Tichys Einblick
Der ungeliebte Gewinner

Wegners Sieg: Eine Hypothek für die Merz-CDU

Unter Kai Wegner kann die CDU das beste Ergebnis dieses Jahrhunderts in Berlin abräumen. Seine Partei gewinnt Stimmen, aber nicht das Rathaus. Es könnte der erste Schritt für eine Regeneration der CDU sein – doch Merz macht nicht mit.

IMAGO / Jens Schicke

Über Jahre gewann die CDU keine Wahlen, aber Mehrheiten. Nun gewinnt sie eine Wahl, stellt aber nicht die Regierung. Aber das ist auch eine Seite der Opposition: Manchmal braucht es Jahre, um sich neu aufzustellen und sich zu regenerieren. Nicht immer ist „Opposition Mist“, wie einmal Franz Müntefering konstatierte. Will die CDU ihre Politik wieder mit Inhalten füllen, dann muss sie in den sauren Apfel beißen.

Berlin-Wahl
Die Koalition der Verlierer gewinnt
Könnte die CDU wie in NRW mit den Grünen koalieren, würde sie es tun? Ausschließen kann man es nicht. Es wäre an Kai Wegners Stelle allerdings strategisch unklug. Zu sehr hat er den Mythos aufgebaut, für jenen Teil der CDU zu stehen, wie man sie vor der Merkel-Ära wahrnahm. Die Union – zumindest seine Union – darf nicht neuerlich den Eindruck machen, sich für die Macht zu jedem Preis ins Bett zu legen. Wenn sie denn nicht von der Bildfläche verschwinden will.

Von der Bildfläche verschwinden sollte dagegen Wegner. Den Eindruck hatte man, als der Tagesspiegel darüber berichtete, CDU-Chef Friedrich Merz wolle ihn nicht beim Wahlkampf unterstützen. Wie viel an der Geschichte dran ist? Merz versuchte danach demonstrativ dem Eindruck entgegenzutreten, den Berliner Spitzenkandidat auf Distanz zu halten.

Doch das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wegners Wahlkampf nicht nur gegen die Grünen gerichtet war, sondern auch gegen grüne Tendenzen in der eigenen Partei. Die Berliner CDU inszenierte sich als Autofahrerpartei, obwohl die Bundesebene jahrelang nichts gegen Fahrverbote und das sich abzeichnende Verbrennerverbot unternahm. Damit verprellt man nicht nur mögliche Koalitionspartner, sondern auch einen bestimmten Flügel innerhalb einer Partei, in welcher der lange Schatten der Kanzlerin nachwirkt.

Für die CDU bleibt aber das Eingeständnis, dass genau diese Strategie möglicherweise der Grund war, weshalb sie in der notorisch linken Hauptstadt fast 10 Prozentpunkte zulegte. Die AfD, die der viel logischere Kandidat für eine Denkzettelwahl von Regierungsversagen und Chaoswahl war, konnte nicht so stark profitieren wie die Christdemokratie. Die CDU konnte sich als die bessere Alternative vermarkten, erschien dem Wähler als Korrektiv offenbar glaubwürdiger.

Das ging nur, weil Wegner sich traute, Themen zu spielen, die man sonst der AfD auf dem Silberteller servierte. Wie so oft kam es auf die machiavellistische Devise an, dass es nicht darum ging, eine Sache tatsächlich zu vertreten, als vielmehr den besseren Schein dafür zu erwecken. Sie konnte die jahrelange Bundespolitik für einen Moment vergessen machen. Den Wahlkampf hat die CDU also nicht nur gegen die amtierende Regierungskoalition gewonnen.

Das ist nicht nur für die treuen Merkelianer in der Union eine bittere Erkenntnis, sondern auch für Parteichef Merz. Das Gerangel mit Hans-Georg Maaßen, der mittlerweile zu einer Sahra-Wagenknecht-Gestalt der Union herangewachsen ist, lässt die Partei ebenso wenig los wie der Umgang mit der nicht mehr ganz so neuen Kraft rechts der Partei. Einerseits will Merz die AfD-Wähler zurückgewinnen, andererseits dafür auch nicht mehr als nötig riskieren. Eine Koalition mit der AfD bleibt ausgeschlossen, obwohl es die einzige Möglichkeit für Merz ist, ohne Große Koalition oder Grüne das Kanzleramt zu erringen, und damit den Ausverkauf der Union um ein weiteres Kapitel zu bereichern.

Wegners Sieg hat daher in Berlin keine Auswirkungen; das kann er auch nicht, weil die strukturelle Mehrheit der Linken in diesem Bundesland kaum zu erschüttern ist. Die wahre Erschütterung geht hingegen in Richtung Parteizentrale. Dort dürfte er alte Wunden aufreißen.

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