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Wahlsieger Frans Timmermans: Islam gehört seit 2000 Jahren zu Europa

Am 16. Mai wurde Frans Timmermans in der ZDF-Sendung zur EU-Wahl gefragt, ob der Islam zu Europa gehöre. Er antwortet: "Seit 2.000 Jahren." Das Publikum klatschte Beifall.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Der erste Vizepräsident der EU und Spitzenkandidat der Sozialdemokraten, Frans Timmermans, sorgte in den Niederlanden für die Überraschung, als er am Donnerstag mit seiner Partei PvdA die Wahlen zum EU-Parlament gewann.

Timmermans erhielt 18,1 Prozent der Stimmen und fünf Sitze (plus zwei). Seine mit 18,1 zwar kleiner Sieg, aber immerhin als stärkste Partei, wird von den Sozialdemokraten europaweit als Auftakt einer möglichen Siegesserie gefeiert. Wer ist dieser Frans Timmermans? In der ZDF-Sendung zur EU-Wahl wurde er gefragt, ob der Islam zu Europa gehöre. Er antwortet: „Seit 2000 Jahren.“ Das Publikum klatschte Beifall.

In dem TV-Duell standen sich der Spitzenkandidat der EVP, Manfred Weber (CSU) und der Spitzenkandidat der SPE, der Sozialdemokrat Frans Timmermans, gegenüber. Beide wollen EU-Kommissionspräsident werden.

»Der Niederländer versuchte seinen Fehler zu korrigieren und verbessert sich mit den Worten „seit 1.500 Jahren!“ – aber zu spät.«, meldete merkur.de.

Mit ein wenig Allgemeinbildung wird einem auffallen, dass hier etwas nicht stimmt.
Ein paar Erinnerungen zum Islam und zu Europa: Der Islam wurde erst im 7. Jahrhundert n. Chr. erfunden. Jesus, den wir vor 2.000 Jahren datieren, zählt im Islam als Prophet. Auf ihn wird im Koran Bezug genommen. Folglich muss er früher gelebt haben. Die iberische Halbinsel war per Eroberung islamisch. 1492 wurde die Reconquista von den Spaniern beendet. Südosteuropa wurde nach dem Fall Konstantinopels Teil des türkischen Osmanischen Reichs. Die Ungarn wurden Jahrhunderte unterdrückt und wissen noch heute ein Lied davon zu singen. Die kollektive historische Erfahrung erklärt manchmal ihr Verhalten. Die Serben haben ebenfalls gewisse Erfahrungen gemacht. Von den Albanern traten unter der Türkenherrschaft viele zum Islam über, weil man mehr Rechte hatte, wenn man Moslem war, und weniger Rechte, wenn man Christ war. Viele christliche Albaner flohen. Das ist die Ursache für die albanischen Sprachinseln in Griechenland, Italien, Bulgarien, der Ukraine und anderen Ländern, die es bis heute gibt.

Die Gastarbeiter kamen erst deutlich später nach dem 2. Weltkrieg. Die „Flüchtlinge“ kommen in großem Ausmaß seit dem Sommer 2015. Es gab eigentlich keinen besonderen Anlass. Der Syrienkrieg war bereits mehrere Jahre in Gang. Während aber noch im Sommer 2014 die Grenzen tendenziell eher dicht waren, war dies nun nicht mehr der Fall. Es entstand die bekannte Sogwirkung.

Das Publikum klatschte, wie das Video zeigt, nach Timmermans‘ Aussage begeistert Beifall. Anscheinend hatten die Klatschenden nichts an der sachlichen Richtigkeit der Antwort auszusetzen, und offenbar fanden sie an der beabsichtigten Aussage Gefallen. Man fragt sich, nach welchen Kriterien solch ein Publikum ausgesucht wird oder sich zusammenfindet.

Die CDU hatte vor einigen Wochen ein Wahlplakat mit dem Slogan „Gute Bildung für die Zukunft“ kleben lassen. Auf diesem war jedoch ironischerweise der darauf abgebildete Globus (links im Bild) spiegelverkehrt.

Anscheinend war im gesamten Prozess, den solch ein Plakat bis zum Geklebtwerden durchlaufen muss, der Fehler niemandem aufgefallen. Nun zeigte also die Sozialdemokratie, dass sie gleichziehen kann.

Respekt gezollt werden muss Timmermans dafür, dass er sich in einer fremden Sprache in das TV-Duell wagte, d. h. nicht in seiner Muttersprache Niederländisch. Darüberhinaus stellte er sich der Herausforderung nicht im international notwendigen Englisch, sondern im Deutschen, das sein Mitbewerber spricht. Das kann zu höherer Anspannung führen.

Aber die Aussage ist auch inhaltlich zu bewerten. Die Sätze des Typs „gehört zu“ dienen in der Politik ja nicht nur einer Beschreibung von Umständen, sondern auch der Gutheißung. Das erwies die Diskussion um die Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff „Der Islam gehört zu Deutschland.“

Nicht problematisiert wird auch, warum denn zu gewissen früheren Zeiten auf der iberischen Halbinsel und auf dem Balkan der Islam zu Europa „dazugehörte“. Die Ursache war blutige Eroberung. Der Islam hat dort nicht „dazugehört“, sondern geherrscht. Noch vor wenigen Jahrzehnten gab es den Islam im allergrößten Teil Europas schlicht überhaupt nicht. In Schweden beispielsweise war er komplett abwesend. In Deutschland war es nicht anders. Auch Diskussionen über Kopftücher, Beschneidungen, Moscheen usw. fehlten in den Nachrichten natürlich dementsprechend.

Die Ereignisse zeigen übrigens auch, wie problematisch der Ansatz gewisser etablierter Politiker ist, „Fake News“ im EU-Wahlkampf verbieten und löschen zu wollen. Denn manches ist unfreiwillig falsch. Obendrein kann vieles so oder so betrachtet werden. Und letztendlich: Wer hat schon die Weisheit gepachtet? Demokratie lebt zum Teil gerade davon, dass man sich darüber austauschen muss, was denn die Wahrheit ist. Dies steht nicht immer vorher fest. Wer ihm unliebige „News“ verbieten lassen will, hat ein elementares Problem mit der demokratischen Kultur.