Tichys Einblick
So regiert es sich bequem

Die ewige Krise

Klimakrise, Coronakrise, Rassismuskrise – immer neue Krisen können für Politiker sehr nützlich sein. In der Krise muss nicht debattiert werden. Wir stolpern von Krise zu Krise, weil eine moralisch leere Politikerkaste gar nicht anders die Menschen zum Gehorsam bewegen und sich an der Macht halten kann.

IMAGO / photothek

Europa hatte den Hundertjährigen Krieg. Die Politik kennt den »Perpetual war«, den »dauernden Krieg« – oft gegen einen unscharfen Gegner, etwa »den Terror«. Für Sun Tzu war der andauernde Krieg etwas, das zu vermeiden war. Für den Philosophen Thomas Hobbes war der Krieg »aller gegen alle« ein Urzustand des Menschen, über den sich zu erheben die Aufgabe der Zivilisation ist (siehe »Bellum omnium contra omnes« bei Wikipedia).

Auch die Moderne kennt den ewigen Krieg. Ja, dass Kriege ewig dauern, es ist uns so normal geworden, dass die Politik gänzlich überfordert wirkt, wenn die Kriege dann doch für beendet erklärt werden, wie etwa beim Rückzug aus Afghanistan, als wir nach zwei Jahrzehnten das Land aufgaben und den Taliban überließen.

Wann ist die Corona-Pandemie vorbei?
Angela Merkel und der "Krieg" ohne Sieg
Der moderne ewige Krieg musste stets weit fort stattfinden, so dass er für die Propaganda nützlich sein konnte, aber bei Bedarf ausblendbar. Durch soziale Medien und Schlepper aber wurde der Nutzen einer solchen Distanz aufgehoben. Es braucht einen Kriegsersatz, der stärker in die Bevölkerung greift als der traditionelle Kriegsersatz Fußball.

Wir haben einen Ersatz für den ewigen Krieg gefunden, und dieser Ersatz wird zum neuen Normal: Der ewige Krieg wird ersetzt durch die ewige Krise.

Das war Krise!

Das Wort »Krise« stammt aus dem Lateinischen, welches es aus dem Griechischen übernahm. Eine κρίσις, das ist eine Entscheidung und eine Unterscheidung. (Ein Kritiker ist demnach einer, der Dinge zu unterscheiden weiß.)

In einer Krise sind unsere gemeinsamen Lebensgrundlagen bedroht. In einer Krise müssen wir handeln, und wir müssen schnell und nachhaltig handeln.

Im Krisenmodus werden sogar erfolgreiche und bewährte Gewohnheiten drangegeben. Die Kriterien dazu, welche Handlung als klug gilt, sind andere, wenn man im Krisenmodus handelt.

Wenn ein Stamm dereinst erwog, zu neuen Weidegründen aufzubrechen, dann konnte er tagelang darüber debattieren und diskutieren. Wenn aber der Säbelzahntiger angriff, dann war keine Zeit für Debatten. Das war Krise!

Wenn der Tiger angreift, braucht es einen starken Häuptling, der das Kommando übernimmt. Im Krisenmodus müssen alle gemeinsam kämpfen, oder sie müssen alle gemeinsam fliehen. Entscheidend ist, dass sie es gemeinsam tun, und dass sie es sofort tun.

Es ist uns angeboren, uns in der Krise um die Mächtigen zu scharen und unsere Individualität aufzugeben. Ein Menschentypus, dem das nicht schon in den Genen steckte, beim Angriff des Tigers nicht lang zu diskutieren, dessen DNA-Linie wurde bald von einer Krise für immer beendet.

In ruhigen Zeiten können Dissenz, Debatte und das Hinterfragen von Autorität den Stamm durchaus stärken. Durch Ausprobieren auch schlechter Ideen finden sich die guten!

Derselbe Abweichler aber, der in ruhigen Zeiten wichtige neue Ideen beitragen konnte, wurde in der akuten Krise zur Lebensgefahr und musste folglich mit allen Mitteln bekämpft werden. Im Krisenmodus gilt es, sich hinter den Häuptling zu scharen und wie ein einziger Organismus zu handeln.

Weniger Energie

Durch sogenannte »Soziale Medien« und die von diesen geförderte Reduzierung öffentlicher Debatte auf Trigger, Klickzeilen und Reizreaktion, ist es möglich geworden, buchstäblich auf Knopfdruck nationale oder sogar globale Krisengefühle zu erzeugen.

Es ist dem Menschen angeboren, seine Ziele mit so wenig Energie erreichen zu wollen, wie ihm möglich ist. Wir schieben unseren Einkauf im Einkaufswagen, statt die Eier, die Äpfel und das Brot einzeln zur Kasse zu tragen.

Ähnlich für Politiker: Es braucht weniger Energie, eine Krise nach der anderen auszurufen, als immerzu die Bürger mühsam mit Argumenten und Schmeicheleien davon zu überzeugen, sich von einem regieren zu lassen. (Außerdem kann eine veritable Krise ja eine »Chance« sein, den »großen Reset-Knopf« zu drücken…)

Durchs Liefern unnütz

Zu den Grundideen der Demokratie zählte es einst, »richtigen Menschen« zur Macht zu verhelfen, also Bürgern »mitten aus dem Leben«, die nicht aus diversen Gründen ihre Existenz auf die Erlangung von Macht reduziert haben.

Hilf selbst, dann hilft Gott
Die Überschwemmung zeigt erneut: Auf die normalen Leute ist Verlass
Betrachten Sie doch einmal das aktuelle politische Personal. Einige, wie Merkel, haben vielleicht mal etwas gelernt oder studiert, doch ihre Persönlichkeit ist längst reduziert auf Macht als Selbstzweck. Da ist kein eigentliches Leben, kein Gewissen, nichts – nur eben der Wille zur Macht. Doch, da ist auch eine zweite Gruppe, die Gescheiterten und Studienversager, deren Weg zur Macht daraus motiviert zu sein scheint, dass in der Politik gewisse Eigenschaften belohnt werden, die in der Wirtschaft abgestraft würden – und andersherum (ein Unternehmer, der immer nur verspricht, aber nie liefert, dem werden irgendwann Banken wie Kunden kündigen – ein Politiker aber wird nicht selten genau dann abgestraft, wenn er »liefert«, denn er wird durchs »Liefern« ja unnütz).

Warum hat die Politik wenig Probleme mit politisch korrekten Demonstrationen, die exakt das tun, was die Querdenker fordern, aber dämonisiert eben diese Querdenker? Es ist leicht erklärbar: Die Querdenker verweigern sich dem Corona-Krisenmodus – Black-Lives-Matter oder Christopher-Street-Day ignorieren den Krisenmodus, aber erfinden einen anderen, ebenfalls mobilisierenden Krisenmodus.

Ich wage eine These: Wir stolpern von Krise zu Krise, weil eine moralisch leere Politikerkaste gar nicht anders die Menschen zum Gehorsam bewegen und sich an der Macht halten kann.

Wie viele Krisen?

Ein jeder von uns wacht manchmal auf und fragt sich: »Welchen Wochentag haben wir heute?«

Ich wache dieser Tage auf, und ich frage mich: »Welche Krise haben wir heute?« (Und ich habe ein halb-ironisches T-Shirt dazu gemacht.)

Klimakrise, Coronakrise, Migrationskrise, Energiekrise, Genderkrise, IT-Krise, Bildungskrise, Politikkrise, Pflegekrise, Baustoffkrise, Bankenkrise, Demokratiekrise, Ölkrise, Rentenkrise, Eurokrise, Digitalisierungskrise, Vertrauenskrise, warum nicht gleich Deutschlandkrise… wie viele Krisen hätten’s denn gern?

Nein, diese Krisen sind keinesfalls alle ausgedacht oder auch nur übertrieben! Einige dieser Krisen werden sogar auf eine viel zu leichte Schulter genommen (etwa die Bildungskrise). Für andere Krisen haben wir noch nicht einmal richtige Namen (ich halte die »Weisheitskrise« für hochgefährlich – wir werden als Kollektiv erschreckend unweise; vergleichen Sie mal heutiges Debattenniveau mit dem vor 20 Jahren – der Dunning-Kruger ist auch für gesamte Gesellschaften anwendbar).

Ich mag es aber nicht, aufzuwachen und mich zu fragen, welche Krise aktuell zu fürchten ist! Ich mag es nicht nur nicht, ich denke auch, dass es uns kaputt macht! Und wenn ich sage, dass ich es »nicht mag«, dann meine ich: Ich halte es für gefährlich und zerstörerisch.

Wollen wir wirklich unser gesamtes Leben im Krisenmodus leben? Der permanente Krisenmodus macht uns als Gesellschaft kaputt, und als Individuen nicht minder. Entweder wir raffen uns gemeinsam auf und lösen die Probleme. Oder wir lernen, uns damit abzufinden – als Kollektiv oder jeder für sich und seine Familie.

Der Krisen müde

Für Hobbes war es zentrale Aufgabe der Zivilisation, den Zustand des Krieges aller gegen alle aufzuheben. Ist der beständige Krisenmodus aber nicht ebenso ein Rückfall in vorzivilisatorische Zustände?

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Der dauernde Krisenmodus war vermutlich der Normalzustand in manchem prähistorischen Stamm, doch der dauernde Krisenmodus macht uns nicht klüger und gewiss nicht glücklicher! (Die dauernde Überlastung könnte uns erst krisenmüde und dann krisenblind machen – und wenn dann eine wirklich gefährliche Krise bevorsteht, wird keiner es glauben, wie keiner dem Jungen glaubte, der zu oft »Wolf!« gerufen hatte.)

Ich will gern gestehen: Ich bin der Krisen müde. Der dauernde Krisenmodus macht aus uns Menschen, die wir nicht sein wollen: Urmenschen, Frühmenschen, dauernervöse Wracks.

Die Mächtigen glauben doch selbst nicht an ihre eigenen Krisen! Denken wir an das Coronatheater, das sie uns noch immer bei Gelegenheit aufführen. Auch die Heuchelei der Umweltpropheten allein ist ein Beleg dafür, dass diese Gestalten an ihre eigene Krise nicht glauben (man denke nur an diverse Krisengewinner und Umweltpaniker wie Obama oder Gore, die sich riesige Anwesen am Meer gekauft haben).

Die Kunst des Lebens besteht heute auch darin, sich nicht mit dem Krisenmodus gemein zu machen, auch nicht mit einem begründeten. Der ewige Krieg wie die ewige Krise, sie sollen doch nicht zu unserer Krise und nicht zu unserem inneren Krieg werden!

Welche Krise wir auch haben mögen, ich will versuchen, mich nicht von der Krise auffressen zu lassen. Was für eine Kindheit haben denn Kinder, die in dauerndem Krisenmodus aufwachsen? Und haben Erwachsene denn kein Recht darauf, nicht immerzu von der Panik-des-Tages durchs Leben gepeitscht zu werden?

Ich will zum Krisenkritiker werden und die Krisen einzeln prüfen – nicht alle Paniken sind unbegründet! – und dann will ich tun, was ich tun kann. Wenn aber alles getan ist, was getan werden kann und muss, dann will ich leben, als ob es keine Krise gäbe!

In diesem frohen Geiste also, liebe Leser: Welche Krise haben wir heute?


Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com

Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.

Anzeige