Tichys Einblick
Jetzt regieren sie wieder. Und wie.

Regierungsbildung: Falscher Jubel und Fehler im System

Die vielfach übertragene Jubelveranstaltung zur Regierungsbildung in diesen Tagen zeigt nur, wie sich Abgeordnete und Medien an die Kette haben legen lassen.

© John MacDougall/AFP/Getty Images

Petra Gerster, die Moderatorin des heute journals, zeigte sich wieder so staatstragend, wie ihr Sender sich gerne gibt: „Jetzt ist es amtlich“, bejubelte sie anlässlich der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags die Regierungsbildung. Wie falsch das ist, ist der Altmeisterin der Nachrichten gar nicht mehr bewusst: Zu eng verbandelt sind ihre Nachrichten mit der geschönten Regierungsselbstdarstellung.

Falscher Jubel im ZDF

Es war eine Jubelveranstaltung – die als solche von fast allen Medien gefeiert wurde, ein Staatsakt, der keiner ist. Es zeigt, wie wenig Deutschlands Politikredakteure noch vom Grundgesetz halten: Der Koalitionsvertrag ist weder ein Vertrag, noch bindet er irgendwen. Er ist eine Absichtserklärung einiger Parteifunktionäre. Kein Abgeordneter ist daran gebunden, auch wenn er durch vielerlei schikanöse Maßnahmen dazu gezwungen wird, jeden Unsinn abzusegnen, wenn er nur dort vorformuliert ist. Die Abgeordneten sind nur ihrem Gewissen verantwortlich. Abgesehen davon, dass die Wirklichkeit sich nicht an die Spiegelstriche der Parteibürokraten hält:

Beispiel Trumps Handelspolitik – sie kann ein massiver Angriff auf deutsche Arbeitsplätze und Wohlstand sein. Jetzt wäre ein Bundeswirtschaftsminister mit Kompetenzen gefragt. Aber die Bundesregierung ist gespalten: Zwischen CDU- und SPD-Ministerien sind die jeweiligen Kompetenzen kleinteiligst aufgespalten. Auch das ist nicht im Sinne des Grundgesetzes, da bestimmt der Kanzler die Richtlinien der Politik. In der Regierung Merkel bestimmt der SPD-Parteivorstand die wesentlichen Felder der Außen-, Finanz, Sozial- und Europapolitik. Auch das ist nicht „amtlich“, sondern eine Perversion des Grundgesetzes.

Spiegelstriche statt Politik

So wird die neue Koalition Spiegelstriche abarbeiten, statt tatsächliche Probleme ihrer Lösung zuzuführen. Regierungsbildung? Wohl weder Regierung noch Bildung.

Beispiel Europa-Politik: Deutschland kann mit Trump über die Handelsfragen gar nicht mehr verhandeln; diese Fragen werden ausschließlich von der EU behandelt. Im Wesentlichen hat nur Deutschland Handelsüberschüsse mit den USA und kompensiert damit die Defizite der schwächeren EU-Partner. Die wären also von Zöllen auf deutsche Autos nicht betroffen. In wessen Interesse verhandelt die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström? Und ist es wirklich überraschend, dass Deutschland auf die Anklagebank kommt, denn nicht nur die USA, auch europäische Partner ärgern sich über die deutsche Exportmaschine, die die Industrien in ihren Ländern niederwalzt.

Beispiel Einwanderung: Da bekämpfte die SPD mit Kanzlerinnen-Hilfe jede Formulierung einer Obergrenze – was die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig nicht daran hindert, am Tag der Vertragsunterzeichnung Abschiebungen einzufordern und Rücksicht auf die einheimische Bevölkerung zu nehmen: Mehr Schizophrenie geht kaum. Aber es nicht der Populismus, der verärgert – es ist die erkennbare Absicht, mit rhetorischen Kunstgriffen die eigentliche Absicht zu verdecken. Und die besteht darin, dass SPD und die der Kanzlerin hörigen Teile der CDU weiterhin deren Katastrophe der Politik der massenhaften Zuwanderung fortsetzen wollen. Daran wird auch Horst Seehofer scheitern, und zwar gerne: Er hat in der Zuwanderungspolitik schon immer versprochen, und nicht gehalten.

Beispiel Steuer- und Sozialpolitik: Die Deutschen kommen nur als Betreuungsfälle vor, die ohne Sozialarbeiter und staatliche Stütze keinen Schritt eigenständig gehen können. Der Reflex ist die über allem liegende Staatsgläubigkeit. Die noch nie so hoch dagewesene Staatsquote soll noch weiter erhöht, die Freiheit der Bürger noch weiter eingeschränkt werden. Mit 100 Milliarden zusätzlichen Einnahmen rechnet der Finanzminister in seinem Glück – 10 Milliarden sollen über die Senkung des längst überflüssigen Solis zurückgegeben werden. Das nennt man dann „Steuersenkung“.

Beispiel Zukunft: Hier fehlt jede Vorstellung. Der Ökonom Daniel Stelter formuliert pointiert: „Wie man ein Land ruiniert, kann man bekanntlich an Deutschland studieren„:

  • übergroße Versprechen an Zahlungen im In- und Ausland
  • Zuwanderung in Sozialsysteme
  • Modernisierungsfeindlichkeit (Automatisierung, Roboter)
  • tiefe Geburtenraten
  • katastrophale Bildung
  • zunehmende Abgabenlast
  • Abwanderung der relativ Besseren.
Kein Grund zum Feiern und kaum Opposition

Es gibt also wenig Grund, den Koalitionsvertrag zu feiern, dokumentiert er doch nur die eigentliche Uneinigkeit der Parteien und ihre Unfähigkeit, sich den wirklichen Problemen zu stellen. Die Feier des Koalitionsvertrags hat nur ein Ziel: Genau diese Gängelung „amtlich“ aussehen zu lassen, den Bundestag und seine Debatte und Entscheidung vorweg zu nehmen. Das ZDF macht sich zum Erfüllungsgehilfen dieser parteipolitischen Absicht. Ein Beitrag zu einer „guten Debattenkultur“, die ausgerechnet Angela Merkel einforderte, ist es auch nicht. Wenn Abgeordnete an die Kette ihrer Parteien gelegt werden, ihre Meinungsäußerung durch die Parteispitze vorgegeben wird, dann entwertet sich der Bundestag weiter. Die Abgeordneten nicken ab, was von oben verlangt wird. Regierungsbildung statt Meinungsbildung.

Point of no return
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Die Hoffnung besteht, dass die breiter gewordene Opposition dem entgegenwirkt, wenigstens einen Rest an Kontrolle der Regierung durch das gewählte Parlament wieder zurück gewinnt. Bislang war davon wenig zu spüren. Man übte sich in Ausgrenzung der neuen Konkurrenz von der AfD. Aber nicht darum geht es den Wählern. Gerade die FDP hat bisher enttäuscht.

So schreibt Klaus-Rüdiger Mai: „Es ist die Aufgabe einer Oppositionspartei, die Regierung zu kontrollieren, nicht, die Opposition anzugreifen. Man gerät dabei in der öffentlichen Wahrnehmung nur allzu schnell in die Rolle des Wadenbeißers für die Regierenden. Doch einem Wadenbeißer nimmt man kein inhaltliches Engagement mehr ab.“

Sechs Monate sind schon geschafft

Die Ausgangslage für die AfD ist geradezu traumhaft: Sie braucht nur alte Forderungen der CDU als Gesetzesantrag einzubringen – und schon stimmt die CDU gegen sich selbst. Die Glaubwürdigkeit steigt nicht gerade durch derartige Kindereien. „Jahrelang haben CDU und CSU, allen voran der damalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), dafür geworben, die deutsche Sprache als Sprache der Bundesrepublik im Grundgesetz zu verankern. Es gab sogar entsprechende Parteitagsbeschlüsse der CDU. Weil die AfD dies nun auch möchte, wollen es CDU/CSU nicht mehr; plötzlich ist das für CDU/CSU „Deutschtümelei“, spottet Josef Kraus. Die CDU verliert so den Rest ihrer Glaubwürdigkeit. Regierungsbildung und CDU-Demontierung.

Von den Grünen war wenig zu hören; die Leier von der fortgesetzten Zerstörung der Energieversorgung spielt ja auch schon die Bundesregierung.

Und die Linke hat zwei Flügel: Jene, die bedingungslos die Einwanderungspolitik der Bundesregierung unterstützen – und jene wenigen um Sarah Wagenknecht, die die sozialen Folgen benennen. Aber zu einer parlamentarischen Aktion kann sich die Partei nicht aufraffen – sie beklagt in ihrer Mehrheit die soziale Lage der „kleinen Leute“ und verschärft sie durch die Förderung wachsender Konkurrenz an Schulen, Wohnungsmarkt und im Kampf um einfache Arbeitsplätze. Wenn etwas „amtlich“ ist, dann ist es die erschütternde Schwäche des politischen Systems: Eine farblose Regierung, die an den Rezepten von gestern festhält, und ein Parlament das sich bereitwillig von der Regierung gängeln lässt und lieber mit sich selber befasst als mit der Kontrolle der Regierung. Das Beste an dieser Regierungsbildung ist: Sie hat ein halbes Jahr gedauert. Sechs Monate sind schon geschafft. In spätestens dreieinhalb Jahren wird gewählt. Allerspätestens, denn Merkels Abschied vom Amt und die Ausblendung der Realität werden so lange nicht währen können.