Tichys Einblick
Blind in die Landtagswahl?

Wie aus 30 Prozent AfD in Sachsen 13 Prozent würden

Es ist davon auszugehen, dass die Landtagswahl in Sachsen wiederholt werden muss, weil höchstwahrschein kein demokratisch legitimiertes Wahlergebnis feststellbar sein wird.

Sächsischer Landtag, Dresden

imago images / ddbd

Tichys Einblick hat darüber berichtet, dass der sächsische Landeswahlausschuss nur 18 anstatt 61 Listenkandidaten der AfD für die Wahl am 1. September zulässt. Der Beitrag wurde heftig und kontrovers diskutiert.

Deshalb soll nachfolgend nicht mitdiskutiert werden, ob diese Entscheidung zu Recht oder zu Unrecht getroffen wurde, sondern was bei und nach der Wahl alles passieren und ans Tageslicht kommen kann, wenn es bei der Entscheidung des Landeswahlausschusses bleibt. Dazu ist zunächst weniger Jura als vielmehr Mathematik gefragt.

Wenn es bei der Entscheidung bleibt, kann die AfD, selbst wenn sie alle 60 Wahlkreise gewinnt und über 50% der für die Mandatsverteilung relevanten Zweitstimmen erringt, keine Mehrheit der Sitze im Landtag zugeteilt bekommen.

Die simple Rechnung dazu:

Der Gewinn aller Wahlkreise würde der AfD 60 Sitze im Landtag bringen. Das sind exakt 50 Prozent der gesetzlich festgelegten 120 Sitze.

Dabei sind alle übriggebliebenen 18 Listenkandidaten zugleich auch Direktkandidaten.

Gewinnt die AfD 40 Prozent der anrechenbaren Zweitstimmen, dann stehen der Partei danach zunächst 48 Sitze zu (40 Prozent von 120 Sitzen). Würden nun alle Wahlkreise von der AfD gewonnen, entstünden 12 (60 minus 48) Überhangmandate bei der AfD. Die auf die Zweitstimmenrelation auszugleichen erfordert nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichtes 18 Ausgleichmandate für alle anderen Parteien. Das Ergebnis:

48 +12  Sitze = 60 Sitze für die AfD

72 +18  Sitze = 90 Sitze für die anderen Parteien

120 + 30 Sitze = 150 Sitze hat dann der sächsische Landtag

Ganz anders, wenn die CDU 40 Prozent der anrechenbaren Zweitstimmen erreicht und alle Wahlkreise gewinnt. Dann erzeugt sie auch 12 Überhangmandate, die eigentlich auch 18 Ausgleichsmandate erfordern, davon ein großer Teil für die AfD, die sie aber nicht nutzen kann.

Bis hierhin sind das nur Rechenbeispiele zum Verständnis des deutschen Zwei-Stimmen-Wahlrechts. Nun aber eine

Wahlprognose

Die ist jetzt bei der Landtagswahl in Sachsen ausgesprochen schwierig, weil die Entscheidung des Landeswahlausschusses, wenn sie endgültig ist, das Wahlverhalten der Stimmbürger in der Summe gegenüber ursprünglichen Absichten noch einmal erheblich verändern wird.

Das gilt vor allem für die Erstimmen für die Wahlkreiskandidaten, hat aber auch Auswirkungen auf die Zweitstimmen-Vergabe. Durch Wahlumfragen ist das vorher kaum einzufangen. Die AfD wird auf Erststimmenwahl umschalten, um möglichst viele Wahlkreise zu gewinnen.

Die Folge davon ist, dass ähnlich wie bei der Oberbürgermeister-Wahl in Görlitz die linken Parteien mehr oder weniger verdeckt dazu aufrufen, dem CDU-Kandidaten die Erststimme zu geben. Ausnahmen davon sind die Wahlkreise in Leipzig und Dresden, wo Bündnis 90/Die Grünen bei der EU-Wahl schon vor der CDU lagen.

Um es mathematisch leicht nachvollziehen zu können, folgender durchaus möglicher Wahlausgang:

  • CDU und AfD liegen bei den anrechenbaren Zweitstimmen gleichauf bei 30 Prozent. Folglich erreichen die anderen Parteien 40 Prozent.
  • Die CDU gewinnt 50 Wahlkreise durch die Görlitz-Masche, die Grünen und/oder die AfD 10 Wahlkreise. Dabei gewinnt die AfD keinen Wahlkreis von einem Direktkandidaten, der nicht auf der Landesliste steht.

Dann sieht die Mandatsverteilung so aus:

  1. Die auf Sitze (oder Mandate) anrechenbaren Zweitstimmen in Prozent sind „Beute“ der Zweitstimmen der Parteien, die unter der 5%-Hürde geblieben sind.
  2. Die gesetzliche Vorgabe für das sächsische Landesparlament sind 120 Sitze (1)
  3. Durch den Beschluss des Landeswahlausschusses fallen 18 Sitze für die AfD weg und werden wahrscheinlich nicht zur „Beute“ der anderen Parteien. Der Landtag hätte danach nur 102 Sitze (2).
  4. Durch die 50 Wahlkreisgewinne entstehen bei der CDU 14 Überhangmandate (3). Die müssen mit etwa 19 Mandaten für die anderen Parteien (3) außer der AfD ausgeglichen werden. Damit wird die AfD zweimal für das gleiche „Vergehen“ bestraft. (3)
  5. Endgültige Mandatsverteilung (4): Danach hat der sächsische Landtag 135 anstatt der gesetzlichen 120 Sitze.
  6. Endgültige Mandatsverteilung in Prozent.

Das ist eine extreme Verfälschung des Wählerwillens, der nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichtes im Zweitstimmen-Ergebnis (Erste Spalte der Tabelle) zu suchen ist. Dabei ist nicht nur die AfD die Dumme, sondern auch die CDU, wenn durch die oben dargestellten Verschiebungen der Mandate sogar eine linke Mehrheit möglich ist.

Demokratischer Gau

So bezeichnete gerade der Staatsrechtler von Arnim das hessische Wahlrecht wegen der Ergebnisse der letzten Landtagswahl mit 137 anstatt der gesetzlich vorgesehenen 110 Landtagssitze, wobei diese Zusatzsitze zu einer hauchdünnen Mehrheit von Schwarz-Grün führten, die sie ohne die zusätzlichen Mandate außerhalb des Wählerwillens nicht gehabt hätte. Genau das war ein wichtiger Punkt, den der Autor dieses Beitrages in seinem Einspruch gegen das Ergebnis der hessischen Landtagswahl darlegte. Bis heute, über acht Monate nach der Wahl ist darüber noch nicht entschieden worden. Das macht nachdenklich und lässt auch für die Landtagswahl in Sachsen Schlimmes, nämlich die Notwendigkeit von Neuwahlen ahnen.

Es ist davon auszugehen, dass die Landtagswahl in Sachsen wiederholt werden muss, weil höchstwahrschein kein demokratisch legitimiertes Wahlergebnis feststellbar sein wird.

Es wird einen heißen Wahlkampf bis in den Wahltag hinein geben. Damit ist gemeint, dass der Wahlkampf gegen „Rechts“ auch bei der Stimmauszählung nach dem Motto „Keine Stimme den Rechten“ nicht beendet ist. Was die Medien als „Pannen“ und „Unregelmäßigkeiten“ nur kurz nach der Hessen-Wahl und meistens nur regional meldeten, war Wahlfälschung im Sinne des entsprechenden Strafrechtsparagrafen. Genauso war es bei der letzten Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen.

Die deutsche „Zivilgesellschaft“ ist zur professionell organisierten Wahlbeobachtung aufgerufen. Die türkische Zivilgesellschaft im ganzen Land hat es bei der wiederholten Oberbürgermeister-Wahl fertiggebracht, mit vielen tausenden Wahlbeobachtern praktisch alle Istanbuler Wahllokale zu überwachen. Eine klare Niederlage der herrschenden und die Wallokale beherrschenden Regierungspartei war die Folge.

Das, was in Deutschland als Wahlbeobachtung propagiert und durchgeführt wird, ist fast ausnahmslos so unprofessionell, dass sie weder abschreckend noch aufklärend wirkt.

Abschließend nur ein konkreter Tipp:

Wenn an die Stimmzählung die gleichen strengen Maßstäbe (Wahlordnung) angelegt werden wie jetzt an die Kandidatenwahl einer Parteien für den Landtag in Sachsen, dann ist kaum ein Auszählungsverfahren in den Wahllokalen korrekt.

Es muss nur vorher gut informiert und genau hingeschaut werden.


Diplom-Kaufmann Dieter Schneider ist als praktizierender Wahlbeobachter ein Wahlforscher besonderer Art.