Tichys Einblick
Die gewollte Falle schnappt zu

Von Ausnahmezustand zu Ausnahmezustand: Was befürchtet wurde, tritt ein

Nach der Wahl wird ohnehin die Mär vom Klimanotstand die Pandemie ablösen. Die Ausnahmezustandsgesetzgebung wird für den Klimanotstand modifiziert.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Markus Schreiber

In diesen Tagen entscheidet sich, ob Deutschland den Schritt von der repräsentativen Demokratie zur Kanzlerdiktatur macht. Eine Bundeskanzlerin, die aufruft, demokratische Wahlen rückgängig zu machen, die Wahlergebnisse für unentschuldbar, die ihre Meinungen für alternativlos hält, und für die der Streit um das beste Argument, um die beste Lösung nur „Diskussionsorgien“ darstellt, muss man nicht unbedingt für eine mustergültige Demokratin halten.

Doch es sind die Parteien, die CDU und die SPD, die Grünen, es sind die Ministerpräsidenten der Länder, die diese Politik erst ermöglichen, sie können sich nicht herausreden, sie haben nämlich Merkels Politik des Ausnahmezustandes, des Regierens mit „Notverordnungen“ erst ermöglicht. Schließlich waren sich „die meisten Abgeordneten…der Problematik ihres neuen Gesetzes bewusst. Als der Bundestag im März 2020 erstmals über die Feststellung einer „„epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ im Rahmen des neuen Bevölkerungsschutzgesetzes entschied, bestanden deswegen viele auf einer engen zeitlichen Begrenzung“, schreibt die Welt.

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So wie sich viele der Tragweite des Infektionsermächtigungsgesetzes und seiner Verschärfungen bewusst waren, wussten viele, was sie beschließen, als sie die Aushebelung des Föderalismus durch die „Bundesnotbremse“ und durch die Einschränkung des Rechtsweges der Gewaltenteilung schweren Schaden zufügten. Nicht nur die Judikative wurde durch die Exekutive beschädigt, sondern die Exekutive beschädigte auch die Legislative.

Der Regensburger Staatsrechtler Thorsten Kingreen nennt das den „Verstetigungseffekt“, der von einigen Juristen befürchtet wurde. Doch der Begriff „Verstetigungseffekt“ ist nur dann kein Euphemismus, wenn unter Verstetigung die Verstetigung der Machtverschiebung von der Judikativen, von der Legislativen und von der Föderativen (die Befugnisse der Bundesländer) zur Exekutiven hin gemeint ist und natürlich deren Fortsetzung und Ausbau. Andere, willige Juristen, haben Angela Merkel geholfen, die Machtverschiebung in großer Dimension und sehr verdeckt voranzutreiben, indem die Maßnahmen an die epidemische Lage geknüpft worden sind. Das erweist sich nun als Blankoscheck für die Regierung, den Ausnahmezustand bis zu den Wahlen im Herbst aufrecht zu erhalten. Eine Mutante findet sich immer, käme sie auch vom Mond oder vom Mars.

Weil man die Maßnahmen an die epidemische Lage gebunden hat, sitzt man nun in der erwünschten und bezweckten Falle, den Ausnahmezustand nicht einfach aufheben zu können, weil man sonst auch alle Maßnahmen, die möglicherweise sinnvoll sein könnten, aufhebt. Kingreen stellt fest, dass die epidemische Lage sich „derart in die Rechtsordnung eingefressen“ hat, „dass man sie nicht einfach beenden kann“.

Über 30 Mal findet sie sich allein im Infektionsschutzgesetz. Zwar könne man, so Kingreen, für Maskenpflicht und Abstandsgebote auch neue Rechtsgrundlagen schaffen. Dann brauche man den Beschluss der epidemischen Lage nicht mehrDoch daran scheinen die Regierungsparteien kein Interesse zu haben. Vor diesem Hintergrund und vor der Aussicht, dass der Bundestag im Juni „die epidemische Lage“ verlängern wird, erweisen sich die Beteuerungen von Unionspolitikern, dass man den Ausnahmezustand, dass man die Maßnahmen bald beenden und dass man ohnehin mit dieser Macht sorgsam umgehen werde, als blanker Zynismus, denn mit Macht wurde noch niemals sorgsam umgegangen.

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Macht wurde bisher immer genutzt und ausgenutzt, weil es einfach dem Wesen der Macht entspricht. Deshalb sieht das Grundgesetz Mechanismen der Machtkontorolle und Machtbeschränkung vor. Doch genau jene wurden seit 2020 immer perfekter ausgehebelt. Not kennt kein Gebot – und Not ist immer. Deshalb setzten Merkels willige Juristen ihren ganzen Intellekt ein, um immer weitere Durchgriffsrechte für die Exekutive zu schaffen. Die zynische Argumentation läuft so:

Viele Schutzmaßnahme gegen die Pandemie sind an die epidemische Lage geknüpft, würde man die epidemische Lage aufheben, würde man ja auch sehr „sinnvolle“ und sehr „notwendige“ Maßnahmen wie Abstandsgebot und Maskenpflicht aufheben. Gleiches gilt für die Quarantänepflicht. Wenn man nicht Abstandsgebot, Maskenpflicht und Quarantänepflicht aufheben will, dann muss man die Möglichkeit von Ausgangsperren, Betriebssperrungen, wozu auch Universitäten und Schulen, der schwergetroffene Einzelhandel gehören, Regelungen zu Testungen und Impfungen, Demonstrationsverbote und Hausdurchsuchungen, ohne dass eine Anordnung eines Gerichtes oder der Staatsanwaltschaft vorliegt, akzeptieren. Die schaurige Pointe lautet, wenn man das Abstandsgebot oder die Maskenpflicht für sinnvoll hält, muss man Ausgangsperren, Betriebssperrungen, Regelungen zu Testungen und Impfungen, Demonstrationsverbote und willkürliche Hausdurchsuchungen in Kauf nehmen.

Im Beispiel gesagt lässt sich die Regierung das Recht verlängern, weil jemand falsch nach Rechts abgebogen ist, die ganze Straße, nein alle Straßen der Stadt oder des Landkreises zu sperren. So äußerte mit größter Unschuldsmiene der Unionsfraktionsvize Thorsten Frei gegenüber der Welt: „Die Feststellung der epidemische Lage ist zwingende Voraussetzung dafür, dass auch die weniger eingriffsintensiven Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes angewandt werden können“. So wird die Maske zum Maulkorb. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese hält es für unstrittig, dass die epidemische Lage im Bundestag verlängert wird. Frei ist dafür, dass die epidemische Lage drei weitere Monate gelten soll.

Für den Staatsrechtler Kingreen ist es wahrscheinlich, dass „die epidemische Lage bis in den Winter hinein verlängert“ wird, „bis man Zeit findet, das infektionsschutzrechtliche Gefahrenabwehrrecht grundlegend neu zu regeln.“ Woher nimmt er seinen Optimismus? Noch nie hat eine Regierung auf erweiterte Durchgriffsrechte freiwillig verzichtet. Die Neuregelung des „infektionsschutzrechtlichen Gefahrenabwehrrecht“ wird nur die Rechte der Exekutive zu Lasten des Bürgers grundlegend erweitern.

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Ich habe immer wieder die Vermutung geäußert, dass die Bundesregierung den Ausnahmezustand bis mindestens zu den Wahlen verlängern wird, erstens weil sie das Ausmaß der sozialen und wirtschaftlichen Zerstörung, die ihre panische und falsche Politik, ihre himmelschreienden Versäumnisse, das Staatsversagen so lange als möglich bemänteln will, und zweitens Angela Merkel in ihrer Amtszeit nicht mehr mit den Folgen ihrer Politik konfrontiert werden möchte. Vielleicht hofft man auf eine Briefwahl, die als einzige Wahlmöglichkeit nicht akzeptabel und nicht demokratisch legitim ist.

Nach der Wahl wird ohnehin die Mär vom Klimanotstand die Pandemie ablösen. Die Ausnahmezustandsgesetzgebung wird für den Klimanotstand modifiziert. Aus demokratischer Perspektive wird das Klimaschutzgesetz, an dem derzeit so eifrig gearbeitet wird, nur die Ergänzung des erweiterten Infektionsschutzgesetzes darstellen, so dass man vom Coronalockdown in den Klimalockdown wechseln kann und vice versa. Weshalb sollte man deshalb sonst so hektisch daran arbeiten, dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode ohne Rücksicht auf Verluste durch den Bundestag zu peitschen? Wie gesagt: Notstand ist eigentlich immer – und wer dem widerspricht, ist ohnehin nur ein Verschwörungstheoretiker, ein Schwurbler, ein Rechter. In der DDR reichte noch ein Namen dafür aus: der Klassenfeind, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gilt.

Ein Schweizer Journalist erzählte mir, dass die sinnvollen Einschränkungen der Freiheit, die aufgrund des II. Weltkrieges in der Schweiz erlassen worden waren, auch nach dem Krieg Bestand hatten und dass selbst in der liberalen Schweiz die Bürger vier Jahre benötigten, um sich ihre vollständige Freiheit zurückzuholen. Was das für Deutschland bedeutet, kann sich jeder vorstellen. Regierungen verzichten nicht freiwillig auf Ausnahmerechte, die sie sich geschaffen haben. Lord Acton sagte nicht zu Unrecht: „Macht korrumpiert, absolute Macht korrumpiert absolut.“ Und nicht zufällig gehörte dieses Zitat zu den Losungen, die von den Demonstranten 1989 auf Transparenten getragen und skandiert wurden.

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Die Dekonstruktion des Grundgesetzes
Die Lage ist ernst. Die Regierung gewöhnt sich ans Durchregieren. Das Parlament versagt, es stimmt seiner Entmachtung zu. Es müsste, wollte es Parlament sein, der Regierung die Verlängerung der epidemischen Lage verweigern. Alles andere käme der Selbstabdankung gleich. Die Demokratie taumelt von Notstand zu Notstand, von Notstandsgesetz zu Notstandsgesetz – und wird dabei immer schwächer. Die herrschenden Kreise in der Bundesrepublik haben anscheinend beschlossen, das Volk zu beherrschen, das sie für unmündig erachten – und das nach dem alten römischen Grundsatz „divide et impera“ ohnehin in kleine und kleinere Gruppen aufgelöst wird. Statt des deutschen Volkes, das der Souverän des Grundgesetzes ist, scheinen nur noch die schon länger Hierlebenden und die kürzlich Hinzugekommenen, Angehörige von Täter-und Opfergruppen, vom Rassismus Betroffene und Menschen die qua Geburt bereits Rassisten sein sollen, zu existieren.

Die Bundeskanzlerin entriss ihrem damaligem Generalsekretär auf der Wahlparty die Deutschlandflagge, die Fahne der deutschen Demokratie, und legte sie beiseite, Teile der Grünen wollen den Begriff Deutschland aus der Überschrift des Wahlprogramms streichen, sie wollen keine Politik für die Deutschen machen, sondern für abstrakte Menschen, für ihre Menschen.

Nach der unvollendeten Revolution von 1989 hat es den Anschein, dass wir nun die vollendete Reaktion des juste milieus erleben. Angela Merkel sagte einmal: uns ist das Ding entglitten. Sie hat recht. Das „Ding“ ist die Demokratie.

Alle in Europa öffnen, nur Deutschland sperrt ein. Guten Morgen in Angela Merkels tristem Herrschaftsbereich. Für Deutschland bricht die bleierne Zeit an, die Zeit ohne Uhren, die Zeit der ewigen Lockdowns.