Tichys Einblick
Republik der Selbsttäuschung

„Hambi muss leben“ – wie Symbol-Politik bittere Realitiät wird

Der Stopp des Tagebaus im Hambacher Forst ist ein Sieg der Symbolpolitik und der richtigen Haltung. So werden Fakten geschaffen, über die man vor lauter Symbolik nicht nachdenken mag. Realität und Rechtsstaat kommen später.

Sascha Schürmann/AFP/Getty Images

Der Energiekonzern RWE darf vorerst ein Stück Wald nicht abholzen, um die darunter liegende Braunkohle für die Stromerzeugung zu gewinnen. Es geht um den „Hambi“, wie der Wald verniedlichend genannt wird. Die Kindlichkeit der Sprache entspricht der Argumentationstiefe.

Sieg für ein Symbol

Die Gegner bejubeln das als „Symbol“ für den Sieg über die Kohleverstromung. Der Wald ist nur noch ein Restbestand; eine vielfach größere Waldfläche wird buchstäblich nebenan abgeholzt, um Windräder aufzustellen. Rein rechnerisch beträgt der Waldverbrauch der Windräder ungefähr das 45-fache des strittigen Waldes bei vergleichbarer Energieerzeugung. Aber Rodungsflächen für Windräder eignen sich eben nicht zum „Symbol“. Das ist die Vernichtung von Wäldern bundesweit gewollt; auch die letzten Fast-Urwälder in Hessen müssen da weichen. Sie sind dummerweise kein Symbol.

Weltweit werden je nach Quelle zwischen 1.350 und 1.600 Kohlekraftwerke gebaut, in Südafrika sind einige der größten der Welt geplant. Der „Sieg” im Hambacher Forst ist reine Augenauswischerei.

Fledermäuse setzen ein Zeichen

Mit Gewalt und Tricksen
Hambacher Forst – um Natur und Umwelt geht es nicht
Begründet wurde der vorläufige Stopp mit angeblichen „Bechsteinfledermäusen“, die unter Artenschutz stünden und vom fortschreitenden Tagebau sicherlich vertrieben werden würden. Aber gibt es überhaupt noch Fledermäuse in einem Wald, in dem Zehntausende demonstrieren und sich schwere Schlachten mit der Polizei liefern, in einem Wald, in dem ganze Baumhaussiedlungen als Festungen gegen die Räumung gezimmert wurden? Die Fledermäuse sind vermutlich längst weg; wie übrigens 1.100 Bewohner naher Dörfer, die umgesiedelt wurden und denen dieser nur noch symbolische Schutz nicht gewährt wurde. Aber, so die Demonstranten, es gehe darum, ein „Zeichen“ zu setzen gegen den fortschreitenden Klimawandel. Und deshalb bauen sie erneut Baumhäuser. Als Symbol für „Hambi“. Der Jubel in den Medien ist groß. Symbolisch ist das Ende der Kohle besiegelt, das Ergebnis einer Kohlekommission wird damit als vorweggenommen betrachtet.
Auch das Gericht entscheidet symbolisch

Verstand statt Glaube
Hambacher Forst: Waldflächenbedarf bei Windmühlen 45-fach
Es sind also ziemlich viele Symbole im Spiel, daran orientieren sich Medien und Politik in ihrem Handeln und wohl auch Richter des zuständigen Oberverwaltungsgerichts, die Entscheidungen treffen, die wiederum Medien und Politik gefallen. Sie haben abgewogen und das Recht der Fledermaus zumindest vorübergehend über das der bisherigen Genehmigungen gestellt. Das kann man so machen – oder auch nicht. Die Richter wissen sich in Übereinstimmung mit Demonstranten und ihrer Rechtsinterpretation. Symbole werden Wirklichkeit.

Aber gibt es auch Fakten, jenseits von „Zeichen“ und „Haltung“ und dem Schutz von niedlichen Fledermäusen, über deren siegreichen Kampf gegen die Kohlelobby und Industriebagger sicherlich bald Kinderbücher geschrieben und Stofftiere entworfen werden? Die Fledermäuse vom „Hambi“ werden bald die Kinderzimmer schmücken, wie schön ist das denn?

Symbole werden Realität

Vermutlich schon im kommenden Jahr, noch ehe die langsamen Gerichte in NRW ihre jetzige „Eilentscheidung“ endgültig bestätigt oder verworfen haben, werden die Braunkohlebagger ihre Betriebe einstellen müssen – einfach, weil sie zu nahe an die 400 Meter hohe Abrißkante heranrücken und unter abrutschenden Erdmassen des Waldes verschüttet werden könnten: Dann ist der Wald weg, der jetzt gerettet wurde. Ohne Terrassierung rutscht er in die Tiefe und es ist vorbei auch mit dem Ausbaggern des bisher erlaubten. Symbole schaffen eine neue Realität.

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Ohne Kohle fehlt der Nachschub für die Großkraftwerke in NRW; der Tagebau speist rund 12 Prozent der Energieerzeugung. Kurzfristig kann sie ausgeglichen werden – durch Importe und teures Erdgas. Dann steigen die Strompreise weiter an, die in Deutschland längst Rekordniveau erreicht haben. Aus Symbolen wird auch Realität für den Stromverbraucher, der noch ein zweites Mal zahlt: Eine Abgabe für stromintensive Industrien, denen man diese Preise nicht zumuten will. Die Umverteilung von unten nach oben, vom Sozialhilfeempfänger zum Industrieunternehmen nimmt weiter zu. Aber es geht ja um Arbeitsplätze. Gerade die Industrie in NRW ist auf hohe Mengen und preiswerte Stromversorgung angewiesen, die noch dazu ständig gewährleistet sein muss, wenn die Maschinenparks nicht zu Grunde gehen sollen.
Das Windrad als Super-Symbol

Mit Windstrom ist das nicht zu machen, zu unstet weht der Wind. Die Windräder dienen eigentlich nicht der Stromerzeugung; nur zu einem Zehntel ihrer Laufzeit speisen sie ins Netz ein. Sie sind eher Symbole des Willens, die Natur dem menschlichen Willen zu unterwerfen:  „Wehe Wind, wir schaffen das.“ Aber auf diese Stromversorgung ist kein Verlass, leider. Der Wind weht, wie er will und oft nicht. In diesem Sommer ist daher der Anteil des Braunkohlestroms von 25,1 Prozent auf 26 Prozent gestiegen – zu viel Sonne, die die Sonnenkollektoren teilweise lahmlegte, zu wenig Wind. Dieser Ausgleichsmechanismus fällt zukünftig weg. Aber wer füllt die Strom-Lücke? Darüber denken wir ein ander mal nach.

Zweierlei Recht?

Das Gericht hat in Kenntnis dieser Lage und unter dem Druck der Demonstranten dem RWE-Konzern die Weiterarbeit untersagt – und der hält sich daran. Die Gegner des RWE halten sich nicht an die Rechtslage. Sie bauen wieder an ihren Baumfestungen; wollen wieder der Polizei ihre Aufgabe schwer machen, das Recht durchzusetzen. Auch Fledermäuse zählen jetzt nicht mehr, wenn es um die gute Sache geht, die über dem Recht steht. Denn Recht gilt in Deutschland nicht mehr gleichermaßen. Industrieunternehmen müssen damit rechnen, dass gültige Genehmigungen widerrufen und wirtschaftliche Schäden hingenommen werden müssen – eine Erfahrung, die im Kleinen derzeit auch Besitzer von Diesel-Autos machen: Zum Zeitpunkt des Erwerbs als umweltfreundlich eingestufte Diesel werden durch anderslautende Gerichtsentscheidungen im Dienste von Politik und NGO plötzlich zum rollenden Schrotthaufen. Das sollte zum Nachdenken Anlass geben:

Der Marktausblick
RWE unter Druck: Wie sicher ist die Energieversorgung noch?
Welche Auswirkungen haben solche Gerichtsurteile auf Investitionen von Unternehmen wie Privaten? Der Dieselfahrer erlebt, was Industriebetriebe und die gesamte Energiewirtschaft schon hinter sich haben: Eine einmal erteilte Betriebsgenehmigung ist nichts mehr wert. sie kann unter dem Druck der Straße mit Zuhilfenahme einer Fledermaus wiederrufen werden.

Bei Industrieunternehmen handelt es sich jeweils um Hunderttausende, manchmal sogar Milliardenbeträge. Ein neues Auto, das billigst nach Süd- oder Osteuropa exportiert werden muss, richtet beim privaten Haushalt ähnliche Schäden an. Längst ist der Umweltschutz zum Symbol verkommen – stinkt ein Diesel in Spanien oder Polen weniger als in Deutschland? Dabei geht es nicht nur um Geld. Der Staat wird zum Investitionshemmnis. Stabile rechtliche Rahmenbedingungen, die Voraussetzung für langfristige Investitionen und Wohlstand, gibt es in Deutschland so nicht mehr.

Bislang galt Deutschland als rechtssicheres Land – heute sind Genehmigungen nur noch wenig wert, wenn es reicht, ihnen ein Symbol entgegenzuhalten. Und so werden aus Symbolen Fakten. Möglicherweise auch unangenehme, die wirken, wenn der Freudenrausch längst verraucht ist.