Tichys Einblick
Union am Scheideweg

CDU und CSU senden ihren Wählern widersprüchliche Botschaften

Die beiden Unionsparteien werden sich spätestens nach den sich abzeichnenden drastischen Wählerverlusten bei der kommenden Bundestagswahl entscheiden müssen, ob sie Partner oder Gegner einer Transformation Deutschlands im Sinne der Grünen sein wollen.

IMAGO / Sven Simon

Der Chefredakteur der Neuen Züricher Zeitung (NZZ), Eric Gujer, hat die Union treffend als eine Partei der kognitiven Dissonanz beschrieben, die den Wählern zwei sich diametral widersprechende Botschaften sendet. Während die Wahlkämpfer um Kanzlerkandidat Armin Laschet das Wahlprogramm der Grünen teils so vehement kritisieren, daß die Wähler den Eindruck gewinnen müssen, eine Koalition mit den Grünen könne für den neuen Vorsitzenden der CDU auf keinen Fall in Frage kommen, sendet der verhinderte Kanzlerkandidat der CSU, Markus Söder, an die Wähler das Signal, die Gemeinsamkeiten zwischen den Grünen und der Union seien so groß, daß sie ihr Wunschkandidat für eine Koalition seien. Derzeit spricht nichts dafür, daß die Union diesen Widerspruch auflösen und sich vor dem 26. September auf ein gemeinsames Vorgehen gegenüber den Grünen einigen wird. Ihr Niedergang in den aktuellsten Umfragen, in denen sie mittlerweile, je nach Umfrageinstitut, mit 23 bis 25 Prozent durchgängig hinter den Grünen (26 bis 28 Prozent) rangiert, setzt sich dementsprechend fort.

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Dahinter verbirgt sich freilich mehr als nur der Streit der Parteivorsitzenden von zwei Schwesterparteien um die richtige Wahlkampfstrategie. Völlig unklar und deswegen strittig ist vielmehr die politische Ausrichtung der Union selbst. Sie steht vor der Frage, ob sie sich ihrer noch verbliebenen rechtskonservativen Schlacken gänzlich entledigen soll, um Partner einer neuen Mitte-Links-Regierung mit den Grünen zu werden, oder sich zur führenden Kraft eines erneuerten Konservativismus entwickeln will, der sich gegen die politische Agenda der Grünen stellt. Diese beinhaltet nicht nur in Fragen der Klimapolitik eine weitreichende Transformation der deutschen Gesellschaft, die insbesondere von den national-konservativen (Stamm-)Wählern der Union abgelehnt wird, die vorwiegend aus der klassischen, bodenständig orientierten Mittel- und Oberschicht stammen. Auf ihre Stimmen muß die Union verzichten, je mehr sie die Ziele und Inhalte der grünen Agenda übernimmt, die vor allem den links-progressiven Vorstellungen und den Interessen einer in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich in den Großstädten herangewachsenen neuen, akademisch qualifizierten Mittelschicht entsprechen, die inzwischen die kosmopolitisch orientierte Stammwählerschaft der Grünen bildet.

In der als konservativ geltenden CDU von Baden-Württemberg sind diesbezüglich mit dem von der grünen Agenda geprägten „Erneuerungsvertrag“ zur Fortführung der grün-schwarzen Koalition die Würfel inzwischen offenbar gefallen. Die Option, sich mit einer eigenen politischen Agenda als Oppositionsführer im Landtag gegen die Grünen zu positionieren, wurde von vornherein verworfen. Stattdessen setzt die CDU mit ihnen eine Koalition fort, in der sie mehr denn je die Rolle des Kellners für den zunehmend machtbewußter auftretenden Chefkoch Kretschmann übernimmt. Daß die baden-württembergische CDU so, wie ihre Führungsriege wohl hofft, zu ihrer alten Stärke bei den Wählern zurückfinden wird, ist kaum zu erwarten. Angesichts des neuen Koalitionsvertrags und der so absehbaren Politik der kommenden Jahre werden ihr vielmehr weitere konservative (Stamm-)Wähler von der Stange gehen, ohne daß nachvollziehbar ist, warum heutige Wähler der Grünen sie in Zukunft verstärkt wählen sollten.

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Aufgrund der widersprüchlichen Wahlkampfstrategie der Union ist laut der aktuellen Umfrageergebnisse nicht mehr auszuschließen, daß die Union nach der Bundestagswahl auch im Bund vor der Frage stehen wird, ob sie in die Opposition geht oder zum Juniorpartner der Grünen mutiert. Sie befände sich dann dann nicht mehr nur in Baden-Württemberg am Scheideweg und müsste sich entscheiden , ob sie zum Vollzugsorgan eines von den Grünen angeführten gesellschaftlichen Transformationsprozesses oder zum Vorreiter eines erneuerten Konservativismus werden will, der sich von den Oppositionsbänken aus der grünen Agenda entgegenstellt. Sollte die Antwort wie in Baden-Württemberg ausfallen, dann wird den Gegnern einer Umgestaltung Deutschlands unter grüner Führung in- und außerhalb der beiden Unionsparteien nichts anderes übrigbleiben, als sich für eine zukünftige Mitte-Rechts-Regierung jenseits der Union neu zu formieren. Alle Hoffnungen, dies mittels einer konservativen Erneuerung von CDU und CSU zu erreichen, erwiesen sich als Trugschluß.

Eine von Söder propagierte Mitte-Links-Koalition mit den Grünen unter Führung der Union würde daran grundsätzlich nichts ändern. Auch sie hätte zur Voraussetzung, daß CDU und CSU sich nicht nur in Fragen der Umwelt- und Klimapolitik, sondern vor allem auch der Migrationspolitik, der Familien- und Genderpolitik sowie der Europapolitik noch mehr der grünen Agenda anpassen, als es in den letzten Jahren ohnehin schon geschehen ist. Als Fahnenträger einer gegen die (links-)progressive Umgestaltung Deutschlands gerichteten Mitte-Rechts-Politik wäre die Union als Führerin einer schwarz-grünen Koalition somit fast ebenso ein Ausfall wie als Juniorpartner der Grünen. Von daher spielt es für die Gegner einer solchen Umgestaltung keine Rolle, ob die Union oder die Grünen bei der Bundestagswahl stärkste Partei werden. Nach den Wahlen werden sie in jedem Fall vor der Frage stehen, wie sie sich ohne die beiden Unionsparteien in- und außerhalb des Parlaments dauerhaft neu formieren – es sei denn, CDU und CSU entschieden sich im Bund, anders als in Baden-Württemberg, nach einem erneuten desaströsen Wahlergebnis wider Erwarten zum Gang in die Opposition.

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