Tichys Einblick
Re-Formation tut not

Kirche: Über das Spannungsverhältnis von Politik und Verkündigung

Einer „rollenden Frittenbude“, die „Glaube, Liebe, Currywurst“ anbietet, will ich nicht angehören, denn die folgt nicht Christus, sondern einer neuheidnischen Ersatzreligion.

© Sean Gallup/Getty Images

Nicht die taz, noch die Süddeutsche Zeitung, nicht die ZEIT, auch nicht die FAZ, weder die WELT, noch die Verlautbarungen des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks sind bindend für den Christen, sondern allein die Bibel. Es gelten spätestens seit Martin Luther die Forderungen sola scriptura, sola gratia, sola fides. Allein die Heilige Schrift als Wort Gottes, allein die Gnade, allein der Glauben. Deshalb beginne ich meine Überlegungen über das Spannungsverhältnis von Politik und Verkündigung mit einer Episode der Heilsgeschichte, die in Vergessenheit geraten zu sein scheint.

Im Evangelium des Johannes lesen wir, dass Pontius Pilatus von Jesus Auskunft verlangt, ob er der König der Juden sei. Jesus fragt zunächst zurück, denn er will wissen, wessen er beschuldigt wird: „Sagst du das von dir aus, oder haben dir’s andere über mich gesagt?“ Jetzt wird es wichtig, denn die Behauptung der Juden, der Gesalbte der Messias zu sein, bedeutet für die Römer ein Staatsverbrechen, für die Juden aber Frevel und Gotteslästerung. Wer sich dem Römer gegenüber als König der Juden benennt, wird zum Aufrührer gegen Rom. Wer sich den Juden gegenüber als König, als Gesalbter des Herrn, als Messias betitelt, lästert Gott. Denn derjenige kann in ihren Augen nicht der neue David sein, nicht der Messias, der am Ende aller Tage kommt, weil alle Tage noch nicht vorüber sind. Beides allerdings, der Aufruhr und die Blasphemie, stellen den Tatbestand des Majestätsverbrechens dar:

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In dem einen wird der Kaiser, in dem anderen JHWH, der der wahre König Israels ist, beleidigt. Zunächst stellt Jesu Rückfrage nicht auf eine philosophische oder religiöse, sondern auf eine juristische Ebene ab. Pilatus entzieht sich der Diskussion, zumal es ihm herzlich egal ist. Bin ich ein Jude, fragt er schmallippig zurück, als wollte er sagen, was interessieren mich eure Streitereien. Einzig womit Jesus die Juden gegen sich aufgebracht hat, möchte der Prokurator erfahren, auch um herauszufinden, welche Handlungsoptionen er besitzt: „Bin ich ein Jude? Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet. Was hast du getan?“ An diesem Punkt jedoch wechselt Jesus die Ebene der Diskussion, denn es geht weder um Aufruhr, noch um Blasphemie, weil Aufruhr und Blasphemie nur in dieser Welt stattfinden können. Die Heilszusage, die Jesus gegeben hat, geht eben nicht in dieser Welt auf, sie besitzt eine universelle Perspektive. Das versucht er dem Römer zu erklären, indem er sagt: »Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von hier.“ Jesus sagt eben nicht: befreit mich, er sagt nicht, schickt ein Schiff ins Mittelmeer, auch ruft er nicht zu Friday for Future Demonstrationen auf. Um aber zum Christus zu werden, um den Menschen den Weg in das andere Reich zu ermöglichen, muss er den Juden überantwortet, hat er gekreuzigt zu werden, bleibt ihm nur, den ganzen Weg zu gehen, den Menschen zum Vorbild. Denn: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, denn durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.« (Johannes 14,6–7)

Die Heilszusage bedarf des Kreuzes. Ohne Kreuz kein anderes, kein wirkliches Reich, sondern die Verhöllung des Diesseits. So wird das Kreuz zum Symbol des Wegs zum Vater, zur Erlösung, die niemals innerweltlich stattfinden kann, zur Heilszusage, zum Zeichen des Sieges über den Tod, wie Paulus feststellt. Wer das Kreuz jedoch ablegt – ohne Not, vielleicht sogar aus schierem Opportunismus -, der hat sich von Christus losgesagt und mithin auch vom Vater. Doppelt schwer wiegt der Verrat, wenn ausgerechnet im Nahen Osten, wo Christen sterben, weil sie nicht bereit sind, das Kreuz abzulegen, der Ratsvorsitzende der EKD, Heinrich Bedford-Strohm, im Jahr 2016 das Kreuz versteckte, um muslimischen Würdenträgern zu gefallen, dann hat damit hat der Ratsvorsitzende der EKD auf dem Tempelberg seine christlichen Brüder und Schwestern vorort und auch Christus selbst verleugnet. Dass es für einen Vertreter der Kirchen durchaus möglich ist, auch an diesem Ort das Kreuz zu tragen, belegt ein Foto, das ein paar Jahre zuvor an der gleichen Stelle aufgenommen worden war, und auf dem das Kreuz vor der Brust Papst Benedikt XVI. leuchtet.

Ohne Gott
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Verweilen wir auf dem Tempelberg. Jesus behauptet im Verhör nicht, dass er der König der Juden ist. Wie könnte er das auch sein, wo er doch Gottes Sohn ist? Wie kann er König in dieser Welt sein, wo seine Perspektive die andere Welt bildet? Wie kann er nach Reichtum und Herrschaft in dieser Welt streben, wo er dazu geboren wurde, die Wahrheit zu bezeugen? Wie können also seine Kirche oder ihre Pfarrer sich in dieser Welt um Reichtum und Herrschaft bemühen oder es mit den Reichen und Mächtigen halten, wo sie doch Christi Wahrheit zu bezeugen haben? Eine Wahrheit, die weit über und weit von der Politik steht? Christi Wahrheit und nicht ihre politischen Meinungen, parteipolitischen Vorlieben, Meinungen auch aus Eitelkeit. Christi Wahrheit ist keine juristische Kategorie, dennoch benötigen Amtsträger wie Pilatus irdische Kategorien.

Deshalb erwidert Jesus klar und deutlich: Du sagst, dass ich ein König bin, weil du nur in diesen Kategorien denkst. Man muss dazu wissen, dass „Wahrheit“ das Thema des Späthellenismus schlechthin ist, das von Philosophen, Volksrednern und Religionsgründern, selbst ernannten Propheten wie kein anderes traktiert wurde. Alles dreht sich um die Frage des richtigen Lebens. Deshalb hebt Pontius Pilatus nur die Hände und wiegelt ab: Was ist schon Wahrheit? Drei Juden, fünf Meinungen, meint man ihn aufstöhnen zu hören. Auf diese Diskussion will sich der Prokurator nicht einlassen. Die Perspektive des Römers ist eine rein innerweltliche. Christi Heilszusage ist jedoch von einer ganz anderen Qualität. Sie weist den Menschen den Weg über sich und seine Welt hinaus, in die Ewigkeit, indem sie den sündigen Menschen mit Gott versöhnt. Christus ist die Mitte des christlichen Glaubens, Gottes Heilszusage, der Weg, dem alle folgen können. Ohne Eschatologie, ohne diese Heilszusage, ohne das Bewusstsein von Schuld und Sünde, aus dem die Hoffnung auf Vergebung, Gnade und Auferstehung fließt, gibt es keinen christlichen Glauben.

Sünde, Vergebung, Gnade, Tod und Auferstehung sind der Grund des christlichen Glaubens – in die Welt gebracht durch Gott selbst, indem er Fleisch geworden ist und unter den Menschen gelebt und ihnen so den Weg gewiesen hat. Gott begnadet uns, daran glauben zu können. Er verleiht uns die Fähigkeit dazu, allein weil wir Menschen sind, und er ermöglicht es uns, indem er uns den Heilsweg durch Jesus Christus vor Augen führt.

Chronik des laufenden Wahnsinns III
Abschlussbericht vom Grünen-Parteitag der EKD
Von dieser Vorstellung ging Martin Luther aus, als er die Zwei-Regimenten-Lehre aufstellte, die gemeinsam mit der Rechtfertigungslehre und der Formulierung der Priesterschaft aller Christen und der Begründung der „Freiheit eines Christenmenschen“ für mich zu den Grundtatsachen des christlichen Glaubens zählen. Bei Lukas 20,25 sagt Jesus eindeutig: „So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“ Für Martin Luther besteht kein Zweifel daran, dass zwei Regimenter bestehen, das weltliche und das geistliche. Für das weltliche Regiment, um das Recht aufrechtzuerhalten und durchzusetzen, hat Gott die weltliche Obrigkeit eingesetzt und ihr das Schwert gegeben, für das geistliche Reich, dafür den Tod zu besiegen, die Seelen zu retten, den Weg durch die Welt in die Ewigkeit, in das Reich nicht von dieser Welt zu gehen, dafür bestimmte Gott die geistliche Obrigkeit, dem Christen auf seinem Weg zu helfen. Übrigens kann man in der Zwei-Regimenten-Lehre den Ursprung der modernen Vorstellung von der Gewaltenteilung im modernen Staat erblicken. So heißt es bei Luther in der beachtlichen Schrift „Ob Kriegsleute auch im seligen Stande sein können“: „Ein jeglicher Herr und Fürst ist schuldig, die Seinen zu schützen und ihnen Frieden zu schaffen. Das ist sein Amt, dazu hat er das Schwert …“

Der Reformator geht ungewohnt weit, wenn er sagt, dass der Fürst noch nicht einmal ein Christ sein müsse, obwohl es gut wäre, wenn er es wäre, wenn er denn nur seine Aufgaben erfüllen würde. Er warnt davor, dass die weltliche Obrigkeit versucht, in den geistlichen, und dass die geistliche Obrigkeit versucht, in den weltlichen Bereich hineinzuregieren. Er warnt davor, die Gewissen der Gläubigen zu nötigen, wie das eine Vielzahl von Initiativen der EKD versuchen, wenn er schreibt: „Das wollen wir so klar machen, dass man’s mit Händen greifen solle, auf dass unsere Junker, die Fürsten und Bischöfe sehen, was sie für Narren sind, wenn sie die Menschen mit ihren Gesetzen und Geboten zwingen wollen, so oder so zu glauben.“ (Obrigkeitsschrift) „Denn wie streng sie gebieten und wie sehr sie loben, so können sie die Leute nicht weiter nötigen, als dass sie ihnen mit dem Mund und mit der Hand folgen; das Herz können sie ja nicht zwingen, und wenn sie sich zerreißen sollten.“

Wahlaufruf der deutschen Bischöfe
„Akt der politischen Exkommunizierung Andersdenkender“
Die Wahrheit ist ohnehin bei Gott und wird allein deshalb siegen. Andere Meinungen zu kriminalisieren oder mit Repressionen zu begegnen, bedeutet für Martin Luther Gotteslästerung, eine Blasphemie übrigens, die auf ihre Hervorbringer zurückfallen wird, denn: „sie treiben damit die schwachen Gewissen mit Gewalt dazu, zu lügen, zu verleugnen und anders zu reden, als sie es im Herzen meinen, und beladen sich selbst so mit gräulichen fremden Sünden. Denn alle die Lügen und falschen Bekenntnisse, die solch schwache Gewissen tun, fallen zurück auf den, der sie erzwinget.“ Luther fragt zurecht: „Was sind denn die Priester und Bischöfe?“ Und antwortet kurz und bündig: „Ihr Regiment ist nicht eine Obrigkeit oder Gewalt, sondern ein Dienst und ein Amt. Denn sie sind nicht höher noch besser vor anderen Christen.“ Insofern ist es dringend geboten, dass die Kirchenleitung nicht in einer irrigen Vorstellung ihrer Aufgaben, sich in die Parteipolitik verläuft.

In dem Essay „Gehört Luther zu Deutschland“ habe ich es befürchtet, in der Streitschrift „Geht der Kirche der Glaube aus“ davor gewarnt, dass die Kirche, wenn sie sich politisch handsgemein macht, als parteipolitischer Akteur wahrgenommen wird. Genau das ist eingetroffen. Vor dem Evangelischen Kirchentag, der allen Parteien – auch den Nachfolgern der SED – mit Ausnahme der AfD ein Podium geboten hat, hat die AfD ein Positionspapier veröffentlicht, in dem sie die Evangelische Kirche für ihren Pakt mit den Mächtigen kritisiert.

Das Verstörende an der Kritik ist nicht, dass sie von der AfD erhoben wurde, sondern dass die AfD nur an die Kritik an der Politisierung der Kirche anschließen konnte, die von Theologen, von Publizisten und auch von Politikern wie Wolfgang Schäuble erhoben worden war und sogar noch durch die Ausladung der AfD zum Kirchentag beglaubigt wurde. Die Kirchenleitung wie auch die Leitung des Kirchentages haben erst die Flanke geöffnet, in die nun die AfD hineingestoßen ist. Das Argument, dass man der AfD kein Forum bieten möchte, ist allerdings eines Demokraten unwürdig, denn Auseinandersetzungen in einer Demokratie finden immer auf dem Weg des Disputs, des Wettbewerbs der Argumente statt. Wer etwas anderes will, will Diktatur.

Aber das ist eben nur die eine Seite der Medaille. Denn die EKD wird inzwischen von den Grünen wie eine Vorfeldorganisation ihrer Partei behandelt. So verwundert es dann auch nicht, wenn Karin Göring-Eckhard die Ausladung euphorisch begrüßt, möglicherweise auch daran hinter den Kulissen mitgewirkt hat, und wenn der grüne EU-Abgeordnete Sven Giegold, der praktischerweise auch Mitglied des Präsidiums des Kirchentags war, sich dafür einsetzte, dass in einer Resolution die Entsendung eines EKD-Schiffs ins Mittelmeer auf Kosten des Kirchensteuerzahlers gefordert wird. Sven Giegold verlangte von der EKD: „Es genüge nicht mehr, die Arbeit der NGOs bei der Seenotrettung finanziell zu unterstützen“ und befahl schließlich: „Die EKD und ihre Gliedkirchen müssen selbst aktiv werden und im Mittelmeer Flagge zeigen.“ Warum müssen sie? Weil die Grünen das so wollen?

Über den bejammernswerten Zustand des Kirchentages muss man sich nicht wundern, wenn man einen Blick auf die rotgrüne Präferenz im Präsidium selbst schaut. In seiner jetzigen Form ist der Kirchentag durchaus verzichtbar. Wenn der Bund mit den Mächtigen, das Bündnis von Kanzel und Kanzleramt oder ein inzwischen fast symbiotisches Verhältnis zu einer politischen Partei gepflegt wird, hat man die größtmögliche Entfernung zur Verkündigung erreicht. Der Journalist Hans Leyendecker als überforderter Präsident des Kirchentages dekretierte: „Wer nichts zu sagen hat und nicht zu einem Diskurs wirklich beitragen kann, bekommt keinen Platz auf einem Podium.“ Dieserart Sätze sind bekannt, wohl bekannt – aus Diktaturen. Denn wenn Leyendecker darüber entscheidet, wer etwas beizutragen hat und wer nicht, dann steht das nur allzu sehr in der geistigen Verwandtschaft zu dem Diktum: Jeder darf frei und öffentlich meine Meinung äußern.

Schlimmste Erinnerungen werden wach
Befördern Funktionäre der Kirche die Spaltung der Gesellschaft?
Der Kirchentag war ein Kirchentag der politischen Ausgrenzung – und das meint nicht nur die AfD -, sondern meinen im Grunde alle, die mit der herrschenden Ideologie, die auf den Dekonstruktivismus zurückgeht, nicht übereinstimmen, sondern wissenschaftliche, historische oder philosophische Argumente und Analysen vertreten, auf die man keine andere Antwort hat, als sie zu diffamieren. In der Predigt des Abschlussgottesdienstes sprach die Pastorin Sandra Bils, die den Hebräerbrief als eine Mischung aus „Trost und Arschtritt“ versteht, von den Christen als „Gottes Gurkentruppe“. Müssen wir uns die Texte der Bibel als „Arschtritte“ und Gott uns fürderhin als Gurke vorstellen?

Besteht Gottes Ebenbildlichkeit des Menschen nicht darin, dass jeder ein Held des Alltags ist, dass er tätig ist, eine Familie gründet, Kinder erzieht, sich im Beruf bemüht, seine Christenpflichten erfüllt, Erfolge erarbeitet und Misserfolge verarbeitet? Es zeigt die Dekadenz einer vollkommen politisierten Kirchenleitung, wenn das Niveau der Predigt des Abschlussgottesdienstes, die vulgär von Kurzschluss zu Kurzschluss funkt, nicht einmal für einen grünen Landesparteitag gereicht hätte. Die Vorstellung über die Kirche, mit der der Kirchentag endete, mag Wohlfühlprotestantismus sein, christlich ist sie nicht.

Einer „rollenden Frittenbude“, die „Glaube, Liebe, Currywurst“ anbietet, will ich nicht angehören, denn die folgt nicht Christus, sondern einer neuheidnischen Ersatzreligion. Woher weiß die Pastorin, dass Gott in der Welt „durch die Leute von Sea-Watch, SOS Méditerranée und Sea-Eye, durch Greta Thunberg und die Schülerinnen und Schüler“ wirkt. Man kann die Seenortrettung, so wie sie geschieht, für falsch halten, man kann die Klimadiskussion als vollkommen politisiert charakterisieren und belastbare wissenschaftliche Argumente dafür vorbringen, ohne, dass man deshalb ein schlechter Mensch, ein „Nazi“, ein Rechtsextremer ist und einem ein Podium auf dem Kirchentag versagt wird, weil man möglicherweise etwas zum Thema beizutragen hat. Aber vielleicht handelt es sich bei den Podien nicht um die kontroverse Diskussion von Themen, sondern um die Verfestigung der Gesinnung im eigenen Stuhlkreis, neudeutsch Filterblase.

Das Grundgesetz garantiert die Meinungsfreiheit und die Demokratie benötigt sie wie die Luft zum Atmen. Denn die Demokratie lebt durch das politische Engagement der Bürger, die als Bürger im öffentlichen Raum, in der res publica wirken. Und so, wie in der Demokratie ein Vielzahl von Meinungen existieren – im Gegensatz zur Diktatur -, so haben auch Christen unterschiedliche Vorstellungen, Erfahrungen und Ansichten. Man nennt es Reichtum und Vielfalt. Ausschlaggebend für die Übernahme eines Amtes in der Gemeinde sind daher nicht das politische Engagement, sondern einzig und allein der christliche Glaube und das Vertrauen der Gemeinde.

Wer aber, wie es die Kirchenleitung unternimmt und wie es der Kirchentag durchexerziert hat, eine parteipolitische Haltung als Gradmesser für das Christsein und zur Grundlage der Politik der EKD erhebt, der spaltet die Kirche, der wird am Ende nur noch Kirchenmitglieder haben, die den eigenen politischen Vorstellungen entsprechen. Das wird dann aber keine Kirche mehr sein. Der Kirchentag stand unter dem Motto „Vertrauen“, sehr zu Unrecht, er hat Vertrauen zerstört. Wenn Hans Leyendecker sagt: „Es gibt vieles, das wie eine Säure wirkt, die das Vertrauen in den Zusammenhalt der Gesellschaft zerstört“, dann hat er ein paar Tropfen Säure hinzugefügt.

Ich glaube an eine Kirche, die Jesus Christus gestiftet hat, und nicht an eine „Frittenbude“. Grundlage von Vertrauen sind Glaube, Liebe, Hoffnung. Wenn man jedoch die Hoffnung zur „Currywurst“ macht, dann wird die Zukunft bereits verwurstet.

EKD in schlechter Tradition
Die demokratie-zerstörende Schlusspredigt des Kirchentags
Es ist richtig, dass – und lassen wir mal alle Schuldzuweisung beiseite – die Gesellschaft immer mehr zerfällt, das Klima rauer wird. Mein Bild von der Kirche ist, dass sie in Zeiten, in denen alle Gewissheiten fallen und Gemeinsamkeiten, wie sie jede Gesellschaft benötigt, aufgekündigt werden, dass sie der große Integrator sein kann, weil sie eine weit über das weltliche hinausgehende Legitimation besitzt, dass gerade sie es sein wird, die alle an einen Tisch holt und neue Gewissheiten stiftet. Mein Bild hat historische Hintergründe. Ich nenne nur einen: Als das Römische Reich unterging und die administrative Struktur zerfiel, waren es gerade in Gallien die Ortsbischöfe, die diese Aufgaben übernahmen und die Gemeinden geistlich und weltlich zusammenhielten. Das widerspricht nicht Luthers Zwei-Regimenten-Lehre, weil das weltliche Regiment nicht mehr existierte. Das Christentum und die Kirche standen am Beginn Europas. Ich gehe sogar so weit zu behaupten, dass es das Christentum und die Kirche war, die Europa geschaffen haben. Und es wird sich zeigen, leider, dass erst die Religion und dann die Kultur geht, die Art und Weise, wie wir leben.

Die Tragik unserer Zeit scheint gerade darin zu bestehen, dass wird die Bedingungen auflösen, aus denen wir heraus leben, dass die Kirchenleitung aus Angst vor der Säkularisierung sich selbst säkularisiert, dass sie den Glauben gegen Gesinnung, christliche Ethik gegen einen politischen Moralismus eintauscht und sie aus Furcht, die Kirche könnte bedeutungslos werden, die Kirche ihrer Bedeutung beraubt. Dietrich Bonhoeffer charakterisiert die christliche Ethik so: „Nicht, dass ich gut werde noch dass der Zustand der Welt durch mich gebessert werde, ist dann von letzter Wichtigkeit, sondern dass die Wirklichkeit Gottes sich überall als die letzte Wirklichkeit erweise. Dass sich also Gott als das Gute erweise, auf die Gefahr hin, dass ich und die Welt als nicht gut, sondern als durch und durch böse zu stehen kommen, wird mir dort zum Ursprung des ethischen Bemühens, wo Gott als letzte Wirklichkeit geglaubt wird.“ Gott also als letzte und als erste Wirklichkeit. So wie Jesus vor Pilatus sagt: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“.

Um den Weg aus der babylonischen Gefangenschaft der Politik, in der sich die Kirche befindet, zu nehmen, wird es erforderlich, dass Kirche wieder zur Verkündigung zurückfindet, der Verkündigung von Gottes Wort, denn es ist seine Kirche. Zuallererst hat sich Kirche auf ihre sechs Hauptaufgaben zu besinnen und zu konzentrieren, hätte sie das getan, wäre doch schon sehr viel erreicht:

1. Gottesdienst, 2. Seelsorge, 3. Bibellesung, 4. Diakonie , 5. Bildung und 6. Mission. Mission ist das wichtigste und alle anderen 5 Gebiete orchestrieren gemeinsam die Mission, denn es ist den Christen aufgegeben, die gute Nachricht der Erlösung allen Menschen zu bringen. In Worten und in Taten. In den Worten des großen Theologen Eberhard Jüngel besteht „das Geheimnis des Glaubens und als solches das Innerste der Kirche“, darin, dass in der Kirche „Gott und Mensch ein für alle Mal zusammengekommen sind, damit Gott unseren Tod und wir sein Leben teilen können.“ In einer großen Rede auf der sogenannten Missionssynode der EKD 1999 in Leipzig hat der Tübinger Theologe darauf hingewiesen, dass die 6. Barmer These, „der gemäß es zu den Konstitutiva der Kirche gehört, die Botschaft von der freien Gnade Gottes allem Volk zu überbringen … noch immer auf ihre ekklesiologische Rezeption“ wartet. Dieses Desiderat empfand Jüngel als umso schmerzvoller, weil für ihn Evangelisation und Mission die Zukunftsfähigkeit der Kirche ausmachen. „Wenn die Kirche ein Herz hätte, ein Herz, das noch schlägt, dann würden Evangelisation und Mission den Rhythmus des Herzens der Kirche in hohem Maße bestimmen.“ Er brachte das schöne Bild vom Ein- und Ausatmen. „Einatmend geht die Kirche in sich, ausatmend geht sie aus sich heraus.“ Das Einatmen sieht er im liturgischen Gottesdienst. „Da ist sie um Gottes Wort und um den Tisch des Herrn versammelt, da ist sie gesammelt und konzentriert bei sich selbst.“ In diesem Gottesdienst baut sie sich stets wieder von Neuem auf. Doch das Ausatmen wird für Jüngel zu einer nicht weniger existenziellen Handlung der Kirche. „Die Kirche muss, wenn sie am Leben bleiben will, auch ausatmen können. Sie muss über sich selbst hinausgehen, wenn sie die Kirche Jesu Christi bleiben will.“ Über sich selbst hinauszugehen verlangt auch, mit dem Glauben in die Welt zu gehen.

Plädoyer für eine Kirche der Freiheit
Geht der Kirche der Glaube aus?
Lassen Sie mich ein Letztes sagen: Im Begriff der Reformation oder in der tottraktierten Forderung ecclesia semper reformanda steckt auch die Forderung zu einer forma, zu einer Gestalt des Lebens, zum Glauben zurückzukehren. Luthers Re-Formation wurde doch vor allem von dem Willen angetrieben in einer Zeit, in der im Machtkampf und im politischen Engagement der Kirchenfürsten der Glauben verloren ging, den Glauben wiederzufinden, zum Glauben zurückzukehren. Zur Verkündigung. Kehrt die Kirche zur Verkündigung zurück, wird sie auch politisch sein, ohne sich jedoch parteipolitisch zu verkämpfen. Doch dazu bedarf es einer neuen Reformation. Ich fürchte inzwischen, mit dieser Kirchenleitung wird es nicht zu machen sein.

Die Erneuerung der Kirche kann nur von und aus den Gemeinden heraus erfolgen – oder man wird ihrer Vergebens harren und die Kirche als Institution wird enden. Die Kirche, der Glaube jedoch nicht, denn der wird neue Wege finden. Was Gott in die Welt gebracht, kann der Mensch nicht verlieren. Doch besser wär es, wir reformieren die Kirche.

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