich nicht wieder einer über den anderen erhebt. Es wird sofort ein totalitärer Überwachungsstaat etabliert, der, wörtlich, jeden einen Kopf kürzer macht, der seinen Kopf rausstreckt.

Und zwar unter der Flagge der Moral, die so durch Macht missbraucht wird.

Es gibt einen Totalitarismus der Gleichheit. Das sind dann Systeme, die jede Kreativität und menschliche Individu- alität und Spontaneität ersticken und ein Terrorregime errichten.

Zum Lob der Macht gehört die Einsicht, dass Zivilisation ohne Macht nicht entstanden wäre. Was ist Macht? Es ist Dominanztrieb. Woher kommt er? Sie sagen, es sei eigentlich ein Rachebedürfnis.

Das hat viel mit Sex zu tun. Bewundert zu werden. Jetzt ist Weinstein das Scheusal, aber er ist auch bewundert worden. Er hat gesagt: Ich kann mit jeder Frau Sex haben.

In einem anderen Beruf, der mit Machtausübung verbunden ist wie kein anderer, dem des Dirigen­ ten, erzählt man sich die gleichen Geschichten.

Der Dirigent ist der bewunderte Held einer Gesamtheit.

Und der potenteste Affe. Der Anführer der Affenhorde. Macht konstituiert sich tatsächlich aus der sexuellen Potenz?

Es gibt einem Großen Nähe. Dazu kommt der Neid. Auch ein Trieb, der als sehr negativ gilt. Neid heißt auch, mal sehen, ob ich nicht auch kann, was ein anderer kann. Neid treibt uns an. Gäbe es nicht den Neid, säßen wir noch immer wie die Affen auf den Bäumen.

Eigentlich müsste man dieses Muster doch durch Zivilisierung überwin­ den, aber in Wirklichkeit benutzt die Zivilisation die Macht nur in anderem Gewand.

Das muss man so sagen. Es ist noch sehr viel von einer Triebstruktur da, die sich nicht geändert hat. Und da muss man die Zivilisation ein bisschen ankratzen, denke ich.


Das Interview mit Rainer Hank ist in Tichys Einblick Ausgabe 12/2017 erschienen.


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