Tichys Einblick
Was, wenn eine Krise kommt?

Der Fall Maaßen: Das Komplettversagen der GroKo

Der Fall Maaßen zeigt das Versagen der GroKo - und wie selbstverständlich der Staat zur Beute genommen wird. Nicht einzelne Fehlentscheidungen sind beängstigend - es ist das Komplettversagen von Regierung und der sie tragenden Parteien.

Getty Images

In der Nacht vom 4. auf den 5. April 1986 explodierte in der Berliner Disco La Belle eine Bombe. Drei Tote, 28 Schwerverletzte, hunderte Verletzte. Lauteten die ersten Agenturmeldungen, jeweils vier Worte lang, um die langsam ratternden Fernschreiber nicht zeitlich zu überlasten – Twitter heute ist ein Roman dagegen …

Den Kanzler aufwecken?

Ich erinnere mich daran, weil ich damals im Lagezentrum des Bundeskanzleramts die Nöte des Beamten vom Dienst mitbekam, bei dem solche Meldungen aufschlagen:

Den Kanzler wecken? Wegen einer Bombe? Das konnte einen Wutausbruch zur Folge haben; nicht jeder Verkehrsunfall darf die Nachtruhe stören.
Den Kanzler nicht wecken? Wenn der Vorfall doch wichtig ist – bedeutet das eine Krise und EDEKA – Ende der Karriere.

Im Minutentakt wurden Fakten zusammengetragen. LA BELLE wurde hauptsächlich von US-Soldaten besucht, zwei von ihnen waren sofort tot, und eine Besucherin türkischer Herkunft ohne Militärstatus.

Aus der Bombe wurde eine hochpolitische Angelegenheit.

Bereits am Tag nach dem Anschlag beschuldigte US-Präsident Ronald Reagan den libyschen Revolutionsführer und Staatschef Muammar al-Gaddafi, das Attentat angeordnet zu haben.

Den Kanzler doch aufwecken

Am 14. April 1986 um 17.36 Uhr (GMT) starteten auf den Luftwaffenstützpunkten Lakenheath und Upper Heyford in Großbritannien 24 Kampfflugzeuge mit den Bombardierungs-Zielen Tripolis und Bengasi in Libyen. Aus einer Bombe und drei Toten erwuchs ein militärischer Konflikt mit vielen Opfern.

Dafür muss der Kanzler geweckt werden.

Ich erzähle diese Geschichte, um zu illustrieren, wie präzise Regierungshandeln sein muss, wie genau Informationen gesammelt und wie sorgfältig sie bewertet werden müssen. Dafür steht eine riesige Maschine aus Polizei, Staatsschutz, Verfassungsschutz, Bundeswehr, Innenministerium und anderen Behörden zur Verfügung, die letztlich in eine Frage münden: Wichtig genug, um den Kanzler morgens um vier zu wecken? Damit er den US-Präsidenten anrufen kann? Und noch etwas ist wichtig: Respekt vor den Männern und Frauen, die im Sicherheitsapparat die Entscheidungen vorbereiten, die über Leben und Tod bestimmen.

Die Dilettanten von Berlin

In Chemnitz wurden drei Einheimische von Asylbewerbern mit Messern angegriffen; Angreifer, die der Polizei längst bekannt und deren Verwicklung in linke Terrororgansiationen ebenfalls klar sind. Am Tag danach kommt es zu Demonstrationen.

Aus Afrika läßt die Kanzlerin die Demonstrationen als „Hetzjagden“ und Pogrome verurteilen. Ihr Wort basiert auf einem in der Aussage höchst unklaren 19-sekündigen Video, das eine fragwürdige Organisation „Antifa Zeckenbiss“ angeblich von einer rechten Site kopiert hat. Seibert und Merkel sprechen von Videos (Mehrzahl), die vorlägen. Den Sicherheitsapparat haben die Reisenden wohl erst gar nicht gefragt. Jedenfalls hat niemand etwas davon gehört.

Aha. Fragen schließen sich an.

Hätte man Helmut Kohl wegen eines Videos von „Antifa Zeckenbiss“ geweckt? Wohl nicht.

Hätte Kohl wegen eines Videos von „Antifa Zeckenbiss“ auch nur ein Wort öffentlich gesagt? Wohl nicht.

Hätte er seinen Geheimdienstchef versucht zu entlassen, der auf diese Fragwürdigkeit hingewiesen hat? Wohl nicht.

Hätten Gerhard Schröder und Helmut Schmidt so gehandelt wie Kohl? Vermutlich ja.

Und das ist es, was Sorge bereitet. Der Dilettantismus im Kanzleramt und in den Regierungsparteien.

Die SPD versinkt im selbstgenannten Chaos

Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles verlangt, den Geheimdienstchef zu feuern. Die Gründe dafür sind banal. Er habe die Kanzlerin öffentlich widersprochen, kritisiert. Aha. Wir lernen: Widerspruch führt zum Amtsverlust, wenn es nach der SPD geht.

Die Kanzlerin macht sich diese Position zu eigen, kann sich aber gegen den unmittelbar verantwortlichen Innenminister nicht durchsetzen. Hektische Koalitionsgespräche, in der sich die sozialdemokratischen Minister zum Teil beteiligen; es ist der grandiose SPD-Abgeordnete Kalt Lauterbach, der zum vorläufigen Ende davon spricht, die SPD habe den Geheimdienstchef aus dem Amt „gejagt“.

Der Betroffene wird aber befördert; das ist Horst Seehofer hoch anzurechnen.
Dafür wird ein anderer Amtsinhaber in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Das könnte den Steuerzahler ärgern, denn er bezahlt dann eine monatliche Spitzenpension für einen 55-Jährigen, der nur am falschen Platz stand.

Aber darum kümmert sich niemand.

Die Angst wächst. Was machen die da?

Nur die SPD erhebt ein erneutes Protestgeschrei. Denn es ist ein SPD-Staatsekretär. Wir erfahren: Staatssekretäre sind nicht wegen inhaltlicher Kompetenz an der Spitze ministerieller Arbeitsbereiche, sondern wegen Parteizugehörigkeit. Seine neuerdings hochgelobte Kompetenz hat der SPD-Staatsekretär als Leiter des Vorstandsbüros der SPD erworben. Das ist ein Posten, auf dem man sich bekanntlich Tag und Nacht mit Bauen und Wohnen beschäftigt. Und damit die SPD nicht weint, verspricht Angela Merkel, dass sie ihm ein neues Pöstchen besorgt. Und während die Kanzlerin noch sucht, beschließt Andrea Nahles wiederum, die Versetzung von Maaßen, der sie zugestimmt hat, doch nicht zu wollen.

Deutlicher kann nicht vorgeführt werden, wie unangemessen diese Bundesregierung mit öffentlichen Ämtern umgeht. Die Top-Positionen des Staates sind längst Beute der Parteien – und nicht nur diese. Parteibuch zählt, nicht Kompetenz; Versorgungsdenken, nicht Qualifikation regiert dieses Land.

Bundeskanzler sind keine Waisenknaben, waren es noch nie, sie sind auch keine Waisenmädchen, sondern mit allen Wassern gewaschene Machtpolitiker/innen. Aber die zur Schau gestellte Inkompetenz, zwei Wochen lächerliche Machtspielchen mit peinlichem Ausgang, lässt nur Verlierer zurück. So kann Nahles in einem Kindergarten regieren, aber nicht ein Land.

Das ist keine Regierung mehr, sondern eine Lachnummer.

Deutschland kann nur hoffen, dass nicht eine wirkliche Bombe explodiert oder ein wirkliches Problem auftaucht.

Denn die Regierung kann es nicht.

Und La Belle? Am Ende standen Verurteilungen von Tätern nordafrikanischer Herkunft und Verbindungen.