Tichys Einblick
Nach Zeugenaussagen von Journalisten

Vier Jahre Haft für IS-Rückkehrerin – sie radikalisierte ihren Mann

Eine IS-Rückkehrerin wird zu vier Jahren Haft verurteilt – vor allem weil Journalisten als Zeugen aussagten. Das Gericht urteilte auch: Die Ex-IS-Frau hat ihren Mann radikalisiert. Nicht aus Liebe, sondern aus Überzeugung sei sie damals ins Kalifat gereist.

Sie ist zweifellos eine der bekanntesten IS-Rückkehrerinnen: Kim Teresa A. aus Frankfurt, bekannt unter dem Pseudonym „Maryam A.“. Sie wurde heute zu vier Jahren Haft verurteilt. Dieser Fall ist besonders: Die Anklage stützte sich auf das von ihr verfasste Buch „Maryam A.: Mein Leben im Kalifat“ sowie auf die Zeugen-Aussagen von zwei Journalisten. Zudem ist mit diesem Urteil belegt, dass eine ehemalige IS-Frau einen Mann radikalisierte – und nicht umgekehrt. Durch dieses Urteil wird endgültig der Mythos gebrochen, wonach islamistische Frauen immer die Verführten sind. Dabei sind es in besonderem Maße Frauen, die Männer zum Islamismus und Dschihad verführen.

In einem grauen Pullover und umzingelt von Kameras sitzt Kim A. auf der Anklagebank. In wenigen Minuten wird der Richter das Urteil verkünden, das über die Forderung der Generalstaatsanwaltschaft von drei Jahren und drei Monaten Haft hinausgeht. Als das Urteil von einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren dann verkündet wird, lässt sich die heute 32-jährige Angeklagte keine Emotionen anmerken. Sie sitzt genau so starr auf ihrem Stuhl wie vor wenigen Minuten noch, als zahlreiche Journalisten ihr die Kameras ins Gesicht hielten.

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Ihr Verteidiger, Ex-SED-Vorsitzender Gregor Gysi, hatte zuvor noch erklärt, dass seine Mandantin den „schwersten Fehler ihres Lebens“ begangen habe, „als sie ihrem türkischen Lebensgefährten folgte“ und beim Islamischen Staat landete. Doch genau das hat das Gericht heute widerlegt: Kim A. ist nicht ihrem Lebensgefährten gefolgt. Viel mehr habe sie ihren damaligen Ehemann Onur E. radikalisiert und sei freiwillig und aus eigenem Antrieb nach Syrien gereist, um sich der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) dort anzuschließen.
„Unglaubwürdige Aussagen“

TE begleitete den Prozess, der im Juni dieses Jahres begann. Im Jahr 2014 reiste Kim A. als 25-Jährige mit ihrem damaligen Ehemann Onur E. nach Syrien. Besonders in Frankfurt und Offenbach hatte die junge Frau Kontakt zur radikal-islamischen Szene. Das Gericht stellte heute fest: Die Radikalisierung erfolgte über mehrere Jahre. Im Gerichtssaal versuchte A., ihre Radikalisierung herunterzuspielen. Immer wieder behauptete sie, dass ihr die salafistische Gemeinschaft, in der sie sich aufhielt, „näher war“ als ihre eigene Familie. Mit ihrer Herkunft aus zerrütteten Verhältnissen und ihrer Liebe zu Onur E. versuchte sie, ihren Weg zum Islamismus zu rechtfertigen.

Doch der Senat des Oberlandesgerichtes Frankfurt unterstrich heute deutlich, dass die Angeklagte einen erheblichen Teil der Tatvorwürfe bagatellisiert habe. Ihre Aussagen wären demnach „unglaubwürdig“, was unter anderem Zeugen belegen konnten. Dass sie „früh Anhängerin einer radikalen Glaubensausrichtung war“, sei belegt durch ihre Kontakte bis in die Spitze des IS, verkündete der Richter. Kim A. umgab sich mit prominenten Salafisten wie dem Ex-Rapper „Deso Dogg“, der später einer der bekanntesten IS-Anführer in Syrien wurde und zu Anschlägen in Deutschland aufrief.

Kim A. radikalisierte ihren Ehemann Onur E.

Auch die Mutter von Onur E. sitzt in diesem Moment im Gerichtssaal mit ihrem anderen Sohn. Der Richter betont, dass die Radikalisierung von Kim A. früher erfolgte als jene ihres Mannes Onur E., den die junge Frau im Jahr 2013 heiratete – getraut von einem Mann aus der radikalen Szene in Offenbach, der sich später in Syrien dem IS anschloss. Der Richter betont die glaubwürdige Zeugenaussage der Mutter von E., die im Juni ausführlich beschrieb, wie ihr Sohn sich veränderte, seit er Kim A. kannte, TE berichtete. Die 55-jährige Mutter ist eine türkischstämmige, integrierte und säkular lebende muslimische Frau. Sie beschrieb ihren Sohn als integrierten, partyfreudigen Jungen, der lange Haare, Jeans und Ohrring trug sowie regelmäßig zur Schule ging.

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Als Kim A. ins Leben der Familie E. trat, ersetzte Onur E. seine Jeans durch eine Stoffhose, rasierte sich die Kopf-Haare radikal ab und ließ sich einen langen Bart wachsen. Kim A. hatte der Mutter damals geraten, eine Burka zu tragen, und verbot der Familie die Rollladen hoch zu machen, damit sie kein Mann durch das Fenster sehen kann. „Wir saßen den ganzen Tag im Dunkeln“, sagte die Mutter aus und beschrieb bizarre Situationen.

Als der Richter am Tag der Urteilsverkündung mitteilt, dass Onur E. keine „Blitzradikalisierung“ durchlief, wie Kim A. es behauptete, sondern dass sie ihn radikalisierte und sie selbst das Leben im Kalifat als erstrebenswert empfand, hält die Mutter es nicht mehr im Gerichtssaal aus. Später sagt sie gegenüber TE, dass dieses Urteil für sie nahezu nichts bedeuten könnte. Sie ist traurig und wütend zugleich. Denn während Kim A. hier in Deutschland gemütlich in ihrer sicheren Zelle sitzt, weiß die Mutter nicht einmal, wo sich ihr Sohn aufhält und ob er überhaupt noch lebt. Es ist ein hochemotionaler Tag für die Mutter von Onur E. – wie fast jeder Tag für sie, da sie täglich hofft, dass ihr Sohn wo auch immer noch am Leben ist. Dass der Richter einräumte, dass A. ihren Sohn E. radikalisierte, ist nur ein kleiner Trost in dieser herzzerbrechenden Situation. Die Mutter sagte außerdem aus, dass A. damals gesagt hätte: „Ich hasse Deutschland.“

Journalisten als wichtigste Zeugen im Prozess

Während des Prozesses hat Kim A. außerdem versucht zu beteuern, dass sie bei ihrer Reise nach Syrien überhaupt nicht gewusst hätte, dass es zur Terrororganisation Islamischer Staat gehen würde. Das Gericht hat entschieden, dass dies ebenfalls unglaubhaft sei. Besonders belege dies die Zeugen-Aussage des Bild-Journalisten Björn Stritzel. Damals wandte Kim A. sich an den Bild-Journalisten, mit der Bitte, Kontakte zu syrischen Rebellengruppen zu vermitteln, die ihr bei der Flucht aus dem Kalifat helfen. Mit dieser Gruppe, die gegen den IS kämpfte, gelang es ihr dann zu fliehen. Um ihre Flucht zu bezahlen, erzählte sie zuerst dem Bild-Journalisten Björn Stritzel ihre IS-Story. Später hat dann jedoch der Spiegel-Journalist Christoph Reuter das Manuskript erhalten, das er als Buch veröffentlichte.

Die beiden Journalisten Stritzel und Reuter konnten durch ihre Zeugenaussagen einen wesentlichen Beitrag zur Beweislage leisten. Das Gericht entschied, dass Kim A. sich aus eigenem Antrieb dem IS anschloss und sie sich mit deren Ideologie identifizierte. Sie sei auch nicht wegen der Abkehr von dieser Ideologie und Terrororganisation geflüchtet. Vielmehr sei der Fluchtgrund die gefährliche Situation vor Ort im Kalifat gewesen, da die Anti-IS-Koalition vorrückte und Kim A. um ihr Leben fürchtete. So sagte der Journalist Stritzel, der damals im direkten Kontakt zur Angeklagten stand, aus: Kim A. habe ein „gutes opportunistisches Gespür dafür, wenn etwas zu Ende geht“. Die beiden Journalisten wurden in diesem Fall zu Schlüsselpersonen, um mehrere Aussagen als unwahr aufzudecken.

„Keine Mitläuferin“, sondern aktives IS-Mitglied

Einer der wichtigsten Aspekte in diesem Fall ist, dass Kim A. kein passives IS-Mitglied war, sondern den IS-Herrschaftsanspruch mitverteidigte. Zwei Jahre hielt sie sich im IS-Gebiet auf. Sie führte den Haushalt als IS-Ehefrau, unterstützte ihren Mann bei Krankheit und förderte folglich die Terrorvereinigung. Dadurch dass das Ehepaar Häuser und Wohnungen von Menschen, die vom IS vertrieben oder getötet worden waren, bezog, festigte sie die Gebietshoheit des IS, so die Richter. Das Gericht stellt fest: Kim A. wusste, dass die vorherigen Bewohner vertrieben oder getötet worden waren.

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Der Richter betont auch, dass A. „keine Mitläuferin“ war. Zusammen mit anderen hatte sie aktiv zwei Chat-Gruppen betrieben: bei Whatsapp die Gruppe „Determinierte Schwesterngruppe“ und bei Telegram die Gruppe „Irak und Scharm“. In beiden Gruppen wurde das IS-Leben propagiert und schöngeredet. Dass ein junges Mädchen namens „Emily“ sich entschied, nach Syrien ins Kalifat zu reisen, sei demnach Kim A. geschuldet, und zwar aufgrund einer dieser Chat-Gruppen. Des Weiteren hat sie eine dort lebende IS-Frau, Sabine S., vor dem IS-Gericht angezeigt, was für die Frau schwerwiegende Konsequenzen hätte haben können. Kim A. war zudem im Besitz von zwei Kalaschnikow-Gewehren, womit sie gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstieß.
Ein Fall wie kein anderer

Der Fall Kim A. ist einer der interessantesten Fälle von IS-Rückkehrerinnen. Immer wieder wurden Frauen, die aus dem Kalifat zurück nach Deutschland kamen, gewissermaßen verharmlost. Die Gerichtsurteile vielen sehr mild aus. Dies liegt vor allem daran, dass es sehr schwer ist, Beweise für in Syrien begangene Verbrechen zu finden. Auch sind IS-Frauen auf Videomaterial seltener zu sehen als IS-Männer. Für die Verbrechen, die bei Kim A. vorliegen, hätten in der Vergangenheit viele IS-Rückkehrerinnen eine Strafe von maximal bis zu zwei Jahren erhalten. Doch Kim A. hatte als Angeklagte selbst zahlreiches Material geliefert: dadurch dass sie ihre IS-Story verkaufte, woraus 2017 das Buch „Maryam A.: Mein Leben im Kalifat“ entstand, und dadurch dass sie mit vielen Journalisten Kontakt aufgenommen hat.

Neben Reuter und Stritzel gibt es noch weitere Journalisten, die Kontakt zu ihr hatten. A. hatte allen diesen Journalisten ihre Geschichten über ihr Leben im Kalifat erzählt. Es ist wohl ein Prozess gegen eine IS-Rückkehrerin, bei dem Journalisten wie noch niemals zuvor eine Rolle spielten. TE liegen teils noch unveröffentlichte Aufnahmen von Kim A. vor, auf denen sie mit Journalisten über ihr IS-Leben geredet hat. In einer dieser Aufnahmen bezeichnet sie ihre damaligen IS-Terror-Kollegen als „bekloppt“, „Narzissten“ und versucht es so darzustellen, als wäre sie dort am liebsten viel früher abgehauen.

Den Journalisten wollte sie sich wohl auf diese Art und Weise sympathisch geben, wie sie es auch bei den Richtern versuchte. Für Frauen, die wegen „Verliebtseins“ ins Kalifat gereist wären, hätte sie kein Verständnis, so laut Aufnahme – obwohl sie dieses Argument im Prozess dann selbst versuchte zu nutzen. „Ich kaufe keiner einzigen Frau, es sei denn, die ist wirklich extrem minderbemittelt, kauf ich diese Sache ab: ‚aus Liebe zu meinem Mann‘“, sagte A. Es sollte ein weiterer Film über Kim A. gedreht werden, doch die Verteidigung und Kim A. wollten dies dann plötzlich doch nicht mehr – vermutlich weil Kim A. sich schon zu sehr belastet hatte durch ihre Kontakte zu Journalisten.

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