Tichys Einblick
Leoparden ja oder nein?

Olaf Scholz, deine Rede sei: Ja ja, nein nein!

Olaf Scholz versucht sich durch die Weltgeschichte zu lavieren: etwas Hilfe für die Ukraine, aber nicht zu viel. Waffen ja, aber nicht diese. Ist es so schwer, die Wahrheit auszusprechen, und zu sagen, auf wessen Seite man steht?

IMAGO/IPON

Die kleine Stadt Goslar macht nicht so oft Geschichte – und wurde doch bekannt: Am 21. Januar 2003 rief der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vom Marktplatz in Goslar in die Welt: Einen Krieg gegen den Irak werde Deutschland nicht mitmachen – nicht einmal mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats.

Krieg ohne Deutschland

Es war ein mittleres Erdbeben. Deutschland beteiligte sich nicht am Krieg gegen die „Achse des Bösen“. Axis of Evil“ war ein am 29. Januar 2002 vom US-Präsidenten George W. Bush in einer Rede zur Lage der Nation geprägtes politisches Schlagwort. Es sollte Länder beschreiben, die Bush beschuldigte, Terroristen zu unterstützen, nach Massenvernichtungswaffen zu streben und gegen die USA und ihre Alliierten zum gemeinsamen Feldzug aufzurufen. In einer „Rede an die Nation“  verurteilte der Kanzler den Krieg der USA und der Briten gegen den Irak. „Es ist eine falsche Entscheidung getroffen worden“, sagte er. Dennoch wolle er sich nicht an Schuldzuweisungen beteiligen. Es komme darauf an, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden. „Es bleibt dabei: Deutschland beteiligt sich nicht an diesem Krieg.“

Die Union unter Oppositionsführerin Angela Merkel befürchtete damals den Bruch mit Amerika, Diplomaten bei den Vereinten Nationen das Ende der Konsenspolitik im Sicherheitsrat – und die kleine Stadt in Niedersachsen wurde für Schröders Auftritt im Landtagswahlkampf Niedersachsen weltbekannt. Viele fanden Schröders Politik falsch. Bei der darauffolgenden Bundestagswahl lag die SPD mit der Union gleichauf, mit aus heutiger Sicht unfassbaren 38 Prozent. Mit Schröder wusste der Wähler, was er bekommt.

Was will Scholz wirklich?

Die geschichtliche Analogie darf man nicht überstrapazieren. Aber ein klares Wort von Bundeskanzler Olaf Scholz zum Krieg um die Existenz der Ukraine darf man schon erwarten.

Es ist ja nicht so, dass Deutschland der Ukraine nicht zur Seite stünde: Fast eine Million Flüchtlinge werden gut versorgt. Waffen werden geliefert – Gepard und Marder, Luftabwehr-Systeme und Munition. Es sind nicht nur die großartig verkündeten 5.000 Helme, mit denen sich die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht weltweit so unsterblich lächerlich gemacht hat – und Deutschland gleich mit. Auch 10 Tonnen Ad Blue sind dabei; das hilft der Umwelt, wenn Lastwägen an die Front fahren, entlang der auf 1.000 Kilometern die Welt zerstört wird und verbrennt – wenigstens die Laster sind sauber: Die Grenze zur Lächerlichkeit ist schnell überschritten, und genau das hat Olaf Scholz geschafft.

Einerseits ist Deutschland nach den USA und Großbritannien das Land, das materiell gesehen der Ukraine am meisten hilft – und diese Hilfe andererseits so darstellt, dass man nur den Kopf schütteln kann. Olaf Scholz und seine Kummer-Truppe von Lambrecht bis Pistorius haben es geschafft, Deutschland dumm dastehen zu lassen, und zwar saudumm. Deutschland steht da wie ein Lebensretter, der einem Ertrinkenden zwar einen Rettungsring zuwirft, ihn aber dann nicht aus dem Wasser zieht, weil der keine FFP2-Maske trägt. Dass Deutschland angeblich erst seine Panzer zählen muss, ehe es welche schickt – eine Lachnummer, so unerträglich wie die deutsche Staats-Bahn, die es schafft, sich auf ihren Schienen zu verfahren.

Die Folgen dieser Schwurbelei sind fatal, nicht nur für die kämpfende Ukraine: Die europäischen Nachbarn kaufen ihr Kriegsmaterial anderswo – wer lässt sich schon von Zauder-Scholz vorschreiben, was mit den Panzern geschehen darf, die man für teures Geld von Rheinmetall erworben hat? Muss man sich jeden Schuss von Scholz einzeln genehmigen lassen? Im Krieg? In diesen Tagen hat Scholz den Resten der Verteidigungsindustrie den Todesstoß verpasst: Polen baut Fabriken für koreanische Panzer und wird damit nicht nur sich selbst, sondern auch die anderen osteuropäischen Staaten versorgen, die ihre alten Sowjet-Panzer gerade in der Ukraine verschrotten lassen.

Polen hat trotzdem angekündigt, einen Antrag an die Bundesregierung zu stellen, seine ursprünglich vom Rhein stammenden Panzer an den Dnjepr zu schicken. Die Nachrichtenagentur Bloomberg will schon wissen, dass Scholz dieser Anfrage noch in dieser Woche zustimmen wird. Wie wollte Scholz das auch verhindern? Die Berliner Berufsfeuerwehr nach Warschau schicken? Wer keine Macht hat, soll nicht mit ihr drohen. Er macht sich nur lächerlich.

Der Schattenmann der Republik

Scholz hat Zaudern, Zögern und Schwindeln nebst durchschaubaren Notlügen schon zu lange zu seinem Politik-Stil gemacht. Wenn man sein Verhalten im Cum-Ex-Skandal genau verfolgt, erkennt man das Muster: Nein, Scholz hat niemals die Anweisung ausgesprochen, der Warburg-Bank die erschwindelten Millionen zu belassen. Er hat der Bank gegenüber allerdings den Eindruck erweckt, sie stünde unter seinem Schutz – und sie dann fallen gelassen. Er hat sich alle Wege offen gehalten: Wäre eine Kölner Staatsanwältin nicht so haarsträubend unbestechlich gewesen – dann hätte er die Geldschleusen für Warburg geöffnet und deren immerwährende Dankbarkeit kassiert. Und ja, die SPD in Hamburg hat fünfstellige Geldbeträge von Warburg erhalten – aber ihr Scholz persönlich war nicht daran beteiligt.

Scholz ist ein Schattenmann – er ist überall dabei, aber nie beteiligt, und schon gar nicht fassbar. Seine Fingerabdrücke sind am Tresor auffindbar, aber das Geld ist verschwunden und er rechtzeitig auch. Er hat es zur Kunst entwickelt, Entscheidungen herbeizuführen, aber nicht dafür gerade zu stehen. Er hat ein verheerendes Wahlergebnis eingefahren, und ist doch Kanzler geworden. Er hat eine Luschentruppe um sich versammelt und konzentriert die Entscheidungsmacht im Kanzleramt, weil seine Ministerinnen, ob rot, ob grün, nichts taugen – aber seine Entscheidungen exekutieren müssen, noch während er sich davon distanziert.

Das mag ja für eine Karriere in der SPD reichen. Für einen Regierungschef reicht es nicht. Die Bevölkerung hat das Recht darauf zu wissen: Stehen wir jetzt hinter der Ukraine – oder wollen wir lieber zuschauen, wie Putin seinen Feldzug durchzieht?

Führung lebt vom Überzeugen

Politische Führung wäre, eine Entscheidung zu treffen und dann dafür zu kämpfen, dass die Bevölkerung diese Entscheidung wenigstens akzeptiert und hoffentlich in der Mehrheit mitzieht. Derzeit halten sich Befürworter und Gegner entscheidender Hilfe für die Ukraine die Waage. Beide blockieren sich, und viele Bürger werden alleingelassen mit ihrer Entscheidung. Niemand will Krieg, niemand will wieder deutsche Panzer durch die Ukraine walzen sehen, denn dieses Land, die endlosen Felder mit der schwarzen Erde, waren die blutgetränkten „Killing Fields“ des Zweiten Weltkriegs.

Welche Verantwortung erwächst daraus für Deutschland? Mutmaßungen schießen ins Kraut; wie ist sein Verhältnis zu Putin wirklich? Auch die SPD ist gespalten: Viele träumen immer noch von einem Russland als legitimem Erben der Sowjetunion und ihres Sozialismus, dem mindestens die Ukraine unterworfen werden soll. Viele rechnen noch nach, wie hoch ihre Provisionen an den Gazprom-Geschäften waren. Viele pflegen den Anti-Amerikanismus ihrer Väter, den sie bei den Anti-Vietnam-Demos aufgewärmt und im Irak-Krieg bestätigt haben. Andere Sozialdemokraten sehen die Geschichte aus der Perspektive der Unterdrückten und Bombardierten in Kiew und Cherson. Sie setzen dem neosowjetischen Machtanspruch in Europa Freiheitsliebe entgegen und die Reste dessen, was von europäischen Werten noch geblieben ist.

Die Spaltung ist schier unüberwindbar – und lähmt die Partei, die Koalition und das Land. Perverse neue Koalitionen bilden sich: die Grünen als Partei der Kriegstreiberei mit Teilen der FDP inniglich verschworen; die AfD Seit’ an Seit’ mit der Mützenich-SPD. Annalena Baerbock will den Russen die Beine weghauen, auf dass sie nie mehr hochkommen: außenpolitisches Versagen, eine Außenministerin solche Sätze sprechen zu lassen. Anton Hofreiter als General auf dem Feldherrnhügel mit wehenden Haaren im Pulverdampf, den er persönlich nur fürs Foto ersehnt, aber nie persönlich erleben wird: Die Kölner Prinzengarde ist glaubwürdiger. Der proklamierte Führungsanspruch in Europa besteht aus viel Anspruch und wenig Führung, dafür aus viel Verlegenheit und Lavieren. Mehr geht nicht? Bei Schröder ging es schon.

Für Olaf Scholz ist es vermutlich zu spät. Er hat den Zeitpunkt überschritten, um Ja zu sagen oder sein Nein zu begründen. Warum Marder und Gepard, aber kein Leopard? Niemand kann das verstehen, die Befürworter der Hilfe so wenig wie die Gegner. Und so schlingert Deutschland dahin: als unsicherer Kantonist oder Verräter; gleichzeitig Putin-Versteher und Putin-Bekämpfer. So viele Stühle gibt es gar nicht in Europa, zwischen die sich Olaf Scholz setzt. Oder ist er schon gar nicht mehr da? Gar nicht dabei? Der ewige Schattenmann, der im Hintergrund die Fäden zieht und strahlend auf der Bühne steht, wenn das Spiel gelingt – oder in der Kulisse verschwindet, wenn’s haarig wird? Das Spiel mit verdeckten Karten geht weiter. 12 Panzer will er schicken. Das wird den Bellizisten zu wenig und den Pazifisten zu viel sein. Gleichzeitig werden andere Länder wie Polen mit Lieferungen einspringen. Die Wirrnis wird jeden Tag größer.

Scholz ist der Nicht-Kanzler. Respekt kann man nicht einfordern. Respekt muss man sich erwerben.

Anzeige