Tichys Einblick
Studie des Wuppertal Instituts

Grüne Wasserstoffwirtschaft bedeutet Wertschöpfung in Afrika statt Deutschland

Die Dystopie einer Verarmungswirtschaft und grüne Realpolitik liegen nicht allzu weit auseinander, wie eine Studie des Wuppertal Instituts zeigt. Das grünennahe Institut macht deutlich, wie riskant die Folgen der angestrebten Wasserstoffwirtschaft für Deutschland wären.

Eingangsschild der Vertretung des Wuppertal Instituts in Berlin

IMAGO / Steinach

Es kommt noch vor, dass Studien Erkenntnisse hervorbringen, die vielleicht nicht ganz und gar im Sinne der Auftraggeber sind. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie hat im November 2022 eine Studie unter dem Titel „Synthese und Handlungsoptionen – Ergebnisbericht des Projekts MENA-Fuels“ herausgebracht. Unter dem Kürzel MENA werden die Staaten Nordafrikas und des Nahen Ostens zusammengefasst. In dem vom grünen Habeck-Ministerium finanzierten Projekt ging der grünennahe Think-Tank der Frage nach: „Welche Rolle könnte der MENA-Region bei der Versorgung Deutschlands und Europas mit grünen synthetischen Kraftstoffen, Feedstocks und deren Vorprodukten zukommen?“

Doch anders als die Fragestellung vermuten lässt, ist dieser Bericht aus zwei Gründen sensationell aufregend und erhellend. Vermutlich ohne dass die Projektbeteiligten das wollten, zeigen ihre Zahlen, dass durch die grüne Energiepolitik des Bundeswirtschaftsministeriums kein Wirtschaftswachstum möglich ist, weil die Energiepreise jegliches Wachstum strangulieren würden. Viel wichtiger ist jedoch, dass dieses Projekt den Hintergrund für Habecks Namibia-Politik darstellt und auch das Desinteresse und die Leichtfertigkeit Habecks und seines Staatssekretärs Michael Kellner im Umgang mit der Erdölraffinerie PCK Schwedt erklären.

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Das Wuppertal Institut hat in einer Studie nachgerechnet, was es kosten würde, wenn in den MENA-Staaten (Nahost und Nordafrika) synthetische Kraftstoffe (MENA-Fuels) hergestellt würden. Schließlich gehört die Verlagerung großer Wertschöpfungsketten (WSK) aus Deutschland zur grünen Wasserstoffstrategie. Die Studie ist auch deshalb so entlarvend, weil sie die grundsätzlichen Probleme von Habecks schöner neuer Wasserstoffwelt an der Treibstoff-Frage, an der Produktion beispielsweise von grünem Kerosin, konkret offenlegt. All das, was für Kerosin gilt, kann mutatis mutandis auch auf andere Treibstoffe und auf andere wirtschaftliche Bereiche übertragen werden.

Die Idee lautet: Durch Strom von erneuerbaren Energien soll Wasserstoff hergestellt werden, der mit CO2 zu flüssigen Kohlenwasserstoffen synthetisiert wird. Das CO2 muss aus der Atmosphäre gewonnen werden, wenn es „grünes Kerosin“ sein soll, weil durch die Verbrennung des grünen Kerosins das CO2 wieder an die Atmosphäre abgegeben wird. Schätzungen besagen, dass grünes Kerosin, in den MENA-Staaten oder in Namibia produziert, 4- bis 10-mal so teuer wäre wie Kerosin, das auf der Grundlage von Rohöl hergestellt wird. Folge: Die Energiewende ist wirtschaftlich nicht rentabel darstellbar und führt somit nicht zum Wirtschaftswachstum, sondern zu eklatanten Wohlstandseinbußen.

Der Skandal besteht darin, dass die Deindustrialisierung, die Zerstörung der chemischen Industrie dabei kein Nebeneffekt ist, sie ist der Plan. Dieser Plan zur Transformation in die schöne, neue Wasserstoffwelt beruht zu wesentlichen Teilen auf reinem Wunschdenken. Die Studie räumt zwar ein, dass beispielsweise die Emissionen durch den Flugverkehr nur zu einem Drittel auf die Verbrennung von Kerosin zurückgehen, aber eben zu „zwei Drittel aus Nicht-CO2-Effekten wie der Bildung von Kondensstreifen-Zirren … Der Einsatz synthetischer Kraftstoffe kann daher nur einen begrenzten Beitrag zur Klimaneutralität des Flugverkehrs leisten“; dennoch soll grünes Kerosin hergestellt werden.

Wesentlich wichtiger jedoch ist es, dass hinsichtlich der „Technikbewertung … bei einer Reihe von Technologien (insbesondere bei den Synthesetechnologien, aber auch bei der Wasserstoffherstellung und CO2-Abscheidung) eine Vielzahl von offenen Fragen“ existieren. Im Klartext: Es gibt für technische Schlüsselfragen noch überhaupt keine technischen Lösungen.

Grünen Wasserstoff erhält man nur, wenn man den benötigten Kohlenstoff durch CO2-Abscheidung aus der Atmosphäre holt. Die Studie kommt zu dem Schluss: „Während die deutsche Industrie sehr engagiert in der Entwicklung von Synthesetechnologien und Wasserstoffproduktionstechnologien ist, fehlen entsprechende Entwicklungen bei der CO2-Abtrennung aus der Luft (Direct Air Capture, DAC). Aus der deutschen Industrie sind hier bisher keine Entwicklungen bekannt, obwohl die DAC-Technologie zentral für die Erzeugung klimaneutraler synthetischer Kraftstoffe (und generell negativer Emissionen) ist (Viebahn et al., 2019).“

Aber da in der Welt der Grünen nur der grüne Minister sagen muss, so sei es, dann ist es so, orakelt die Studie: „Da ein sehr großes Marktpotenzial und ein großer Exportmarkt zu erwarten ist, sollte die deutsche Industrie über einen Einstieg in diese Zukunftstechnologie nachdenken.“ Die Grundlage für die Produktion von grünem Kerosin besteht in der CO2-Abtrennung aus der Luft, nur bieten deutsche Firmen keine Anlagen dafür an, mehr noch, sie sind noch nicht einmal in der Entwicklung befindlich – und dennoch wird der Umbau der Wirtschaft unter anderem auf die Existenz dieser technisch nicht oder noch nicht existierenden Verfahren gestellt. Das kommt der Wette auf den Skat gleich.

Aber das ist nicht das einzige Problem, denn die Studie macht eine „große Datenunsicherheit bei den Transportkosten“ aus. Man weiß schlicht nicht, was es kosten würde, grünen Wasserstoff, wenn er in den MENA-Staaten oder in Namibia produziert würde, nach Deutschland transportfähig zu machen und zu transportieren. Daraus zieht die Studie den Schluss, dass aus Kostengründen die Treibstoff-Produktion dorthin zu verlagern wäre, wo der grüne Wasserstoff produziert wird, also in die MENA-Staaten oder nach Namibia. Dazu muss Deutschland den Aufbau der Infra- und der Industriestruktur für die Herstellung von grünem Wasserstoff und der Folgeprodukte in den MENA-Staaten und in Namibia finanzieren: Diese Produktionsstruktur „kann auch geschaffen werden, indem Deutschland sowohl potenzielle Exportländer bei der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen unterstützt als auch Finanzierungsinstrumente entwickelt und z. B. über deutsche Entwicklungsbanken (KfW) und Garantien (HERMES) zur Verfügung stellt“.

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Die Anstrengungen in dieser Richtung müssen „deutlich ausgeweitet werden, um eine schnelle Umsetzung zu ermöglichen und den enormen Finanzierungsbedarf nicht nur für einzelne Pilotprojekte, sondern für ganze Sektoren zu sichern“. Damit würden bedeutende Anteile der Wertschöpfungsketten der chemischen Industrie von Deutschland in die MENA-Staaten und nach Namibia verlagert. Das heißt: Deutschland würde politisch instabile Länder wie Mali, Libyen oder Namibia auf Steuerkosten im selben Maße industrialisieren, wie Deutschland deindustrialisiert wird.

Das Institut mahnt daher: „Aufgrund der Dringlichkeit der Energiewende bedarf es entsprechend auch der zügigen Entwicklung von Geschäftsmodellen.“ Man muss kein Wissenschaftler sein, um zu wissen, dass „die Verlagerung der kompletten WSK von Kraftstoffen und Zwischenprodukten (wie Methanol) in die MENA-Region (Renewables Pull) … den Wandel der Chemieindustrie in Deutschland stark beschleunigen“ würde. Man kann Wirtschaftspolitik mit dem Mittel der Abrissbirne auch „Wandel“ nennen. Die Frage, von welchem Geld die Importe aus Afrika beglichen werden sollen, stellt die Studie nicht, was die Arbeitnehmer in Schwedt oder in Leuna, in Brunsbüttel, in Gelsenkirchen, in Heide, in Hamburg oder in Köln dann tun sollen, wenn ihre Arbeitsplätze nach Afrika verlagert worden sind, auch nicht.

Stattdessen stellt man fest, dass hier „noch großer Forschungsbedarf in Bezug auf die Resilienz von WSK“, also von Wertschöpfungsketten besteht. Deshalb sollte auf politischer Ebene „ein Verständnis für die zukünftige Rolle der Chemieindustrie entwickelt und Instrumente zur Förderung alternativer Geschäftsmodelle konzipiert werden“. Ausgesprochen klug: Weil wir das, was wir können, weggeben, probieren wir mal etwas Neues, auch wenn wir nicht wissen, was das Neue ist. Das ist Wirtschaftspolitik nach Art von Hans im Glück im Grimmschen Märchen.

Zu den „alternativen Geschäftsmodellen“ gehören der „Export von Technologie-Know-how“, oder der famose Plan, die deutschen Raffinerien zu Frittenbuden zu machen, denn die Autoren der Studie stellen sich vor, dass Deutschlands Raffinerien vollständig umgerüstet werden zu reinen „Feedstock-Raffinerien“, das heißt zu Raffinerien, die auf der Basis von Biomasse arbeiten. Die erforderlichen Mengen von Biomasse werden dann wahrscheinlich von den Öko-Bauern produziert, was die Lebensmittel verteuern dürfte. Ob die von den regierenden Grünen mit Industrialisierung beglückten Länder Afrikas die „ambitionierten Anforderungen der EU an grünem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten werden einhalten können und wie sich daraus die Angebotssituation wie auch die potenziellen Handelspartner nochmals verändern, ist leider noch offen“.

Irgendwie ahnen die Autoren der Studie des grünen Think-Tanks, dass eine Deindustrialisierung Deutschlands und eine darauf beruhende Industrialisierung afrikanischer Länder zu einer Verlagerung industrieller Produktion aufgrund unterschiedlicher Kosten erneuerbarer Energien (Renewables Pull-Effekt) führen wird, und dass sich daraus zwar auf „der einen Seite positive Entwicklungspotenziale für die MENA-Region“ ergeben, „auf der anderen Seite sich hierdurch aber Herausforderungen in zentralen heute in der EU auf petrochemischen Grundstoffen basierenden WSK in der chemischen Industrie ergeben“ würden.

Zu gut Deutsch: Über die Folgen für Deutschland, wenn wesentliche Teile seiner chemischen Industrie auf Kosten des deutschen Steuerzahlers in noch dazu politisch instabile Gebiete verlagert werden, darüber hat man leider noch nicht nachgedacht, denn dieses eher nebensächliche Detail wurde „bisher kaum untersucht“.

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