Tichys Einblick
Söders Demaskierung

Vom „Kandidaten der Herzen“ zum Provinzpolitiker

Komisch: das fällt den FAZ-Qualitätsjournalisten erst nach der Nacht der langen Messer ein. Überhaupt sei Laschet doch der viel bessere Kandidat, Umfragen hin oder her. Wobei FAZ hier pars pro toto steht. Das Konzert der Wendehälse hallt durch die Gazetten.

IMAGO / Sven Simon

Aus dem „Kandidaten der Herzen“ wurde über Nacht einer, der „zu nah an der Sonne“ sei. Aus einem, dem man die Augenhöhe zu Biden oder Erdogan zutraute, plötzlich ein bloßer „fränkischer Regionalpolitiker.“ Tja, man kann sich (ganz im Sinne der personifizierten Notbremse aus der Uckermark) Meisterschaften im „Surfen auf den Wanderdünen des Zeitgeistes“ ersparen. Sieger wären immer Politiker und Journalisten. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wenn man die Kommentare der sich Qualitätspresse oder Leitmedien nennenden Hoforgane liest. Man kommt gar nicht so schnell mit, wie aus „Hosianna!“ ein „Kreuziget ihn!“ wird.

Das schrieb mir übrigens v o r der Kandidatenkür der sogenannten Union einer der maßgeblichen und gradlinigsten Widersacher Merkelscher Zerstörungswut: „Jesus war beim Einzug in Jerusalem auch der Umfragensieger ….“ Klar erkannt, denn wir wissen ja um das Ende. Übrigens ein Ende, das Söder bei seiner ersten Landtagswahl als Ministerpräsident ja bereits erlebt hatte. Wir wissen aber auch, wer den umjubelten „König der Juden“ einst in die Hauptstadt Jerusalem trug: ein Esel. Diese Esel saßen (wieder einmal) in den Redaktionen: kaum jemand, der sich traute, in den Medien irgendetwas gegen Söder zu sagen.

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Und CDU-Funktionäre streuten Palmzweige, als gäbe es kein Halten mehr. Niemand schien sich Gedanken darüber zu machen, dass die Kandidatur Söders das Ende der CDU bedeutet hätte. Die italienische Democracia Christiana lässt grüßen. Verglüht, ohne vermisst zu werden. Eine CDU, zu schwach, um dauerhaft einen Vorsitzenden zu wählen, zu feige, diesen dann auch als Kanzlerkandidaten durchzusetzen. Alles Berechnungen, die man als kundiger und vor allem neutraler Journalist sich immer schon hätte machen müssen.

Doch oh Wunder: jetzt, wo alles vorbei ist, weiß sogar die FAZ (halbbseitig!), dass Laschet ja als „Stehaufmännchen“ bekannt sei und zitiert genüsslich, wie er die verloren geglaubte Wahl gegen die (inzwischen völlig verschollene) SPD-Frontfrau Hannelore Kraft gedreht hat. Komisch: das fällt den FAZ-Qualitätsjournalisten erst nach der Nacht der langen Messer ein. Überhaupt sei Laschet doch der viel bessere Kandidat, Umfragen hin oder her. Wobei FAZ hier pars pro toto steht. Das Konzert der Wendehälse hallt durch die Gazetten.

Alle diese Begründungen hätte man vorher bringen können, denn sie waren bekannt. Nein, da konnte aber nicht sein, was nicht sein durfte. Die (geradezu CSU-feindliche) Süddeutsche wurde plötzlich sogar zum Leitmedium der „Hosianna!“-Rufer, besser im verqueren Gender-Deutsch: der (immerzu und ohne Ende) Rufenden. Spätestens das hätte stutzig machen müssen, wäre Söders Münchner CSU-Jubeltruppe noch auf dem Boden nüchterner Tatsachen gestanden. Denn kaum war die Messe gesungen, schaltete man im Eiltempo wieder auf den bekannten Angriffsmodus: er ist (wie gehabt) „der fränkische Regionalpolitiker als Kandidat der Herzen“, wobei die Frage bliebe, „warum ausgerechnet er und nicht etwa Armin Laschet, Johann Wadephul oder Annette Widmann-Mauz?“ Vernichtender geht es nicht. Das Denkmal liegt in Schutt und Asche, bevor es überhaupt gebaut ist.

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Oder Schlagzeile heute auf der SZ-Bayernseite: „Endlich a Ruh“. Hämisch wird berichtet, ob Söder sich wohl schon ausgemalt hat, „als Bundeskanzler mit Joe Biden und dessen Hunden Champ und Major über den Südrasen des Weißen Hauses zu tollen.“ Eigenartig, 48 Stunden zuvor hatte man ihn doch schon mit bajuwarisch-qualitätsjournalistischem Nachdruck zum einzig möglichen Kandidaten für eines der wichtigsten Ämter der Welt erkoren. Ja, ja, jetzt weiß sogar die FAZ: „Der sei so nah an der Sonne, da sei die Gefahr groß gewesen, dass seine Umfragen geschmolzen wären wie damals bei Martin Schulz.“ Man hätte sich mit Söder „einen beweglichen Machiavellisten ins Nest gelegt.“ Tolle Erkenntnisse, die man übrigens im Gegensatz zu ARD, ZDF, FAZ, SZ etc pp schon hier bei TE v o r der dröhnend-donnernden (und für jeden nüchternen Beobachter erwartbaren!) Niederlage lesen konnte.

Wobei wir wieder beim „Kandidaten der Herzen“ wären. Einen größeren Stuss hat man selten gehört. Und daran erkennt man, wie realitätsfern und blind die Verehrung des Herrenchiemsee-Kronprinzen in seiner engsten Umgebung gediehen ist. Dummer und dreister kann man sich mit einem Bild nicht irren. Ganz zu schweigen, dass man damit den glorifizierten „Ich bin der Markus!“ (Söders unvergessener Kniefall vor den Greta-Jüngern auf der Zugspitze) auf das Niveau von Prinzessin Diana senkte. Nein, viel schlimmer. Erst der Münchner Merkur musste daran erinnern, von den leitartikelnden Jubelpersern der Konkurrenz völlig übersehen: Es waren doch die Spieler von Schalke 04, die zu „Meistern der Herzen“ empor gejubelt worden waren.

Unvergessen für jeden Fußballfan (bis offensichtlich auf des fußballbegeisterten Söders Truppe): Es war Schalke 04, das 2001 trotz eines so knappen wie turbulenten Sieges gegen die SpVgg Unterhaching in der letzten Sekunde des letzten Spieltags die Meisterschale an Bayern München verlor. Sympathien gab es reichlich. Einen Titel als Deutscher Meister allerdings bis heute nicht. Im Gegenteil: Nach dem besiegelten Abstieg in die Zweitklassigkeit wurden die Spieler vorgestern buchstäblich von ihren Fans gejagt. Kreuziget ihn!

Und da wären wir wieder bei der SZ: aus dem Sonnenkönig Markus wurde binnen Stunden wieder der fränkische Regionalpolitiker. Selten hat sich jemand so verzockt wie Söder. Aber auch selbst so als Mogelpackung demaskiert. Ganz ohne die ihn begleitenden Surfer auf den Wanderdünen des Zeitgeistes.