Tichys Einblick
Auftragsarbeit, ein Ausrutscher

Wer nach allen Seiten offen ist, …

Man täusche sich nicht. Versuchsballons hinterlassen ihre Spuren. Das anschließende Dementi ist stes nur windelweich. Die Option ist für den Fall der Fälle schon mal platziert.

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In der an „Köpfen“ alles andere als üppig ausgestatteten CDU sucht man vergeblich nach Personen oder gar Persönlichkeiten für die längst angebrochene Post-Merkel-Ära. Selbst staatstragende Medien sind in dieser Sache genügsam geworden. Die früher beliebte, zugebenermaßen recht uncharmante „Dachziegelfrage“ wird gar nicht mehr gestellt („Wer folgt auf Merkel, wenn ihr plötzlich ein Dachziegel …..?“) bzw. auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Vor wenigen Jahren war das noch anders. Da gab es wenigstens „Muttis Klügsten“. Es gibt ihn, Norbert Röttgen (53), zwar immer noch, aber Mutti hat ihm nach der von ihm am 13. Mai 2012 total versemmelten NRW-Landtagswahl die Zuneigung entzogen, am 16. Mai 2012 den Koffer vor die Tür des Bundeskabinettes gestellt und ihn zuletzt auf einen Ausschussvorsitz verbannt.

Die Angst des Establishments vor Konkurrenz
Auf, auf zum letzten Gefecht
Nun ist die stromlinienförmige Presse in der Frage der Post-Merkel-Ära – wie gesagt: genügsam – auf einen Nachwuchs-„Kopf“ verfallen, dem man offenbar sukzessive das Etikett „Muttis Liebster“ verpassen möchte. Daniel Günther (45) heißt der Mann. Seit Juni 2017 ist er Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. Er ist so richtig ein CDU-Funktionär nach Merkels Geschmack. Denn er ist für alles, wofür Merkel auch steht: für eine „humanitäre“ Flüchtlingspolitik, für Familiennachzug, für eine „grüne“ Energiepolitik, für „Jamaika“, für eine Frauenquote usw. Obendrein ist er – hier ebenfalls ganz „grün“ – für eine „Ehe für alle“, ferner für ein Adoptionsrecht für Schwule und Lesben. Und er ist gegen alles, wogegen Merkel auch ist: gegen die AfD ohnehin, aber auch gegen Seehofer, Söder usw. Siehe hier.

Richtungslos macht beliebig
Die CDU auf Linkskurs
Vor allem ist der Magister der Politologie Daniel Günther ein Parteifunktionär. Vom Kreißsaal über den Hörsaal in den Plenarsaal und sofort als Regierungschef in die Staatskanzlei! Oder konkret: Von der Jungen Union über Jobs als Kreis- bzw. Landesgeschäftsführer, ein wenig Arbeit in einer CDU-nahen Stiftung zum Chef einer Jamaika-Koalition – das sind Blitzkarrieren! Das liebt in diesem Fall sogar die Presse, die ihm zu jeder möglichen und unmöglichen Frage das Mikro hinhält. Zum Beispiel nachdem er in einer Talkshow gegen Seehofer und Söder aufgesetzt einen Wutanfall inszeniert hatte. Oder wenn er den neuen Grünen-Chef Robert Habeck, der ihm ein Jahr lang als Landesminister zur Seite stand, geradezu streichelt: „… er wird mir fehlen. Ich hätte mir gewünscht, er wäre hier geblieben. Er wird es auf Bundesebene gut machen.“ Oder wenn er über CDU, Grüne und FDP sagt: „Die drei Parteien passen richtig gut zusammen. Mir liegen nicht nur die Grünen am Herzen, sondern auch die FDP. Das ist einfach ein kluges Bündnis. Da sind Menschen, auf die man sich verlassen kann. Und wenn Jamaika 2021 auf Bundesebene gelingen kann, dann wäre das für Deutschland das beste Modell.“ Siehe hier.

Na, bravo! Brüderschaft mit einem Habeck, der sich in einem Interview zu seiner Assoziation zum Begriff „Volksverräter“ wie folgt ausließ: „Es gibt kein Volk, und es gibt deswegen auch keinen Verrat am Volk.“ Siehe hier. Aber: „Er wird es auf Bundesebene gut machen.“

Jamaika in Kiel
Die CDU unterwirft sich einmal mehr der grünen Meinungshoheit
Nun gibt Günther den Wendehals in Richtung Linkspartei als möglichen Kooperationspartner. In einem Interview mit der Rheinischen Post vom 11. August meinte er: „… fast 30 Jahre nach dem Mauerfall gibt es auch durch eine Reihe regionaler Kooperationen ein gutes Stück Normalisierung zwischen CDU und Linken….“ Und weiter: „Wenn da vernünftige Menschen in der Linkspartei am Werk sind, vertut man sich nichts damit, nach vernünftigen Lösungen zu suchen. Es wäre gut, auf Scheuklappen zu verzichten. Wenn Wahlergebnisse es nicht hergeben sollten, dass gegen die Linke eine Koalition gebildet wird, muss trotzdem eine handlungsfähige Regierung gebildet werden. Da muss die CDU pragmatisch sein…“ Siehe ebenfalls hier. Pragmatismus als neue Ideologie? DDR-Blockparteien-Denken neu aufgelegt? Man könnte in Anlehnung an den Kurt Tucholsky zugeschriebenen Kalauer sagen: “Wer nach allen Seiten offen ist, der ist nicht mehr dicht.“

Die pflichtschuldige Antwort aus der CDU und die ebenso gespielt zerknirschte Relativierung der Aussage durch Günther selbst folgten auf dem Fuß. CDU-Generalin Annegret Kramp-Karrenbauer twitterte: „Wir lehnen eine Zusammenarbeit mit Linken und AfD weiterhin klar ab. Es reicht nicht, wenn da der eine oder andere pragmatische Kopf dabei ist.“ Zuvor waren die CDU-Vizes Strobl und Bouffier auf Distanz zu Günther gegangen. „Die Christlich Demokratische Union macht nichts mit Extremisten, nichts mit Links-, nichts mit Rechtsradikalen“, sagte Strobl der „Rhein-Neckar-Zeitung“. Er wolle das Thema bei der CDU-Präsidiumssitzung am 20. August ansprechen, so Strobl. Hessens Ministerpräsident Bouffier äußerte gegenüber dpa, CDU und Linkspartei trennten Welten: „Deshalb ist das für die Union und erst recht für die CDU Hessen keine Option.“ Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der sich am 1. September 2019 den Landtagswahlen stellen muss, verbreitete über Twitter, die Positionen von CDU und Linken seien „unvereinbar“. Alexander Dierks, Generalsekretär der sächsischen CDU, schimpfte: „Langsam wird es verrückt.“ Der vormalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wies Günther ebenfalls zurück. „Teile der CDU scheinen völlig die politische Orientierung zu verlieren“, schrieb er bei Twitter. SPD-Vize Ralf Stegner und FDP-Chef Christian Lindner hielten Günther inhaltliche Beliebigkeit vor. „Früher rote Socken-Kampagnen gegen die SPD veranstalten, heute aus purem Machterhalt inhaltliche Beliebigkeit bis zum Abwinken sowie gerade im Osten Kapitulation vor den elenden Rechtspopulisten“, twitterte Stegner. Lindner sagte: „Wenn die Partei von Adenauer und Kohl mit der Partei des ‚demokratischen Sozialismus‘ koaliert, verliert sie ihre Seele. Und wer mit der FDP koaliert und zugleich mit der Linken liebäugelt, erreicht den Gipfel der Beliebigkeit.“ Stegner und Linder einig wie selten!

Nach Protest aus seiner Partei erläuterte Günther am Samstagnachmittag seine Ausführungen: „Eine Koalition mit der Linkspartei lehne ich entschieden ab.“ Aha! Seine Äußerungen hätten sich, so Günther, auf den Fall bezogen, dass nach einer Landtagswahl keine Mehrheiten gegen Linke und AfD möglich seien. Rückzieher freilich sehen anders aus.

Auftragsarbeit, ein Ausrutscher
Nur, was ist aus dieser CDU im Land zwischen den Deichen geworden? Barschel hin oder her: Da gab es in den 1970ern bis Mitte der 1980er Jahre einmal eine Nord-CDU mit Ergebnissen um die 50 Prozent. Selbst 2005 noch erreichte sie etwas über 40 Prozent. Nun aber scheint der „Hoffnungsträger“ Günther mit den 32,0 CDU-Prozenten der Landtagswahl 2017 zufrieden. Hauptsache ist für ihn wohl, nach allen Richtungen anschlussfähig zu sein. Windschnittigkeit, Prinzipienlosigkeit, Beliebigkeit, zeitgeschichtlicher Analphabetismus in Sachen SED-Nachfolger sind angesagt. Und ganz nebenbei werden immer noch mehr vormalige CDU-Wähler in die Arme der AfD getrieben. Bravo, weiter so, wird man sich dort angesichts solchen Kollateralnutzens ins Fäustchen lachen.