Tichys Einblick
Blick aus der Schweiz

Wahlen in Bayern – Mir san nix

Zeitenwende ist ein grosses Wort. Auf diesen Wahltag trifft es zu.

Aus Schweizer Perspektive bewundert man immer das bajuwarische Selbstbewusstsein, dass sich im sprichwörtlichen «mir san mir» äussert. Lederhose und Laptop ist die Kurzformel für die Mischung zwischen Tradition und Moderne, zwischen Weltoffenheit und tiefer Ablehnung von jedem, der «Eichkatzelschweif» (Sprich: „Oachkatzlschwoaf“) nicht richtig aussprechen kann. Und zu dieser Tradition bis in die Moderne gehörte, dass eine Partei das Mass (Achtung, Wortspiel!) aller Dinge war. Seit 1946 bis heute.

Vorbei, verweht, nie wieder.

Was ist passiert? Moderndeutsch würde man sagen, dass der CSU (35,5 Prozent Hochrechnung) ihre Kernkompetenzen abhanden kamen. Beziehungsweise, andere Parteien haben sie überholt. Das Tümelnde können inzwischen die Grünen besser, Natur, Bio und Photovoltaik-Anlage auf dem Dach, das aber nur, wenn es massig Batzen vom Staat gibt. Das ist für den Bayern wählbar. Das ergab dann satte 18,5 Prozent. Und das Konservativ-Bewahrende kann die AfD besser, «Bayern. Aber sicher!», die kühne Ankündigung, dass die AfD das einlöse, was die CSU nur verspreche. Der AfD schadet nicht einmal, dass sie in Bayern zerstritten ist, einer ihrer Spitzenkandidaten sich vor Gericht zofft, ob er nun Parteimitglied ist oder nicht.
Nicht einmal  Aussagen wie «Wenn mich in der Nachbarschaft ein Neger anküsst oder anhustet, dann muss ich wissen, ist er krank oder ist er nicht krank»,  konnten der AfD schaden. Sie ist im ersten Anlauf mit 11 Prozent im Landtag angekommen. Überraschungsfrei hat sich die SPD auch in Bayern vom Anspruch, eine Volkspartei zu sein, verabschiedet; sie unterscheidet von der Partei «Die Linke» lediglich, dass sie die Fünfprozent-Hürde übersprungen hat. Diesmal.

Finale der Union
Bayernwahl: CSU ist noch einmal davongekommen
Normalerweise sorgen wirtschaftliche Krisen dafür, dass die Parteienlandschaft umgepflügt wird. Bleiben sie aus, bleibt das politische Gefüge stabil, so wie in der Schweiz, wo seit 1959 (!) in einer sogenannten Zauberformel jeweils die drei stärksten Parteien zwei und die nächstgrössere einen Bundesrat stellen. Noch weiter zurück geht die Herrschaft der CSU in Bayern, die seit 1946 mit einem Knick im Jahre 1950 und einer Ausnahme bis heute immer den Ministerpräsidenten stellte und als Partei sowieso die politische Szene beherrschte. Sie schaffte dabei den Spagat zwischen dem ländlichen «mir san mir», dem dumpf-katholischen Konservatismus, wo ein Schwarzer nur als politische Farbe akzeptiert wird, und der Loden-Schickeria in München, wo die Krachlederne am Oktoberfest und sonst als modisches Statement getragen wird.

Aber Bayern geht es grossartig, die Wirtschaft brummt, mit einer Arbeitslosenquote von 2,8 Prozent liegt der Freistaat sogar noch vor der Schweiz, und das will etwas heissen. Glückliche Kühe grasen auf glücklichen Weiden, selbst die Bayerischen Motorenwerke haben nicht zu viele Fehlzündungen, High Tech und Start-up und Bitcoin und Online Marketing sind keine Fremdwörter in Bayern, es gibt sogar noch Herrgottswinkel, wo das Königlich Bayerische Amtsgericht selbst heute tagen könnte. Nicht einmal die Saupreissn können als Schuldige an der krachenden Niederlage der CSU dingfest gemacht werden, obwohl Markus Söder in seiner Verzweiflung auch die Masseneinwanderung – nein, nicht von Ausländern, also irgendwie schon – von bundesrepublikanischen Ausländern für den Wählerschwund bei der CSU verantwortlich macht.

Heute kann sich die CSU den Wahlausgang nicht mal mit einigen Mass Bier schönsaufen. Söder wird zwar Ministerpräsident bleiben, aber er ist schwer angeschlagen. Und Parteichef Horst Seehofer, der Berliner Problembär, hat nur zwei Zukunftsperspektiven. Er tritt sofort ab oder er tritt demnächst ab. Oder aber, das wäre in der CSU auch nichts Neues, beide fallen einer Hinterzimmerintrige zum Opfer und die CSU zerlegt sich nach ihrer Wahlniederlage weiter. Für alle, deren Parteimitgliedschaft nur ein nötiges Utensil einer beruflichen Karriere war, bieten sich die Grünen als wohlfeile Alternative an. So wie Strauss auf Wolke sieben wohl den desolaten Zustand seiner Partei beklagt, so werden die Gründungsväter und –mütter der Grünen, auch auf Wolke sieben wie Petra Kelly oder längst in der Resignation abgetaucht, den völlig denaturierten Zustand ihrer Partei beweinen.

Wer noch vor zehn, okay, vor zwanzig Jahren in einer Versammlung von Grünen in den Raum gestellt hätte, dass doch auch eine Koalition mit der CDU, ja selbst mit der CSU durchaus denkbar wäre, wäre aus seinen Birkenstock-Latschen gehauen und mit Tritten in das Hinterteil seiner Latzhose aus dem Lokal gejagt worden. Heutzutage ist das bereits Realität oder realistisch; Führungsfiguren der Grünen bescheissen mit Flugmeilen, labern staatstragend von der «Würde des Hohen Hauses» und spreizen ganz allgemein die Beine zum politischen Spagat wie keine andere Partei in Deutschland. Lediglich eine Koalition mit der AfD ist wohl ausgeschlossen. Zurzeit, und auch nur deswegen, weil das gemeinsame Wählerpotenzial noch nicht dafür ausreicht. Sollten aber AfD und Grüne ihren Aufwärtstrend fortsetzen, darf man keine Wetten abschliessen, dass das nie passieren wird.

Wird die CSU nochmals in der Zukunft zu alter Herrlichkeit zurückfinden? Seitdem es die schon klinisch tote FDP geschafft hat, dank der Lindner-Kubicki-Zweierbande wieder aufzuerstehen, sollte man niemals nie sagen. Andererseits, genauso wenig, wie sich Zahnpasta wieder in die Tube quetschen lässt, lassen sich die Folgen der Masseneinwanderung und der Sozialdemokratisierung von CDU/CSU wieder rückgängig machen. Man sollte jedoch einen alle Poren der bayerischen Gesellschaft durchdringenden Organismus wie die CSU nicht vorschnell abschreiben. Mit einem besseren Führungspersonal als der Dilettantenstadl Söder/Seehofer könnte eine Rückkehr zum breitarschigen «mir san mir» gelingen. Oder aber, die CSU verliert ihre Karrieristen und zerlegt sich in Diadochenkämpfen zu «mir san nix». Wie sagte der unsterbliche bayerische Volkskomiker Karl Valentin so richtig: Wenn’s einer kann, ist’s keine Kunst. Kann’s einer nicht, ist’s auch keine.