Tichys Einblick
Die Geschichte eines roten Kampfbegriffes

Wir brauchen einen neuen „Antifaschismus“

Der Ordnungsruf im Bundestag für die Linke-Abgeordnete Renner wegen ihres Antifa-Buttons löste bei Linken Empörung aus. Dabei blenden sie völlig aus, dass die Antifa verfassungsfeindlich und der Begriff historisch belastet ist. Es wäre an der Zeit, „Antifaschismus“ neu zu interpretieren.

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Wenn es um den vermeintlichen Antifaschismus geht, bin ich etwas voreingenommen. Weil ich selbst erlebt habe, wie in einem autoritären Regime Kritiker als Faschisten gebrandmarkt werden. Im konkreten Fall wurde ein Freund von mir, der russische Oppositionspolitiker Boris Nemzow, bei einem Jugendlager einer kremlnahen Jugendorganisation (im Volksmund spöttisch „Putin-Jugend genannt) gemeinsam mit anderen Kreml-Kritikern als Nazi dargestellt – mit einer entsprechenden Mütze. Das Foto ging breit durch das russische Internet.

Knapp fünf Jahre später wurde Nemzow erschossen. Die Entmenschlichung durch seine Darstellung als Nazi war in meinen Augen eine der Vorstufen zum Mord. Schon zu DDR- und Sowjetzeiten war es Tradition, Kritiker des Systems als Faschisten zu verunglimpfen, ja zu brandmarken. Es sei dahingestellt, ob auch Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrem kommunistisch geprägten Elternhaus und in ihrer Zeit beim kommunistischen Jugendverband FDJ mit solchen Praktiken in Berührung kam. Auffällig ist, dass in ihrer Regierungszeit die Verunglimpfung von Kritikern als „Nazis“ Blüten treibt, die früher unvorstellbar waren. Bei manchem, der einst der DDR und der UdSSR kritisch gegenüber stand, löst das Dejà-Vu-Erlebnisse aus.

Der jüngste Auswuchs: Nachdem Martina Renner von der Partei „Linke“ im Bundestag mit einem Antifa-Button ans Rednerpult trat und ihr Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki von der FDP dafür einen Ordnungsruf erteilte, gab es eine Welle der Empörung bei der Linken. So titelte etwa die „taz“ polemisch: „Antifaschismus stört Kubicki“. 

Es kam zu diversen Selbstbekenntnissen, etwa von Georg Restle, dem Chef des WDR-Magazins Monitor, der sein Handwerk passenderweise auch beim Antifa-Sender „Radio Dreyeckland“ erlernte. Restle, der schon einmal vor „falsch verstandener Ausgewogenheit“ im Journalismus warnt, so als gäbe es das Neutralitätsgebot für den gebührenfinanzierten Rundfunk nicht, postete auf Twitter: „Wegen einiger Nachfragen: Selbstverständlich bin ich Antifaschist. Wie kann man das guten Gewissens nicht sein“. Dafür gab es 7.200 Likes.

Restles Aussage ist ein dreister Etikettenschwindel! Natürlich ist jeder vernünftige Mensch gegen Faschismus, genauso wie gegen Sozialismus. Der Vorwurf aber ist ein ganz anderer: Geistige Nähe zur gewaltbereiten, linksextremistischen „Antifa“. Und Verwendung eines historisch massiv belasteten Begriffes.

Die Antifa „wird vom Verfassungsschutz als linksextremistische Gruppierung eingestuft“, wie der Historiker Hubertus Knabe, bis vor kurzem Direktor der Stasi-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, mahnt: „Zu Recht. Es handelt sich nämlich um eine gewaltbereite Bewegung, die die verfassungsmäßige Ordnung in Deutschland beseitigen will. Polizisten, also die legitimierten Vertreter des Staates, sind für sie nur „Schweine“, deren Leben und Gesundheit getrost in Gefahr gebracht werden darf.“

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Wer sich heute mit der „Antifa“ solidarisch erklärt, legt ein erstaunliches Maß an Geschichtsvergessenheit an den Tag. „Der Begriff ,Antifa´ bzw. antifaschistisch ist auch deshalb schon ungeeignet, weil er historisch belastet ist“, sagt Knabe: „Die gewaltsame Durchsetzung der Diktatur in der DDR hieß offiziell ,antifaschistisch-demokratische Umwälzung´, die Berliner Mauer wurde als ´antifaschistischer Schutzwall´ bezeichnet, der Arbeiteraufstand am 17. Juni 1953 als faschistischer Putschversuch.“ 

Der Begriff Antifaschismus sei nämlich keine neutrale Bezeichnung gewesen, sondern „von Anfang an ein Kampfbegriff der kommunistischen Bewegung“, so der Historiker und wohl bekannteste Stasi- und SED-Aufklärer unserer Tage, der unter Federführung des Berliner Kultursenators Klaus Lederer von der Linken, also der umbenannten SED, mit Methoden von der Leitung der Stasi-Gedenkstätte weggemobbt wurde, die ihrerseits an SED und Stasi erinnerten. 

„Die Bezeichnung Faschismus stammt von der Komintern, die ihn erst für die Bewegung Mussolinis in Italien und bald auch für die NSDAP benutzte – obwohl beide Bewegungen sehr verschieden waren“, erklärt Knabe: „Sie nimmt Bezug auf das Symbol der Mussolini-Bewegung, einem Rutenbündel. Der Begriff wurde schon in den 1930er Jahren als kommunistischer Propagandabegriff inflationär gebraucht, mit der Folge, dass alles, was man bekämpfte, ,faschistisch´ war – sogar die SPD, die als ,Sozialfaschisten´ bezeichnet wurden.“

Auch die DDR habe hat diese Tradition festgesetzt und „damit die Unterschiede zwischen italienischem Faschismus und dem Nationalsozialismus verwischt“, sagte Knabe: „Die DDR-Oberen wollten die Nazis auf keinen Fall so nennen, wie sie sich selber nannten, nämlich „NationalSOZIALISTEN“ – denn dann hätte man ja über manche Ähnlichkeiten ins Grübeln kommen können.“

Vor diesem Hintergrund ist es um so beachtenswerter, dass Kritiker der Regierung heute vorwiegend mit dem Kurzbegriff „Nazi“ diffamiert werden, und eben nicht als „NationalSOZIALISTEN“.

Die Geschichte eines roten Kampfbegriffes
Auch der Abgeordneten Martina Renner kann man vor dem Hintergrund von Knabes Aussagen Kontinuität unterstellen, wenn sie sich öffentlich zur Antifa bekennt – und dabei übrigens im Bundestag nach dem Ordnungsruf massive Solidarität von ihren Genossen erhielt, die sich über Kubickis Entscheidung sehr deutlich empörten. Die Linke ist nämlich nach eigenem Bekenntnis „rechtsidentisch“ mit der Diktatur-Partei SED, und hat sich auch nie von dieser überzeugend distanziert (ebenso wenig wie vom milliardenschweren Parteivermögen, von dem große Teile bis heute spurlos verschwunden sind). Linke-Idole wie Sarah Wagenknecht haben sich ebenfalls nie eindeutig von ihrem früheren Lob für Stalin losgesagt, und Parteichefin Katja Kipping mahnte schon mal, man dürfe die „Errungenschaften“ der DDR nicht vergessen.

Es ist eine Schande, dass die einzige im Bundestag vertretene Partei, die rechtsidentisch mit einer für Morde und Terror verantwortlichen Diktatur-Partei ist, heute in der politischen Mitte der Bundesrepublik angekommen ist. Dass Sozialdemokraten, deren Vorfahren von der SED in Hitlers alte KZs gesteckt wurden, mit den Nachfahren der Täter koalieren. Dass selbst prominente CDU-Politiker eine Koalition mit der alten SED befürworten. Und dass die Zeit jetzt einen „lässigeren Blick“ auf die Diktatur fordert – wieder einmal, denn schon zu DDR-Zeiten begeisterte sie sich für den real existierenden Sozialismus aus dem reichen und satten Hamburg heraus.

Dies alles zeigt: Die Vergangenheitsbewältigung der zweiten totalitären Diktatur auf deutschem Boden ist weitgehend gescheitert. Als Konsequenz müsste der Begriff „Antifaschismus“ heute eigentlich umgedeutet werden: Für den legendären SPD-Chef Kurt Schumacher waren die Kommunisten nichts anderes als „rote Faschisten“ bzw. „rot lackierte Nazis“. Echter „Antifaschismus“ müsste also bedeuten, dass endlich auch der rote Faschismus in Deutschland aufgearbeitet wird. Mitsamt seinen politischen Urenkeln, die heute wieder in diversen Bundesländern mitregieren, Enteignungs-Phantasien frönen und massiven Einfluss auf den politischen Zeitgeist und die Stimmung im Lande haben.

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