Tichys Einblick
Wie steigert man "alternativlos"?

Corona-Demokratie: Die Vollendung der Spaltung

Immer weitere Teile der Bevölkerung werden als "rechts" erklärt. Angela Merkel treibt die Spaltung der Gesellschaft auf die Spitze. Das Gleichgewicht von links und rechts soll ausgehebelt werden.

imago images / Future Image

Demokratie ist, wenn man trotzdem miteinander spricht. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Aber wann hat man das Wort von der „Gemeinsamkeit der Demokraten“ zum letzten Mal gehört?

Verschwunden: Die Gemeinsamkeit der Demokraten

Es ist ein Begriff, der irgendwann in den 2010-erJahren verschwunden ist. Das ist kein semantischer Zufallsverlust. Es ist die Folge, dass sich der Stil der Politik dramatisch geändert hat. Es begann mit der von Angela Merkel dekretierten „Alternativlosigkeit“ der Griechenlandhilfe und später der ebenso „alternativlosen“ Eurorettung; jeweils in der Größenordnung von einigen Hundert Milliarden zu Lasten des deutschen Sparers. In der Demokratie ist aber nichts alternativlos.

Es gibt teurere und billigere Alternativen, solche die tauglicher sind oder weniger geeignet, und das unterscheidet sich oft nur nach Sichtweise des Betrachters. Unterschiedliche Meinungen sind möglich, ja erwünscht. Die eine, reine, alternativlose Wahrheit gibt es nur in Diktaturen, in denen nur einer über den einen, den wahren Weg zum Glück Bescheid weiß, und alle dahin führt, oder wenn sie es nicht erkennen mögen: zu ihrem Glück zwingt. Alternativlos.

Wenn etwas alternativlos ist, dann braucht es auch keine Demokratie, keine Diskussion, kein Parlament. Wenn etwas wirklich unausweichlich ist, dann muss es leider erlitten oder ertragen werden, darüber kann man nicht abstimmen und warum dann noch darüber debattieren?

Es war insofern kein Zufall, dass Merkels alternativlose Griechenlandrettung 2011 beispielsweise nur nach kurzer Debatte im Parlament verabschiedet wurde; und nur zwei Redner durften mit Ausnahmegenehmigung des Bundestagspräsidenten dagegen argumentieren.

Diese Alternativlosigkeit hat trotz ihrer vermeintlichen Alternativlosigkeit Widerspruch herausgefordert, Gedanken in Gang gesetzt, Nachdenken provoziert.

Wie steigert man „alternativlos“?

Aber wie steigert man Alternativlosigkeit? Merkel hat auch darauf in ihrer Vergangenheit eine Antwort gefunden. Es ist die moralische Überhöhung des vermeintlich Alternativlosen, in das sie ihre persönliche Meinung kleidet. Wer seit 2015 ihrer Flüchtlingspolitik widerspricht, ist „Dunkeldeutschland“ oder “Pack“, wie es Sigmar Gabriel, damals Vizekanzler und SPD-Vorsitzender griffiger ausdrückte.

Kritiker sind, als Steigerung der Bösartigkeit so nur in Deutschland vorstellbar, „rechts“. Bis zu diesem Zeitpunkt lebte Deutschland ganz zufrieden im Wechselspiel von Links und Rechts. Selbst radikale Linke und radikale Rechte gehörten noch zum demokratisch möglichen Spektrum, nur zum Umsturz aufrufende Extremisten beider Seiten gehörten nicht zur Gemeinsamkeit der Demokraten. Es wurde noch unterschieden zwischen Linken, Rechten, Radikalen und Extremen.

So etwas kennt die Kanzlerin heute nicht mehr, sie kennt nur Linke. Aber natürlich waren die Bundeskanzler Helmut Kohl und Helmut Schmidt rechts, wenn man sich der heutigen Lesart und Etikettierung befleißigt. Heute hätte beide keinen Listenplatz in SPD oder CDU.  Das demokratische Spektrum wurde mit der moralischen Überhöhung verengt. Die Gemeinsamkeit der Demokraten hörte auf zu existieren, sie wurde durch eine „Cancel Culture“ ersetzt, die jeden eigenen oder abweichenden Gedanken aus Parlamenten, von Podien und Sendeplätzen entfernt, ihm den Arbeitsplatz streitig macht und dessen Reputation zerstört.

Deutschland in der Eskalation der Ausgrenzung

Der vorläufige Höhepunkt ist die Begründung des Demonstrationsverbots durch den Berliner Innensenator. „Ich bin nicht bereit ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird“, sagt er und wird damit von der offiziellen Pressemitteilung des Senats zum Verbot der Demonstrationen zitiert. Er will die Polizei mit aller Härte durchgreifen lassen.

Nun sollte man sich wirklich einmal anschauen, gegen wen sich die Drohung richtet. Es geht nicht um Corona. Auch über Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie kann und muss in Demokratien gestritten werde, und dazu gehört die Demonstration. Man kann gegen die Zielrichtung dieser Demonstrationen sein, aber als Demokrat sollte man für das Demonstrationsrecht sein, auch wenn es einem nicht behagt.
Aber um genau das Auszuhebeln werden auch harmlose Bürger in das Links-Rechts-Schema gepresst; ein Schema, das schon lange nicht mehr passt; eine Gesäßgeographie, die eigentlich längst auf den Müllhaufen untauglicher politischer Konzepte gehört. Aber im neuen Deutschland ist es die Scheidelinie. Es geht nur links, und rechts geht gar nicht.

In dieser Eskalation der politischen Radikalität von links geht nicht nur das Demonstrationsrecht vor die Hunde. Es verfallen auch andere demokratische Institutionen. Bislang wurde die Polizei von linken Spinnern bekämpft und unter Rassismusverdacht gestellt. Jetzt wird einer dieser Beamten dazu gebracht, eine harmlos, zu nahe an einem Ministerauto auf dem Boden sitzende Frau mit Würgegriff zu quälen. Sinnlos, brutal, unverhältnismäßig wie jüngst in Wuppertal.

Man spürt, wie sich die staatstragende Mitte aus diesem Land verabschiedet. Wenn es also so ist, dass der linke Marsch durch die Institutionen so erfolgreich war und alle auf links gebürstet werden, dann werden immer mehr Bürger zu Fremden im eigenen Land. So gerät die Polizei in die Zwickmühle zwischen linker Politik und der Mehrheit der Bürger. Bislang unabhängige Gerichte werden mithilfe der CDU mit Linken besetzt, die man ohne Übertreibung wirklich als „Verfassungsfeinde“ bezeichnen kann und jetzt diese Verfassung beurteilen sollen.

Ein Land kommt ins Rutschen: Die bisherigen Grundsicherheiten sind verloren gegangen: Der Glaube an die Solidität des Rechtsstaates, das Vertrauen in die Währung, die prinzipielle Vernunft handelnder Politiker, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, die Sicherheit von Arbeitsplatz und Zukunft. Eurokrise, Europakrise, Migrationskrise, Klimakrise, Coronakrise, dazwischen noch Rassismus und Ernährungskrise, Ausstiege aus Bewährtem und Einstiege in ein vages Irgendwo – ein Land wird im Krisenmodus regiert, der immer neue Rechtsverstöße legitimieren soll.

Das ist der eigentliche Humus der aktuellen Demonstration: Man möchte in Ruhe gelassen werden von einer aktivistischen Politik, die erkennbar verschleudert, was sie vorgefunden hat und sich trotz ihrer erkennbaren Unfähigkeit in immer mehr Details einmischt. Womit wir fahren oder heizen, was wir essen, wie wir denken, wo noch Urlaub erlaubt ist, wann wir arbeiten gegen dürfen und wie oft wir den Hund Gassi führen. Die Bevölkerung ist nur noch Verfügungsmasse immer schrillerer Ideen und immer noch größerer Allmachtsphantasien – deren Umsetzung krachend scheitern.

Über Politik wird nicht mehr verhandelt

Merkel verhandelt ihre Politik nicht mehr, schon gar nicht im Bundestag. Sie überrollt damit die Bürger, und verspricht sagenhafte Rendite jenen, die ihr folgen wie bei der Energiewende. Neuerdings beschreitet sie die nächste Eskalationsstufe und lässt die Polizeiknüppel tanzen. Auf dem Rücken der Bürger.

„Sire, Sie können mit einem Bajonett alles machen, aber Sie können nicht darauf sitzen“, hat Charles Maurice de Talleyrand seinem König Königs Louis-Philippe entgegengehalten.

Das wird auch Merkel lernen müssen. Gegen die Bevölkerung kann sie nicht regieren. Und ihre Spaltung teilt die Bevölkerung in ungleiche Hälften. Merkels Anhängerschaft schrumpft. Bei den anderen wächst nicht nur die Zahl, auch der Zorn. „Versöhnen statt Spalten“ war das Motto von Johannes Rau (SPD).

Diese Überlegung ist Merkel so fremd wie die ursprüngliche politische Kultur des Landes, denn sie verfolgt eine eigene Agenda der Krisenpolitik. Ihr andauerndes Krisen-Getue und Weltrettungspathos führte zuletzt in eine Corona-Demokratie immer begrenzterer Freiheit und schrumpfenden Wohlstands sowie begrenzter Zukunftsfähigkeit. Dazu paßt ein Verbot der Demonstrationen wie die Faust aufs Auge und der Knüppel ins Kreuz.

Anzeige