Tichys Einblick
Bis später

In Erinnerung an unseren Freund und Autor Ismail Tipi

Ismail Tipi ist gestorben. Er war mehr als nur Autor bei TE - er war unser Freund. „Ein Baum braucht starke Wurzeln“, sagte er. Er ist eine unserer Wurzeln. Wir vermissen ihn sehr.

Es gibt solche Tage, an denen scheint sich die Welt gegen einen verschworen zu haben; Shitstorm nennt man das heute. Eines Tages, als die Dreckstürmler wieder geblasen haben wie verrückt, klingelte das Telefon: „Mein Name ist Ismail Tipi. Ich bin 58 Jahre alt, ich bin türkischer Abstammung. Ich gehöre zur ersten Generation der Gastarbeiterkinder. Ich bin Landtagsabgeordneter der CDU in Hessen. Ich will jetzt für Euch schreiben.“ Es war der Beginn seiner Kolumne bei Tichys Einblick und der Beginn unserer Freundschaft.

Ismail Tipi: Klartext

Persönlich bedroht
Abgeordneter Ismail Tipi: „Wir müssen handeln, sonst werden wir behandelt.“
Ismail Tipi ist direkt und ohne Umschweife. Geboren in Izmir, aufgewachsen in Regensburg. Der Vater Industriearbeiter, die Mutter kann nicht lesen und schreiben. „Ja, das ist nicht ganz einfach gewesen. Wenn sie als Gastarbeiterkind nach Deutschland kommen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen und wenn sie damals nur ein paar Worte ‚Danke schön‘, ‚Bitte schön‘ und ‚Grüß Gott‘ gelernt haben …“ Ismail hat Schullehrer und Freunde in der Oberpfalz, sie helfen ihm, mit der deutschen Sprache vertraut zu werden. Dafür war Ismail Tipi sehr dankbar:

„Ich bin zwar heute erwachsen, aber ich glaube heute noch an Engel. Besonders in Form von guten Freunden, aber auch in Form von Lehrerinnen und Lehrern. Und ich habe in meinem Leben solche Lehrerinnen und Lehrer gehabt, die die Mühe nicht gescheut haben, mich diese wunderschöne Sprache zu lehren.“ Ismail Tipi lernte schnell.

Er hat den Mut, oder ist es Vermessenheit(?), sich bereits als Vierzehnjähriger bei einer Lokalzeitung als freier Mitarbeiter zu bewerben. Und wird genommen:

„Ich habe für das Regensburger Wochenblatt geschrieben und dort habe ich nicht nur für die deutschen Seiten etwas gemacht, sondern hatte dort auch eine türkisch-deutsche Seite für mich gehabt. Und dieses Anzeigenblatt war wahrscheinlich deutschlandweit wenn nicht europaweit die erste Zeitung, die mit Menschen mit Migrationshintergrund eine zusätzliche Seite gebracht hatte.“

Der Journalismus lässt Ismail Tipi drei Jahrzehnte lang nicht mehr los. Auch während seines Maschinenbau-Studiums im Rhein-Main-Gebiet schreibt er weiter – insbesondere für die wichtige türkische Tageszeitung Hürriyet, deren Chefreporter in Deutschland er später wird. Offenbach wird seine Heimat.

Umdeutung heißt ideologische Abwertung:
Heimat bleibt Heimat
Seit 1972 lebte Ismail Tipi in Deutschland, 1995 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft. Schon 2010 wird er Landtagsabgeordneter für die CDU in Offenbach; 2013 holte er den Wahlkreis in direkter Wahl. Es ist ein weiter Weg für einen Jungen mit migrantischem Hintergrund aus prekärer, bildungsferner Familie, wie man heute im Soziologendeutsch salbadern würde.

Er selbst sah sich als ein Glückskind, dem viele Möglichkeiten eröffnet wurden. Tipi kämpfte. Sein Wahlkreis ist schwierig; der höchste Migrantenanteil in Deutschland, strukturschwach, hohe Arbeitslosigkeit, gilt als sozialer Brennpunkt mit multi-ethnischen Konflikten. Und dort brechen sie auf.

Die türkisch-stämmige Lehramtsstudentin Tuğçe Albayrak verteidigt in und vor einem McDonald’s-Restaurants am 15. November 2014 Mädchen gegen aggressive Jugendliche. Sie wird niedergeschlagen und stirbt kurze Zeit später. Am 16. Juni 2015 wurde der Täter, der 18-jährige Serbe Sanel M., wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu drei Jahren Jugendstrafe verurteilt. Nach der Verbüßung des Großteils seiner Strafe soll er abgeschoben werden; langwierige Verfahren schließen sich an, bis er am 20. April 2017 nach Serbien abgeschoben wird. Die Tat erregt weltweites Aufsehen – und ist rückblickend betrachtet der Beginn einer brutalen Gewaltserie, in der häufig auch Migranten Opfer von Tätern anderer Zuwanderergruppen oder radikaler Islamisten werden – und die Strafen fallen gering aus; Abschiebung gelingt nur in wenigen Fällen. Dass Tipi, CDU, diesen Wahlkreis gewinnt, gewählt von Deutschen und Migranten gleichermaßen, gilt als große Überraschung. Es war allein sein Verdienst.

Ismail Tipi war in seinem Wahlkreis unermüdlich unterwegs. „Ich habe keinen Rückwärtsgang“, sagte er in einer unserer Redaktionskonferenzen. Er ist der Moderator vieler Konflikte, bringt den Wahlkreis aus den weltweiten Schlagzeilen. Er kannte beide Seiten, war Deutschland aufrichtig dankbar für die Chancen, die ihm, Kind aus prekären Verhältnissen gegeben wurden. Er blieb Muslim, war aber stets für die strikte Trennung privaten und öffentlichen Lebens. Er jammerte nicht, er beklagte nicht das Schicksal angeblich rassistischer Verfolgung, er dankte den Deutschen für die Möglichkeiten, die ihm eröffnet worden waren und forderte Migranten zur aktiven Teilhabe auf. Jammern galt für ihn nicht. Er war kompromißlos, kein Wackelkandidat wie viele in seiner und in anderen Parteien, oft auch unversöhnlich, wenn es sein musste. Und er hatte die Themen dazu.

Bald waren innere Sicherheit, religiöser Extremismus und Integrationspolitik seine Schwerpunkte. Schnell machte er sich bundesweit einen Namen im Kampf gegen religiösen Extremismus. Sein politisches Engagement gegen radikale Salafisten führte zu Morddrohungen gegen seine Person, immer wieder wurde er angefeindet, beleidigt, bedroht, angegriffen.

Auch darüber sprach er kaum, trug mitunter schwere Verletzungen davon, er machte weiter. Mit der Energie und dem Willen von zehn.

Für besonders bedrohlich hielt er die zunehmenden Anwerbungsversuche radikaler Salafisten an Schulen in Deutschland, versuchte, deren öffentliche Propaganda zu unterbinden. Er lehnte Kopftücher für Mitarbeiterinnen des öffentlichen Dienstes oder gar an Schulen ab, kämpfte für ein Verschleierungsverbot. Immer wieder griff er Salafisten und Islamisten frontal an. Er warb für Integration. Er verlangte aktive Teilnahme der Zuwanderer am gesellschaftlichen Leben, im Beruf. Er liebte Deutschland und verlangte von Migranten, sich zu integrieren, die Chancen wahrzunehmen, die ihnen dieses Land ermöglicht. Es ist ein anderes Bild von Deutschland, das er zeichnete und das er lebte. Von Benachteiligung und Rassismus war da wenig die Rede, viel aber von Dankbarkeit. Sein Optimismus überstrahlte alles.

Während andere über angebliche Benachteiligungen jammerten, redete Ismail Tipi von den Möglichkeiten – und der Verpflichtung, die Sprache zu lernen und selbst aktiv zu werden, statt auf ständige Betreuung und Bevormundung zu warten.

Kontroverse Beiträge in TE

Aus Weihnachtsmarkt soll Wintermarkt werden
Wieso wir unsere Werte brauchen und schützen müssen
Seine Beiträge erschienen in TE und lösten immer wieder kontroverse Diskussionen aus. Er nahm das gelassen, hielt härteste Kritik aus, antwortete freundlich und sachlich und argumentierte statt zu jammern, warum er trotz allem in der CDU blieb und dort kämpfte.

In Izmir zog er sich eine schwere Lebensmittelvergiftung zu, die ihn gesundheitlich fortan sehr schwer belastete. Trotzdem ging er im Wahlkreis weiter zu den Bürgern, der Freiwilligen Feuerwehr, in Schulen und Betriebe.

In seinem letzten Beitrag für TE schrieb Ismail Tipi: Die Ampel „will mit den Werten und Traditionen, die unser Land über Jahrhunderte geprägt und geformt haben, brechen. Mit dem Christentum will man nichts mehr zu tun haben. Doch der Ausgang dieser Trotzphase ist ungewiss: Geht sie vorüber oder ist sie vielleicht erst der Beginn eines großangelegten Plans? …. Der selbstgefälligen, aufgeblähten, vermeintlichen moralischen Überlegenheit der Bundesregierung muss ein Ende gesetzt werden. Ihre falsch-verstandene Toleranz bringt uns nur immer näher an den Abgrund …“

Es ist sein Vermächtnis.

Viel zu früh müssen wir Abschied von ihm nehmen.

Ismail, wir danken Dir. Du warst unser treuer Freund in schweren Zeiten. Einen besseren, aufrichtigeren, unverbrüchlicheren kann sich kein Mensch wünschen. Immer wieder hast Du uns ermutigt, mit Beiträgen, mit Nachrichten, mit Mails, mit Anrufen. Einen wie Dich gibt es kein zweites Mal.

Und ich weiß: Irgendwann sind wir alle dran. Da bin ich mir sicher – am Himmelstor steht ein fröhlich strahlender Mann und sagt dem Torwächter: „Lasst ihn rein. Bei und mit ihm habe ich geschrieben.“

Bis dahin wirst Du mir fehlen.

Eine Übersicht seiner Klartext-Kolumnen finden Sie hier.