Tichys Einblick
Gibt es auch ein Recht für Gefährdete?

Fünf Irrtümer im Asylrecht

Familiennachzug auch für „Gefährder“, umfangreicher Rechtsschutz gegen Abschiebung mit dadurch ausgelöster Bleiberechtsautomatik und vollem Zugang zum Sozialstaat: Was will dieser Staat eigentlich?

© Sean Gallup/Getty Images

Auch Gefährder sollen zukünftig über eine „Härtefallregelung“ ihre Familien nach Deutschland nachholen dürfen. Ach was: Sie sollen auf Kosten Deutschlands eingeflogen werden. Die Bundeskanzlerin betont nach den Vorfällen in Ellwangen, dass es mit ihr keine schnellen Entscheidungen geben werde: Deutschland sei ein Rechtsstaat und es werde uneingeschränkt von rechtsstaatlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht.

Gefährder

Die Polizei stuft jemanden als Gefährder ein, wenn er ihrer Ansicht nach politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird. Anis Amri hat mit einem Lastwagen auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin 13 Menschen getötet – er war „Gefährder“, und dass er als solcher nicht hinreichend überwacht wurde, gilt als Versagen der Sicherheitsbehörden.

Der Verfassungsschutz rechnet mehr als 43.000 Menschen zur islamistischen Szene in Deutschland. Diese ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen – vor allem durch den starken Zulauf in der Gruppe der Salafisten, einer besonders konservativen Strömung innerhalb des Islam. Rund 8.650 Leute werden inzwischen der Salafisten-Szene zugerechnet.

Die Sicherheitsbehörden stufen viele Islamisten als gefährlich ein. Etwa 1.100 Personen in Deutschland werden dem „islamistisch-terroristischen“ Spektrum zugeordnet. Über die „Gefährder“ im engeren Sinn gibt es widersprüchliche Angaben.

Bis 1.560 sollen in Deutschland leben, weitere können aus Syrien einreisen. Ein Viertel sind Asylbewerber. Das berichtet der „Spiegel“ unter Berufung auf ein Papier der Bundesregierung. Die Behörden versuchen seit dem Terroranschlag von Berlin „Gefährder“ schneller abzuschieben.

Gefährder brauchen Familie…

Das ist der 1. Irrtum: Es sind, so oder so, liebe junge Leute, die da kommen, schutzwürdig, sie brauchen unsere Hilfe und ganz viel Liebe. (Behaupten nicht die Kommenden, sondern die Willkommenden). Viele von ihnen haben in Syrien gelernt zu töten, zu vergewaltigen, zu vernichten; viele wollen/können sich in Deutschland nicht ändern. Das sollte man wissen, wenn beispielsweise Christiane Reckmann, Vorsitzende des Zukunftsforum Familie, dazu erklärt. „Wir sprechen uns für ein Recht auf Familie für alle Geflüchteten aus, ohne Wenn und Aber! Integration und ein Ankommen in einem fremden Land kann nur gelingen, wenn man seine Lieben in Sicherheit weiß, als Familie füreinander Verantwortung übernehmen kann und gemeinsam lebt.“

Für die Angehörigen der Toten vom Breitscheidplatz und die vielen Verletzten dieser und anderer Anschläge klingt das wie Hohn, wenn dieses Zukunftsforum sich „für alle Geflüchtete ausspricht, ohne Wenn und Aber!“ Man möchte ihr ein „Aber Amir“ entgegenschleudern.

Es gibt einige „Aber“. Zum Beispiel, dass diese Gefährder möglichst das Land verlassen sollen, so die erklärte Absicht der Sicherheitsbehörden. Mit Familie wird das bekanntlich praktisch unmöglich. Kinder sind bevorzugte Instrumente, mit denen Abschiebung verhindert werden kann – wenn eines der Kinder zufällig gerade nicht da ist, verfällt das Familienticket für den Linienflug. Es spricht auch nichts dagegen, dass die Gefährder ihre Familien besuchen – im Heimatland. Denn unabhängig von der kriminellen Absicht, die die Polizei unterstellt und gegen deren Feststellung vor Gericht geklagt werden kann: Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass dieser Staat seine Bürger, übrigens gleich welcher Herkunft oder welchen Aufenthaltsstatus sie auch immer besitzen, schützt.

Peinlich: Lassen Sie uns über Geld reden

Es ist nicht die Aufgabe, Familien weltweit dadurch zu fördern, dass sie nach Deutschland geholt werden.  Auch das geht in dieser Debatte unter: Den Hauptteil der Kosten tragen die Einheimischen. Für Unterhalt, Wohnung und Rente notfalls lebenslang, denn anerkannte Asylbewerber müssen weder Einkommens- noch Wohnungsnachweis bringen.   Damit, so das Zukunftsforum, zukünftig jeder Gefährder „seine Lieben in Sicherheit weiß, als Familie füreinander Verantwortung übernehmen kann.“ Genau das macht der Gefährder eben nicht, er verfolgt ein kriminelles Ziel. Das ist gar nicht familienfreundlich, sondern zerstört – die Opfer und ihre Familien. Dieser Staat hat vorrangig eine Verantwortung für die Sicherheit seiner Bürger, und nicht für das Wohlergehen der Gefährder. Abgesehen davon, was geschieht, wenn der „Gefährder“ zum Täter wird, tötet und getötet wird oder ausnahmsweise auf einen Richter trifft, den ihn lange in das Gefängnis schickt? Wunderbar, die Versorgung der Familie hat der deutsche Steuerzahler zu übernehmen. Über Geld aber reden wir nicht.

Hier zeigt sich ein zweiter Irrtum: Es kostet alles nichts, oder Kosten dürfen keine Rolle spielen. Das „Recht“ steht über allem. So soll es auch sein. Allerdings kann man das Recht so ausgestalten, dass es nicht mehr handhabbar wird. Dann zerfällt es und verliert seine Wirkung. Das erleben wir im Asylrecht.

Von der Überforderung zum Kollaps
Asyl: Der Rechtsstaat kapituliert
Es ist so hochkompliziert, stellt so hohe Anforderungen an Entscheider und Richter, dass bekanntlich die Verfahren viele Jahre dauern. Lassen wir uns nicht davon täuschen, dass das BAMF jetzt schneller arbeitet. Das tut es. Aber dann beginnt der lange Rechtsweg. Viele Instanzen. Das habe ich bereits umfangreich beschrieben; nur geringfügig hat sich die Rechtslage gebessert. Dabei geht es nicht um das Asylrecht allein, sondern um die eng verwobenen verschiedenen Rechtsgebiete, die den Aufenthaltsstatus bestimmen und viele rechtliche Möglichkeiten eröffnen – natürlich immer widersprüchlich. Und immer zu Lasten des Staates und seiner Institutionen. (Es geht eben längst nicht mehr um Recht, sondern nur noch um Rechtswege. Das wird massenhaft verwechselt.)

Die Verwaltungsgerichte sind blockiert; wer als normaler Bürger auf ein Verfahren wartet, sitzt auf einer sehr, sehr langen Bank. Hier wird Recht dadurch ausgesetzt, dass es nicht mehr gesprochen werden kann. Rund 370.000 Verfahren sind derzeit bei Gerichten anhängig, weil Asylbewerber die Entscheidung des Bundesamtes für Migration nicht akzeptieren wollen und einen Anwalt beauftragt haben, sich ihrer Sache anzunehmen. Der Anwalt ist selbstverständlich kostenfrei für die Betroffenen – Rechnung geht an den Steuerzahler. So prozessiert man gerne.

Verzögern führt zur Rechtsgewährung

Die hohe Zahl der „Flüchtlinge“ ist dafür verantwortlich, aber auch die ausgefeilte Rechtslage, die noch dazu an einem Fehler krankt: Wer die Verfahren lange genug hinauszögert, erhält nach 5 Jahren eine Aufenthaltsduldung – das Ziel ist erreicht.
Das ist der 3. und fatalste Irrtum. Angeblich kalkulieren ja Juristen nicht, sondern nur Ökonomen. Aber über Fehlanreize darf man schon sprechen: Das Asylrecht ist m.W. das einzige Rechtsgebiet (über Gegenbeispiele wäre ich Fachkundigen dankbar), in denen Zeitverzögerung das gewünschte Ergebnis mit sich bringt.

Eine verzögerte Umsatzsteuererklärung, ein zu spät bezahltes Knöllchen, ein falsch oder terminlich zu spät gestellter Bauantrag oder sonstige Verpflichtung: Zack! Strafzinsen sind noch das Mindeste. Kürzlich brauchte eine Behörde 8 Monate für die Bearbeitung eines sehr simplen Gewerbesteuerbescheids. Bereits für die lange Bearbeitungszeit gibt es Strafzinsen …

Wer die Bearbeitung im Asylrecht verzögert, gewinnt. Das ist der Grund, warum Pässe weggeworfen werden, während Geld und Handy die gefahrvolle Reise in der Regel überstehen: Allein der neue Pass kann Jahre dauern. Ziel erreicht durch selbstverschuldete Aktion. Versuchen Sie das mal ihrem Finanzamt klar zu machen, dass sie leider für die vergangenen 3 Jahre ihre Unterlagen verlegt haben oder Ihren Einkommensnachweis. Viel Glück …. SIE zahlen, nicht das Amt.

Abschiebung? Klappt nicht

Das Ganze wiederholt sich bei bei Abschiebungen in verschärfter Form. Daher ist es richtig, zukünftig „Ankerzentren“ einzuführen, die diese Verfahren beschleunigen sollen. Allerdings: Noch sind sie nicht in Betrieb, der Widerstand dagegen ist gewaltig. Vor allem aber: So lange der Rechtsweg so kompliziert bleibt, wird kaum Zeit gespart – die magische Jahreszahl bleibt weiter bestehen. Der Widerstand wird immer von der Vorstellung befeuert, dass es die Aufgabe Deutschlands sei, möglichst viele „Flüchtlinge” im Land zu retten. Sparen wir uns die Debatte darüber, dass alleine mit den Rechtsanwaltskosten vermutlich der zehnfachen Zahl von Betroffenen im Jemen etwas geholfen werden könnte. Aber bekanntlich kalkulieren Juristen nicht. Judex non calculat.

Zwei Sorten Recht

Auch Politikern fällt es schwer zu akzeptieren, dass längst zwei Sorten Recht geschaffen wurden: Während Einheimische um jeden Cent bei Krankenkasse, Sozialhilfe und Rente fighten müssen, werden gleichzeitig Hunderttausende von Ansprüchen stillschweigend akzeptiert. Denn das ist ja die Folge dieser Einwanderung: Es ist über lange Zeit, in vielen Fällen für immer, eine Einwanderung in den Sozialstaat.

Es herrscht ein seltsames Weltbild vor: Die Ressourcen dieser Gesellschaft sind praktisch unendlich vermehrbar; Geld, Wohnung, Jobs, öffentliche Dienstleistung.

Es ist Irrtum Nummer 4.

Nur für die Zuwanderung gilt die Grundregel: Im Zweifelsfall für die Einwanderung. Die Interessen der bestehenden Gesellschaft werden nicht in diesem Maße berücksichtigt. Wir sind ja ein reiches Land! Das Elend weltweit ist gigantisch! Jedem helfen! Nicht nur den tatsächlich Bedürftigen. Auch Gefährdern. Notfalls mit einer „Härtefallregelung“. Denn die Härte des Gesetzes gilt in diesem Fall nicht.
Und so kommt es zum 5. Irrtum: Das Recht wird außer Kraft gesetzt.

Das Recht wird immer offener gebrochen

Verfolgen Sie die Berichterstattung über Ellwangen: Die Süddeutsche Zeitung erfand den Begriff vom „sanften Gesetzesbruch“ – diesen wirklichen Anschlag lesen Sie hier.

Dabei war auch vom Kirchenasyl die Rede, das der Gerechtigkeit Asyl gewähre. Im konkreten Fall, auf den diese Formel vom „sanften Gesetzesbruch“ angewandt wurde, hat der Kirchenasylant zwei Menschen auf die grausamste Art getötet. Es werden eben nur die Rechte des Asylbewerbers gesehen, nicht die Rechte der Menschen auf Unversehrtheit und schlicht: Leben. Das Recht wird blind und dann noch verbogen. Es gibt möglicherweise bald eine neue Härtefallregelung zu Gunsten von Gefährdern, aber nicht für Gefährdete. Ist das wirklich richtig? Wollen wir das wirklich? Warum machen wir das? Fragen, die ermüden.

Denn an anderer Stelle war von „zivilem Ungehorsam“ die Rede, die die „Geflüchteten“ in Ellwangen dazu legitimiert habe, Polizisten zu verjagen und sie dazu zu zwingen, einem Abzuschiebendem die Handschellen wieder abzunehmen. In beiden Fällen wird verharmlost und beschönigt, ein buchstäblich rechtsfreier Raum entsteht.

Alles aus bester humanitärer Absicht. Die aber vergisst, dass es auch andere Menschen gibt und deren elementare Rechte.