Tichys Einblick
100 Tage Große Koalition in Berlin

Wer Kai Wegner hat, braucht die Grünen nicht

100 Tage sitzt die Große Koalition in Berlin nun im Amt. Und alles ist wie immer. Kai Wegner trat mit Law&Order an, geblieben sind Kriminalität, mehr Busstreifen und ein umstrittener Queerbeauftragter.

IMAGO / Christian Spicker
Wer tut es sich eigentlich freiwillig an, Regierender Bürgermeister von Berlin zu sein? Nein, noch mehr: wer will eigentlich Regierender Bürgermeister von Berlin sein? Offenbar immer noch mehr Menschen als gedacht, ansonsten wäre die Berliner Wahlwiederholung nicht notwendig geworden, denn Kandidaten gab es genügend, und sowohl die SPD wie die Grünen hatten neben dem CDU-Gewinner Kai Wegner auf diesen Posten gehofft.

Das ist erstaunlich, denn als Berliner Bürgermeister kann man nicht mit Erfolgsmeldungen punkten. Die durch und durch dysfunktionale Stadt hat so viele Probleme aufgetürmt, dass auch eine Nachfolgeregierung unter dem Erbe der Bundeshauptstadt ächzt. Das gilt nicht nur in Bereichen wie Infrastruktur, Haushalt oder Clan-Kriminalität. Berlin befindet sich im ständigen Bürgerkrieg. Fahrradfahrer gegen Autofahrer und Fußgänger. Innenstadtbewohner gegen Peripheriebewohner. Prenzlauer Berg gegen Spießbürger. Clan-Milieus gegen die Polizei. Wildschwiene gegen Löwinnen. Autonome und Assoziierte gegen alle anderen.

Insofern: ja, es ist schwierig, Regierender Bürgermeister zu sein. Die Messlatte liegt tief. Wer den Job freiwillig machen will, der trete vor. Und dennoch – wie ausgeführt: es gibt immer noch viel zu viele Menschen, die trotzdem diesen Moloch regieren wollen, wo Lastenräder und hippe Vegan-Cafés neben Graffiti-Wüsten und Straßenstrich blühen, wo Multikulti sich nicht selten in der Buntheit verschiedener Körperverletzungen äußert und wo es manchmal 3 Monate dauern kann, um einen Termin auf dem Einwohnermeldeamt zu bekommen.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin heißt seit rund 100 Tagen Kai Wegner. Das könnte wundern. Einmal, weil er von der CDU ist, was in diesem Jahrhundert alles andere als selbstverständlich ist. Und dann noch einmal, weil man davon nichts merkt. Also nicht, dass Berlin jetzt von der CDU regiert wird. Sondern auch nicht, dass es überhaupt einen Regierungswechsel gab. Vielleicht ist das der bezeichnende Unterschied zu einem grün regierten Berlin. Dort würde man vermutlich wegen tagtäglicher Ideen einer Bürgermeisterin Bettina Jarrasch ständig daran erinnert werden, dass man unter Grün-Rot-Rot lebt.

Das CDU-SPD-Berlin dagegen funktioniert so, dass der alltägliche Wahnsinn geräuschlos fortschreitet. Das ist das typische CDU-Gefühl. Alles bleibt schlecht, aber wenigstens ist es irgendwie ruhig. Denkt man. Als die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner sich dafür einsetzt, die ideologische Verkehrswende – nein, nicht etwa zu beenden, sondern lediglich den Radwegeausbau zu stoppen, protestieren prompt 8.000 Radfahrer auf den Straßen. Ein „Neues Miteinander“ geht nicht, wenn eine bestimmte Gruppe von Verkehrsteilnehmern in den letzten Jahren besonders gehätschelt wurde.

Wie schwer das Erbe von Bettina Jarrasch wiegt, konnte man diese Woche eindrucksvoll in Köpenick beobachten. Dort wurde – wieder einmal – eine ganze Autospur abgeräumt, die nun nur noch Bussen vorbehalten ist. Provoziertes Chaos mit Ansage. Die Fahrt zur Kita dauert nunmehr keine 10 Minuten mehr, sondern eine halbe Stunde. Für die Hinfahrt. Eigentlich hatten die Bürgerlichen gehofft, dass die Wegner-Regierung solche Alltagswahnsinnigkeiten wenigstens unterbinden würde. Aber auch hier: das altbewährte CDU-Gefühl. Es läuft weiter, aber weniger aufgeregt.

Auch ansonsten fällt der Regierungsstil Wegners auf. Für Schlagzeilen sorgte in den letzten Wochen vor allem der neue Berliner Beauftragte für queere Angelegenheiten. Er führt eine Fehde mit dem Journalisten Julian Reichelt und zeigte ihn wegen Volksverhetzung an, weil er das Hissen der Regenbogenflagge vor dem Berliner Polizeipräsidium gezeigt hatte. Alfonso Pantisano trieb den Konflikt auf die Spitze, weil er so tat, als spreche er im Namen des Berliner Senats. Das gab – wieder Wegner-typisch – Ärger. Aber nicht etwa eine deutliche Richtigstellung und einen Rüffel an Pantisano, sich nicht auf der Senatsschulter größer zu machen als nötig, sondern lediglich eine Richtigstellung.

Auch innerhalb der CDU gab es eine Weichenstellung. Wegner hatte vor seiner Wahl als jemand gegolten, der düsteren Gestalten wie Hans Georg Maaßen nahestände. Das kolportierte Ex-Generalsekretär Mario Czaja. Mittlerweile hat Wegner den CDU-Parteivorsitzenden Friedrich Merz angegriffen. Wegen dessen Äußerungen am Wochenende. Nachdem Wegners CDU im Wahlkampf sich deutlich AfD-Positionen angenähert hatte, versucht er sich nun so gut wie möglich von sich selbst zu distanzieren. Selbstdistanz, das hat schon so erfolgreich bei Friedrich Merz funktioniert. Wenigstens etwas, was die beiden nach der jüngsten Auseinandersetzung noch gemeinsam haben.

Berlin, das so gerne mit seinem Waldbestand angibt und sich auch in diesem Sinne stets als „grün“ verstanden hat, grünt also weiterhin vor sich hin. Nun eben in der Senatsverwaltung, ganz ohne Grüne. Der Versuch, Gruppenvergewaltigungen unter den Teppich zu kehren, passt dazu. Zitat der Staatsanwaltschaft: Man müsse doch die minderjährigen Täter schützen in dem Sinne, „dass ein auf Erziehung und Vermeidung von Stigmatisierung ausgerichtetes Jugendstrafrecht gefährdet würde, wenn weitere Informationen gegeben werden“.

Das ist ein Schlaglicht, aber ein treffendes. Vielleicht muss Wegner sich anbiedern in einer Stadt wie Berlin. Vielleicht muss er einen bestimmten Ton treffen, wenn es Queerbeauftragte und Staatsanwaltschaften so vormachen. Wegner will beliebt sein. Er will es den Leuten recht machen. Eben so, wie Friedrich Merz. Mit denselben Erfolgsaussichten. Der Zustand Berlins und der Zustand der CDU nähern sich bekanntlich seit Jahren einander rasant an.

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