Tichys Einblick
Rufmord an einem Wissenschaftler

Verleumdung und Niederbrüllen von Wissenschaft als Frühlingsspaziergang

Frankfurt galt lange als weltoffene, liberale Stadt. Wer dort heute einen wissenschaftlichen Kongress abhält, läuft Gefahr, in das Visier der rotgrünen Stadtpolitik, schlampig arbeitender Zeitungen und rotgrüner Studentenvereinigungen zu geraten.

Am 25. März 2018 entstand auf der Onlineplattform des „Merkurist“ ein Artikel, dessen Anschuldigungen sich wie ein Lauffeuer verbreiten; eine Debatte und eine Verbreitung von Fake News, die seitdem nicht stoppt. Merkurist ist ein lokaler Online-Dienst der Gründer Meik Schwind und Manuel Conrad, der mittlerweile vom Mainzer Medienhaus VRM (Verlagsgruppe Rhein Main, u.a. Allgemeine Zeitung Mainz, Wiesbadener Kurier, Darmstädter Echo) finanziert wird. Durch das Zusammenspiel mit den sich seriös gebenden Lokalzeitungen erhält das fragwürdige Portal erst die Durchschlagskraft.

Medien erfinden Schwulen-Feinde

Die Anschuldigungen drehen sich um den deutschen Soziologen und Professor Gerhard Amendt, der langjährig am Institut für Geschlechter- und Generationenforschung (IGG) an der Bremer Universität zuständig war. Als wissenschaftlicher Leiter veranstaltete Amendt vom 13. bis 15. April 2018 den Kongress „Familienkonflikt gewaltfrei austragen“ an der Frankfurter Goethe-Universität.

Laut Merkurist stehen Gerhard Amendt und Tom Todd, der Organisator des Kongresses, mit dem Institut für Jugend und Gesellschaft (DIJG) in Verbindung, welches für eine „Reorientierungstherapie“ bekannt ist. Diese Behauptung verbreitete sich in den blind abschreibbereiten Medien wie ein Lauffeuer. Von „Konversationstherapie“, „Homoheilung“ und „Homosexuellen-Therapeut“ war plötzlich die Rede. Tatsächlich hat das DIJG einen Aufsatz von Amendt auf ihrer Seite und in ihrem Magazin veröffentlicht, den die FAZ im Februar 2004 abdruckte. Dasselbe gilt für einen weiteren Aufsatz von Amendt beim DIJG, den die FAZ 2002 veröffentlichte. Amendt aber steht nicht mit diesem Institut in Verbindung und lehnt selbst solch eine Therapie ab. Wieso Tom Todd damit hineingezogen wird, ist fraglich und unbegründet. Hier treffen wohl Amendts Worte „mitgefangen, mitgehangen“ zu.

Damit noch nicht genug, stieß auch der Inhalt dieser Aufsätze selbst auf Kritik.
Angeblich habe Amendt „Homosexualität in die Nähe von Pädophile und Perversion“ gerückt. In seinem Aufsatz ist nicht von Homosexuellen allgemein die Rede, sondern von einer bestimmten kleineren Gruppe. Es ging um Ergebnisse an der Odenwaldschule, wo eine kleine Gruppe von Homosexuellen sich an Kindern vergangen hat, die in ihre Obhut gegeben wurden. Der Missbrauch von Kindern ist ein wichtiges Thema, welches von manchen Medien jedoch kurzerhand zu Homophobie-Vorwürfen umgestrickt wurde: Wer Missbrauch von Kindern kritisiert, gilt als „Schwulenfeind“. Vermutlich sollen so strafbare Vorwürfe umgeleitet und neutralisiert werden. Nachdem einige Medien vom „Merkurist“ abgeschrieben hatten, schrieben dann weitere Abschreiber von den Abschreibern ab: Ein Medien-Lauffeuer ohne Recherche und viel Gerüchten. Amendt wird sogar im Zusammenhang mit dem IG-Farbengebäude der Universität als Rechter und als Nazi dargestellt. Eine Medien-Hetze ohne das Bewusstsein, einen Ruf zu schädigen.

Die Täter sind in dem Fall nicht nur die Medien, sondern auch Politiker, Gruppen und Demonstranten. Tatsächlich veröffentlichten die Grünen, die SPD und die Linken aus Frankfurt, die Anschuldigungen der Medien nahezu eins zu eins und gossen dem Ganzen weiteres Öl ins Feuer. Ja, selbst die Fraktionen im Römer von SPD, Linken und Grüne überprüften nichts. Sie forderten die Universität auf, den Mietvertrag des Kongresses aufzulösen. Eine telefonische Anfrage über eine kurze Stellungnahme blieb bei der SPD und den Grünen unbeantwortet. Rufmord ist fix gemacht. Begründung braucht Rotgrün nicht, wenn es gegen „Rechte“ geht.

Das eigentliche Thema des Kongresses

Alle Anschuldigungen und Gerüchte werden auf den Kongress übertragen, der damit “umstrittenen“ ist, eine Redewendung, die sich sofort durchsetzt und in den Medien als Vorverurteilung wiederfindet. Das eigentliche Thema des Kongresses hat jedoch rein gar nichts mit den Behauptungen zu tun. Aber darum kümmert sich niemand mehr. Das Urteil ist gesprochen.

Der Schwerpunkt der Veranstaltung liegt auf Gewalt zwischen den Partnern und in der Familie. Das beinhaltet Gewalt, die Kindern angetan wird und Gewalt, die Kindern ihren Eltern antun. Besonders letzteres wurde bisher nur unzureichend in der Forschung aufgenommen.

Ganzjährig 1. April
Jagd auf Rechte: Jetzt sind die Fachwerkhäuser dran!
Somit geht es um den Versuch, eine Kehrtwende in der Forschung anzustreben: Die Schuld soll nicht nur bei einer Einzelperson gesucht werden – wie es in der Forschung bisher größtenteils angelegt ist -, stattdessen soll die Beziehung und die Familie als Ganzes betrachtet werden. Im Bereich der Psychologie wird dies als „Relational Turn“ bezeichnet. Amendt gibt in der Pressekonferenz zu bedenken, dass die Bemühungen des „Relational Turns“ oft einen falschen Eindruck erweckten, nämlich dass bei der Untersuchung von Gewalt nicht mehr auf die Männer, sondern nun hauptsächlich auf die Frauen geschaut werde. Die mögliche Schuld beider Geschlechter soll jedoch nicht dargestellt werden. In Deutschland ist der Streitpunkt, ob Gewalt zwischen Männern und Frauen verteilt ist, noch nicht ausdiskutiert – während dies in der USA bereits abgeschlossen ist. Amerikanische, israelische und englische Forscher führen auf den Kongress vor, was in Familien und Partnerschaften zu Gewalt führt – von Männern, Frauen, oder beiden.

Insgesamt ist es das Ziel, eine friedliche Lösung bei Trennungen und Scheidungen zu finden. Eine Versöhnung soll eingeleitet werden, bei der die Familie   begleitet wird: „Die staatliche Intervention soll die Familie zusammenführen und nicht auflösen“, so Amendt. Es wurde vom Familienministerium bisher keine Forschung finanziert, die Gewalt von Männern differenziert. Für Amendt ist es bezüglich der Forschung entscheidend, mit welcher Häufigkeit die Gewalt von Männern in den jeweiligen sozialen Schichten auftritt: Die Häufigkeit ist unterschiedlich verteilt. Somit müsste die Hilfe auf bestimmte soziale Schichten zugeschnitten sein. Jugendämter, Beraterstellen bis hin zu Psychotherapeuten müssten hochqualifizierte Angebote entwickeln. An den Fachhochschulen sollte nicht über die „Normal-Familie“, sondern über die „Konflikt-Familie“ geforscht werden. Folglich müsste sich an dem gesamten System in Deutschland etwas ändern. Amendt: „Statistisch zeigt sich, dass die alten Methoden nicht funktionieren“.

Außerdem betont Amendt die Scheu in der Wissenschaft, sich mit Fragen von Gewalt auseinanderzusetzen. Letztendlich bietet der Kongress einen direkten Transfer von Wissenschaft zu Ärzten, Therapeuten, Psychiatern und vielen mehr. Es ist ein berechtigter Ansatz. Aber in Deutschland gilt die Frage nach Gewalt, die von Frauen ausgeht, als „rechts“. Und damit ist ein weiteres Urteil gesprochen.

 Aufhetzen durch Demonstranten

Die Vorwürfe der Medien brachten es so weit, dass sogar zwei Demonstrationen an der Goethe-Universität stattfanden. Auch hier haben wir es bei „AStA“ und dem „Bündnis für Akzeptanz und Vielfalt“ mit Veranstaltern zu tun, die nur abschreiben, ohne zu prüfen. Mehr noch. Das, was sie lesen, überspitzen sie mit dem Titel „Homosexuellen-Therapeut“: „Sie glauben Homosexualität ließe sich behandeln und möchten diese Vorstellung auf ihrer Konferenz […] verbreiten“. Wie weiland die berühmten Waschweiber am Dorfbrunnen, Gerüchte werden nicht nur unbesehen weiter verbreitet, sondern angereichert.

Aus Sicht der Jäger der verbotenen Forschung ist es also gelungen, eine „umstrittene Veranstaltung“ endgültig in eine „rechtsradikale“ umzuinterpretieren. Das ist ein klarer Fall von Rufmord und hat rein gar nichts mit dem Kongress zu tun. Auch hier versuchte ich mittels telefonischer Anfrage eine Stellungnahme des „Bündnisses für Akzeptanz und Vielfalt“ zu bekommen, welche ausblieb. Wer argumentiert verliert. Einschalten des Gehirns ist verboten.

Die offizielle Demonstration fand dann am Samstag, dem 14. April statt. Bevor die Redner sprachen, befragte ich Demonstranten.

Der erfundene „Homo-Heiler“

Bei der Frage, warum sie heute hier sind, folgte: „Weil der Veranstalter ein Homo-Heiler ist“. Die Fake News sind also erfolgreich angekommen; die Befragten versicherten mir alle, dass sie die Infos aus dem Internet hätten – also von den kreativen Abschreibern. Als ich fragte, ob sie die Vorwürfe nachgeprüften haben, verwiesen sie mich erneut auf Internetartikel. Per Zirkelschluss ins Abseits, Recherche und Überprüfung sind an der Frankfurter Uni mittlerweile ein Fremdwort – Vorurteile allein zählen.

Vertreter vom Schwulenreferat – Redner auf der Demo – erzählten davon, auf dem Kongress seien „Persönlichkeiten mit antifeministischen und homophoben Äußerungen“. Auch sie haben nur einzelne Texte von Amendt durchgelesen. Sie berichteten mir kurios: „Geschockt“ seien die Teilnehmer am Vortag aus dem Kongress herausgegangen, was für sie die dortige „Frauenfeindlichkeit bestätigte“. Amendt habe außerdem ein „altes heteronormatives-Familienbild“, in dem die Familie aus Mutter, Vater und Kind bestehen müsste. Das Ziel des Kongresses – eine wissenschaftliche Fokussierung auf die ganze Familie – wurde missverstanden und umgedeutet. Von der „Braunen Brut“ sprechen die Grünen-Politikerin Beatrix Baumann und Thomas Bäppler-Wolf (SPD) vom „AfD-Vorfeld“.

Vorwurf: „normale Familie“

Als ich das eigentliche Thema der Forschung skizzierte, kam mir ein verblüfftes Lachen entgegen. Ich legte noch einen drauf und berichtete von der Unterlassungserklärung, die den beteiligten Medien gerichtlich aufgezwungen wurden. Ich bekam ausweichende Antworten. Plötzlich waren sie verwirrt und antworteten kryptisch: „Das ist ja eine Sichtweise und das geht ja alles in die gleiche Richtung“. Ich frage, mich, welche gleiche Richtung das sein soll.

Ernsthaft lächerlich wurde es im Gespräch mit einer Frau von der Piratenpartei: „Wir sind dafür da, dass Liebe für jeden da ist“. Amendt sei „nicht für offene Liebe“. Auch sie ist „über Twitter und Facebook“ auf die Demonstration gestoßen. Im Internet habe sie alles überprüft, „wo denn sonst???“. Sie konnte mir nicht einen Satz über das Thema des Kongresses wiedergeben, nicht einen Programmpunkt, nicht einen Forscher und nicht einen Redner – außer natürlich Amendt. Gegen Ende ergab sich, dass sie heute hier nur aufgrund der Anschuldigungen im Internet steht.

Wirklich ernst wurde es, als die Redner auftraten. Ernst, weil es tadellos zeigt, wie schnell jemand durch Medien und bestimmte Gruppen zum Feind erklärt wird.

Rassisten unter uns

Zweifellos wurde ein Feind geschaffen, gegen den man sich verschworen hat. Wieder wurde aufgrund Amendts Aufsätze behauptet, er würde die Homosexuellen allgemein als Pädophile und als pervers „brandmarken“. „Dieser Mann“ würde noch nicht wissen, dass Pädophilie eine Krankheit sei. Aus dem Kontext gerissene Zitate wurden in die Luft gewirbelt. Wieder wurde behauptet, es seien am Vortag Forscher aus dem Kongress geflohen. Ich stehe mittendrin und habe das Gefühl, alle klatschen, ohne zu wissen, wofür. Niemandem ist gerade bewusst, dass sie einen Ruf schädigen und den Fehler der Medien wiederholen. Die Sonne scheint, alle sind gut gelaunt. Bunte Fahnen. Jeder ist der Meinung, er steht hier für eine gute Sache. Für mich ist das eine unbewusste Aufhetzung von Menschen, die unbewusst manipuliert wurden. Sie bedanken sich sogar beim „Merkurist“.

Die unbewusste Aufhetzung hatte ihren Höhepunkt, während der Abgeordnete der Linken, Achim Kessler, sprach. Er teilte laut und deutlich auf dem Campus mit: „Amendt ist homophob!!“, sodass es jeder hören konnte und sprach nun von „Rassismus“. Spätestens jetzt hatte jeder Anwesende auf dem Campus Amendt in eine rechte Ecke gestellt. Beatrix Baumann von den Grünen spricht sogar von „Verbreitung einer Ideologie“ „durch wissenschaftlichen Anstrich“. Sie fantasiert, es seien mit Absicht internationale Wissenschaftler involviert worden, um schwerer etwas „herausfinden“ zu können und spricht von Gefahr. Die einzige Gefahr, die ich in diesem Moment sehe, ist die Rednerin selbst. Beim Vergleich des Kongresses mit AfD-Veranstaltungen und den makaberen Worten eines Redners: „Wenn ihr euch wie Hitler benehmt“ – Beifall – begann ich mich, von der „Demo“ zu distanzieren.

Im Gespräch mit Kongressteilnehmern

Ich sprach am selben Tag mit Kongressteilnehmern, darunter Ärzten und Psychotherapeuten. Sie erklärten mir, dass am Vortag einige Teilnehmer während der Eröffnungsrede nach draußen gegangen seien. Der Grund dafür war jedoch Amendts „schlechte Einleitung des Themas“. Zusätzlich versicherten mir die Teilnehmer, dass der Kongress nichts mit den Vorwürfen zu tun hat und führten mich auf das eigentliche und wissenschaftliche Thema des Kongresses zurück.

Darunter befand sich auch Dr. Renate Marx-Mollière, die mir über Forschungen zum Thema Gewalt berichtete. Sie bestätigte mir, wie so viele, dass nichts Rassistisches, Homosexuellen- und Frauenfeindliches im Kongress vor kam. Sie betont, dass „es Gewalt von allen Seiten gibt“.

Ich sprach auch mit anderen teilnehmenden Ärzten über Gewalt in der Familie. Wo fängt Gewalt an? Es gibt viele verschiedene Arten von Gewalt. Wir waren uns letztlich alle einig, dass dies ein wichtiges Thema ist. Leider wird es von den Medien und bestimmten Gruppen ad absurdum geführt und in Lügen, die bis zum Rufmord reichen, umgeschrieben. Verleumdung und Niederbrüllen von Wissenschaft wird als Frühlingsspaziergang inszeniert. Die Universitätsleitung wie der Oberbürgermeister schweigen dazu.

Die schrägste Einschätzung wiederum kommt vom Online-Portal Merkurist: Migranten seien vor Homophobie und dem IS geflohen und schockiert, jetzt an einer solchen Demonstration „teilnehmen zu müssen“. 

Gibt es auch schon einen Demonstrationszwang?

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