Tichys Einblick
Parallelgesellschaft der Ungeimpften

Schon mal überlegt, wie das gehen soll mit der Impfpflicht?

Die Forderungen werden immer radikaler, die Beschimpfungen immer aggressiver, die Maßnahmen immer noch rücksichtsloser: Impfpflicht total – aber schon mal überlegt, was das bedeutet?

IMAGO / penofoto

Es blieb dem früheren Bundespräsidenten Joachim Gauck vorbehalten, die Zuspitzung auf die Spitze zu treiben: „Ungeimpfte” sind einfach nur „Bekloppte“. Auch als Geimpfter schluckt man: So schmal ist also die Grenze zwischen Klugheit und Dummheit. Und wenn mein Impfpass verfällt und der Booster nicht kommt, weil Jens Spahn mal wieder gemurkst und zu wenig bestellt hat: Dann wechsle ich also mit dem Ablauf der 6-Monatsfrist aus der Wolke der Klugen ins Lager der Bekloppten, die auch wahlweise als Asoziale, Drückeberger, Schädlinge beschimpft werden dürfen?

Wir reden immerhin über ein Drittel der Bevölkerung. Da genaue Statistiken darüber genauso wenig vorliegen wie sonstige Daten über den Verlauf der Pandemie, mögliche Impffolgen und Alternativen, wir also alle mit dem Stock im Dunkeln Formeln zeichnen, wage ich zu behaupten: Da viele Ältere in den Pflegeheimen längst zwangsgeimpft sind, weil ihnen die Kraft zum Widerstand längst abhanden gekommen ist, ist der Anteil der nicht Geimpften im aktiven Teil der Bevölkerung, unter den Berufs- und Erwerbsfähigen, viel höher.

Bei Jugendlichen beobachtet man, was immer als ihr Vorrecht genannt wird: Sie haben endlich ein Feld, auf dem sie rebellieren können, nachdem wir ja in einer Gesellschaft leben, in der alles erlaubt ist und neuerdings sogar Rauschgift legalisiert wird. Nun haben sie endlich den Gegner, an dem sich Jugendliche reiben müssen. Die Münchner junge Pathologin Samii, die an den Kühlfächern im Leichenkeller vorbeigeht und abzählt, wie viele Tote sie da auf Lager hat (26), und feststellt, dass davon nur drei sich mit Corona infiziert haben, ist ja schlagartig eine Art stiller Held geworden: Ihre migrantische Herkunft mit dem guttural rollenden R des Münchner Kindl ist umwerfend charmant – und dass man sie sofort fristlos kündigt, ist bezeichnend.

Aber die Sympathien sind nicht auf Seiten der Klinikleitung, die arrogant und überheblich auftritt, statt eine junge Frau überzeugen zu wollen, die ja nur fordert, dass die PCR-Tests für nicht Geimpften vom Staat bezahlt werden. So eine kleine Forderung, so wenig Radikalismus, und der frühere „Radikalenerlass“ der Regierung Willy Brandt nimmt sich gegen die Reaktion der Klinik so sanft aus wie ein Stuhlkreis?

Offensichtlich könnte die Impfpflicht genau an denen scheitern, die immer als Helden des Corona-Kampfs gefeiert wurden, den Frontschweinen des No-Covid-Feldzugs mit seinen immensen Verlusten: den Pflegern, den Krankenschwestern. Ihr Einfluss ist enorm: Wenn die aus den Kliniken, heute extrem gut ausgebildet und geschult, entschieden die Impfung verweigern und dafür offensichtlich auch den Job-Verlust in Kauf nehmen – ist es dann für den Laien wirklich ratsam, den Arm hinzuhalten, damit „alles rein“ gepumpt wird? Wie die unglückliche Werbekampagne fordert, ohne zu erkennen, dass das nun wirklich eine Werbung ist, die auch beim letzten Holzkopf den Alarm aktiviert: Wollen wir wirklich „alles rein“ bekommen? Oder ist uns unser Körper doch eine Art Abwägung wert?

Und was machen andere Unternehmen, wenn ihnen die Mitarbeiter bei ohnehin schon fehlenden Fachkräften auch noch von der Fahne gehen, weil ein paar Monate Lohn nicht den Verlust der Gesundheit aufwiegen, der mit möglichen Nebenwirkungen eintritt – die es natürlich nicht gibt, weil die Impfung ja so absolut sicher ist wie bislang nur Kernkraftwerke? „Absolut sicher“, das war ein Versprechen in den 60ern und 70ern, das genau das Gegenteil bewirkt hat: Nichts ist sicher außer dem Tod, und der kostet das Leben. Und absolute Sicherheit provoziert im Kopf sofort eine leise Stimme, die flüstert: „Woher wissen die das schon nach ein paar Monaten, dass es langfristig keine Schäden geben kann? Und gleich so absolut – oder ist nur die Übertreibung eine absolut getarnte Lüge?“

Und mit ähnlicher Übertreibung erfolgt die Diskreditierung der Vorsichtigen oder auch Ängstlichen, die Beschimpfung auch der Überängstlichen und Übervorsichtigen: Das wären Reichsbürger, AfD-Wähler, Querdenker, Wirre, und wieder voran Gauck, der Deutschland erneut in ein helles Land der Geimpften und ein dunkles der Nicht-Geimpften zweiteilt. Will die Regierung ernsthaft Millionen von Bürgern kriminalisieren, in die Arbeitslosigkeit jagen, die Bußgeldbescheide jede Woche in Dutzenden von Millionen Fällen verschicken?

Es ist natürlich Quatsch, so hanebüchener, dass es schmerzt, noch dagegen argumentieren zu müssen: Ja, da sind die Impfskeptiker, die ideologisch großgezogen wurden durch die neuerdings allergrößten Impf-Fans, durch die Grünen. Es sind jene, die dafür gesorgt haben, dass der damals größte Pharmakonzern der Welt, Hoechst, sich verkauft hat, weil nach einem Dutzend Jahren der Reaktor mit genveränderten Bakterien, die Insulin produzierten, immer noch nicht genehmigt wurde und stattdessen Millionen von Schweinen als Rohstoff ihre Leber und ihr Leben lassen mussten. Die Gen-Angst wurde großgezogen; ganze Landstriche deklarieren sich als gen-frei; Unis wurden geschlossen, Felder zertrampelt, Gesetze über Gesetze erlassen, ein transatlantischer Handelskrieg vom Zaun gebrochen – und plötzlich also liegt das Heil im manipulierten Gen? Gen darf nicht in den Joghurt, aber in den Arm gespritzt darf es werden? Die Impfbefürworter ernten jetzt die Früchte des Verteufelns moderner Technik.

Dass diese Wende manchen zu schnell geht, dafür hat sogar so ein Gentechnik-Befürworter wie ich vollstes Verständnis. Erst raus und dann rein in eine Technik ohne Übergang, das ist wirklich erklärungsbedürftig. Jetzt also ist der Teufel der Heiland. Wer’s glaubt, wird selig. Dass viele Migranten ohnehin nicht teilnehmen, sie einen großen Teil der Patienten stellen und sie im Übrigen den täglichen Appell der Politik ignorieren, wie sie jede Integration in die Gesellschaft verweigern: Darüber darf nicht gesprochen werden – also darüber, dass die verhätschelten Kinder der deutschen Politik sich um dieselbe einfach nicht kümmern. Aber offensichtlich sind die bereits entstandenen Parallel-Gesellschaften so vorteilhaft, dass man die Parallel-Gesellschaft der nicht Geimpften gerne befördert.

Und es sind auch nicht die Dummen oder Leichtsinnigen, die sich nicht impfen lassen: Beim letzten Autorentreffen von TE im fröhlichen Spätsommer haben die nicht Geimpften erzwungen, das sich die Geimpften auch testen lassen vor dem gemeinsamen Zusammenrücken. Eher wurden die Geimpften leichtsinnig, lebten so sorglos, wie man es ihnen eingeredet hatte, und im kleinen Feld unserer Beobachtung sind wohl auch deshalb die Geimpften die Erkrankten. Impfung ist eben kein Allheilmittel; wie wäre es mit Vorsicht, Abstand und Stärkung des eigenen Immunsystems? Man muss ja nicht gleich Homöopath sein oder Steiner-Anhänger, aber dass der Pieks uns befreit, ist eine Illusion, wie mittlerweile auf den Intensivstationen und Friedhöfen zu verfolgen ist: Corona holt sich auch Geimpfte, und das nicht zu knapp.

So wird die Corona-Politik zum Treibstoff für Rebellion bei den Jungen, vergiftet das Vertrauen in die Gesellschaft bei vielen Leistungsträgern, verbittert bislang Unpolitische und lässt sie vor Wut die Faust ballen. Vorerst noch in der Tasche.
Diese Art von Politik versucht das Unmögliche: nämlich ein aktives Drittel der Bevölkerung auszugrenzen. Viel Erfolg beim Scheitern. Es beschleunigt nur den Zerfall des letzten bürgerlichen Zusammenhalts. Nicht Geimpfte ziehen sich zurück; aus der freiwilligen Feuerwehr, dem Sportverein, der Stammkneipe, dem Rotary-Verein. Auf den Rückzug folgt die Suche nach Alternativen, sobald Netflix leer geguckt ist: Längst gibt es Dating-Portale für nicht Geimpfte; private Treffen ersetzen den Restaurant-Besuch, Hauskonzerte den Konzertsaal, Privat-Unterricht den maskierten. Bald wird es wie im Zeitalter der Prohibition Flüsterkneipen geben.

Und es sieht so aus, als ob die Wähler der SPD Olaf Scholz nicht über die rote Linie folgen, wie er die Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit kleinredet; und es sieht so aus, als ob die FDP schon wieder zerfällt. Dabei haben die Ampel-Chefs noch nicht einmal im Dienstwagen Platz genommen. Irgendwann wird Widerstand politisch. Gaucks böses Wort vom „hellen und dunklen Deutschland“ aus dem Jahr 2015 hat nur die Reihen um die AfD in Ostdeutschland dicht geschlossen. Möglicherweise sind die „Bekloppten“ aber auch im Westen künftig nach dieser Art von Wählerbeschimpfung durch die Politik nicht mehr zugänglich.

Man sollte nicht glauben, dass noch mehr Polizei da hilft; es ist eine Frage der Quantität. Bei einem Drittel Widerborstiger scheitern Zwangsmaßnahmen. Charles-Maurice de Talleyrand versuchte einst, den französischen König zu belehren: „Sie können mit einem Bajonett alles machen, aber Sie können nicht darauf sitzen.“ Der König hörte nicht. Die Folgen für das schöne Köpfchen der Marie-Antoinette sind bekannt.

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