Tichys Einblick
Verfassungsschutz mit explosivem Vorschlag

Wer kontrolliert die Kontrolleure, wer korrigiert die Korrektive?

Der Thüringer Verfassungsschutzchef Stephan Kramer regt an, Abgeordnete zu durchleuchten, die im Parlamentarischen Kontrollgremium für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig sind. Warum wählt die Exekutive nicht gleich aus, wer sie überwachen darf?

Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz Stephan Kramer

IMAGO / Karina Hessland

Wenn Abgeordnete in Zukunft in Gremien sitzen, die Sicherheitsdienste kontrollieren sollen, dann sollen sie vorher von den Sicherheitsdiensten kontrolliert werden. So überspitzt könnte man einen Vorschlag des Thüringer Verfassungsschutzchefs Stephan Kramer auslegen.

Der hatte angesichts des möglichen Wahlsieges der AfD davor gewarnt, dass in Bundestag und Landesparlamenten die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik berührt sein könnten. Es müssten deswegen Vorkehrungen zum Schutz geheimer Informationen stattfinden.

„Erwägenswert wäre zum Beispiel, die Maßnahme zu prüfen, solche Mandatsträger, die in besonders sensiblen Bereichen tätig werden wollen, einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen“, sagte Kramer gegenüber dem Handelsblatt. „Das muss gesetzlich geregelt werden und ist meiner Ansicht nach mehr als angemessen aufgrund der schützenswerten Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland.“

Eine Überprüfung, so regte Kramer an, könnte es für Abgeordnete geben, die dem Verteidigungsausschuss, dem Parlamentarischen Kontrollgremium für die Kontrolle der Geheimdienste oder der sogenannten G10-Kommission angehören. Kramer fürchtet einen Geheimnisverrat an Moskau. „Die Beziehungen und Kontakte von einzelnen AfD-Mitgliedern, auch Mandatsträgern, nach Russland sind hinlänglich öffentlich bekannt.“

Fraglich ist, inwiefern eine solche Sicherheitskontrolle für jene, die die Sicherheitskontrolleure kontrollieren sollen, mit republikanischen Maßstäben zu vereinbaren ist. Wenn ein Mitglied des Inlandsgeheimdienstes in Zukunft möchte, dass die parlamentarischen „Checks & Balances“ nur von denen ausgeführt werden, die man zuvor gefilzt hat, dann stellt sich die zwingende Frage: warum überhaupt noch ein Kontrollgremium für Geheim- und Sicherheitsdienste parlamentarischer Art? Vielleicht will der Verfassungsschutz in Zukunft auch die Mitglieder der Kommission selbst auswählen, die ihn kontrollieren.

Solche Äußerungen fallen in eine bewegte Zeit. In Italien werden wichtige Gesetze stets nach den Verantwortlichen benannt, die sie verbrochen haben. Damit man weiß, wem man die Reform zu verdanken hat. In Deutschland ist das bisher nur bei Peter Hartz passiert, der dazu kein Politiker ist. Das angekündigte Faeser-Paus-Haldenwang-Gesetz jedenfalls droht wie ein Damoklesschwert, und der Chef der Thüringer Behörde macht noch einmal klar, was jenes merkwürdige „Staatswohl“ zu bedeuten hat, das auch das obere Trio ins Spiel brachte.

Das Staatswohl hat die Exekutive in Deutschland nicht allein gepachtet. Das hat das Bundesverfassungsgericht immer mal wieder dargestellt. Es ist auch dem Parlament als gewählte Vertretung des Souveräns anvertraut. Mittlerweile will man sich aber wohl der letzten Hindernisse entledigen. Mit dem Vorwand des Geheimnisverrats kann man schließlich nicht nur russophil gesinnte Abgeordnete kaltstellen.

Wer kontrolliert die Kontrolleure, wer korrigiert die Korrektive? – Mosaiksteine im Tableau der bundesrepublikanischen Spätphase. Von Staatswohl zu reden ist heutzutage Bürgerpflicht, Gemeinwohl mittlerweile eine Phrase der Rechtsextremen. Gemeinwohl, das wusste der Rechtsaufwiegler Thomas von Aquin, setzt schließlich eine gerechte Regierung voraus.

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