Tichys Einblick
Die EU versucht die Insel zu erpressen

Brexit: Nach der Luftschlacht jetzt Tomatenschlacht?

Keine frischen Tomaten und Erdbeeren mehr in Großbritannien? Die EU droht den davon segelnden Briten mit Versorgungsengpässen. Eine Art Kontinentalsperre - so etwas gab es schon öfter. Geholfen hat es nie.

© bwb-studio/Getty Images

Wer an einen sauberen Brexit geglaubt hat und an Vernunft in Brüssel, der sieht sich getäuscht: EU-Unterhändler Michel Barnier droht mit „Chaos an den Grenzen, Versorgungsprobleme für Großbritannien, besonders bei frischen Produkten und ernsthafter Störung des Flugverkehrs“, wenn nicht schnell ein Vertrag geschlossen werde. Das ist natürlich eine schlichte Drohung: Vertrag zu Gunsten der EU oder Aushungern.

Man konnte schon viel aus Brüssel und in den Medien lesen, was nach Drohung und Häme klingt – selber eingebrockt, sollen schauen wo sie bleiben, ganz allein da draußen im Dschungel der Globalisierung. Wären sie bloß daheim geblieben! Und jetzt auch keine frischen Tomaten aus Holland mehr, kein Brokkoli aus Spanien und kein Käse aus Deutschland! Armes Großbritannien! Gib klein bei! Kehre zurück in den Schoß der allmächtigen und gütigen Mutter Europa! Schwöre der Freiheit ab!

Betrachten wir es einmal anders herum. Die EU hat 20 Mitglieder verloren. Die gesamte Wirtschaftsleistung Großbritanniens entspricht in etwas der Wirtschaftsleistung der 20 kleinen EU-Staaten. Diese Rechnung, die von Hans-Werner Sinn stammt, macht das wirtschaftliche Gewicht des Brexits deutlich: Diese Insel ist nicht Malta oder das halbe Zypern, sondern etwas größer. Viel größer.
Es verschieben sich damit die Gewichte innerhalb Europas. Nach den Verträgen von Lissabon soll sichergestellt werden, dass die Zwerge nicht die Großen dominieren, wenn abgestimmt wird. Finden sich also Staaten zusammen, die mindestens 35 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, dann haben sie ein Vetorecht. Bislang musste Deutschland die Briten, Niederlande, Österreich und Finnland auf seine Seite ziehen, um ein Veto zu erzielen. Nach dem Brexit reicht dieses häufig eingesetzte Bündnis der nördlichen, marktwirtschaftlich orientierten Staaten nur noch für 25 Prozent der Bevölkerung – zu wenig, für die Durchsetzung der Nord-Interessen gegen die südlichen Staaten.

Grundfehler EU-Subventionen
Das Geld anderer Leute
Deutschland ist heute schon der größte Netto-Zahler in der EU. Die EU wurde immer größer und damit immer teurer. Naiv ist, wer glaubt, dass eine sich verkleinernde EU billiger würde. Sie wird teurer, weil nicht ein Netto-Empfänger geht, sondern ein Netto-Zahler. Außenminister Sigmar Gabriel hat längst die Erhöhung der Zahlungen in den Raum gestellt. Er sagt, das mache nichts aus. Denn das Geld käme über den Export wieder herein. Das ist eine ziemliche Milchmann-Rechnung. Heißt das, dass wir über Steuern die Exporte bezahlen? Leider geht die Gleichung nur andersherum auf: Großbritannien ist der drittgrößte Handelspartner Deutschlands. Wir haben ein elementares Interesse daran, dass wenigstens die Handelsbeziehungen ungestört weiter laufen. Höhere Steuermittel für Südeuropa kann das Wegbrechen des Handels mit der Insel nicht kompensieren.

Das Wachstum in Europa stagniert in den vergangenen Jahren. In Großbritannien war es streckenweise drei mal so hoch. Und in der gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik fehlt der Beitrag der Briten, die militärisch immer noch eine maßgebliche Macht mitsamt Atomwaffen darstellt: Gerade jetzt ist das eine schmerzliche Lücke, schließlich fordert US-Präsident Donald Trump nicht ganz zu Unrecht höhere Verteidigungsleistungen Europas ein.Wie man es auch hin- und her rechnet – eine Bestrafung Englands ist nicht der richtige Weg. Die Frage muss andersherum gestellt werden: Wie kann Europa wieder attraktiv werden? Was macht die unschlagbaren Vorteile aus, um diesem Club beizutreten? Wie kann Europa reformiert, seine soziale und wirtschaftliche Selbstlähmung überwunden, das Missbehagen seiner Bürger an vielen Entscheidungen wie der deutschen Migrationspolitik überwunden werden?

Werden diese Fragen nicht beantwortet, wird es zu einem weiteren Erosionsprozess kommen. Weitere Austritte aber kämen nicht von den Schwachen – sondern von starken Ländern. Dass es ohne die EU nicht geht, ist bislang nicht bewiesen. Die Schweiz lebt bestens ohne EU, Norwegen ebenfalls. Wahr ist, dass die EU vor allem wegen der Währungspolitik immer tiefer in die Krise rutscht, Frankreich und Italien ihre Reformen nicht auf die Reihe kriegen und Europa mittlerweile zur lahmen Ente wird. Da helfen Zwangsmaßnahmen und Drohungen mit dem Tomatenkrieg gegen Großbritannien nicht weiter. Im übrigen: Es soll ja innerhalb der EU auch Bauern geben, die Tomaten anbauen und gerne nach Großbritannien liefern. Aber Arbeitslosigkeit und wirtschaftliche Vernunft sind eben für solche „wahren Europäer“ kein Argument.

Im Gegenteil. Die Briten sind ein wehrhaftes und stolzes Völkchen. Mit Drohungen kommt man da nicht weiter. Michael Barnier wird auf diese Weise eher den Widerstandswillen der Briten provozieren – und die EU schwächen.

Zwangsgemeinschaften haben keinen Bestand. Und wer stolz ist auf die EU, der sollte selbstbewußt sein – das überzeugt, aber nicht Mangel an Tomaten und Brokkoli.