Tichys Einblick
"Und bist Du (freiwillig!) nicht willig ..."

Twitter und der „freiwillige“ EU-Verhaltenskodex zu Desinformation

"Twitter steigt aus dem freiwilligen Verhaltenskodex der EU gegen Desinformation in Onlinenetzwerken aus." So und ähnlich lauteten die Schlagzeilen. EU-Industriekommissar Breton teilte diese Information der Öffentlichkeit - auf Twitter - mit. Die begeisterten Reaktionen, vorwiegend aus dem grünen/linken Politspektrum, verraten mehr über Intention und Motivation.

IMAGO - Collage: TE

Twitter tritt aus dem sogenannten »EU Abkommen gegen die Verbreitung von Falschinformationen« aus. Dies hat auch der EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Thierry Breton, bestätigt – auf Twitter. Das Unternehmen verlasse den »freiwilligen« EU-Verhaltenskodex gegen Desinformation. Damit geht der Kampf um freie Meinungsäußerung im Internet in die nächste Runde.

Elon Musk hat bereits gleich nach als neuer Eigentümer von Twitter erklärt, er wolle der freien Meinungsäußerung Vorrang einräumen. Tatsächlich wandelte sich die Plattform zu einem weit offeneren Marktplatz der Meinungen als zuvor. Musk baut Twitter sukzessive zu einer Plattform um, die u.a. Googles Videoplayer YouTube Konkurrenz machen könnte. Twitter soll zunehmend Anziehungspunkt für Content-Creator werden, die a la long für Videos und Inhalte auch monetäre Vergütungen erhalten sollen. Auch vor diesem Hintergrund ist der Wechsel an der Konzernspitze zu verstehen – und dass hier die Wahl auf Linda Yaccarino gefallen ist, einer Werbe-Expertin, die zuletzt beim Medienriesen NBCUniversal für das globale Werbegeschäft verantwortlich war.

Viele bezeichnen Musk demzufolge als Retter der Meinungsfreiheit – obwohl nach wie vor immer wieder Nutzerkonten auch aus nicht nachvollziehbaren Gründen – von Twitter gesperrt werden.

Gleich nach der Übernahme hatte EU-Binnenmarktkommissar Breton Musk darauf hingewiesen, dass er sich mit den strengen Inhaltsregeln der Region auseinandersetzen müsse. Der Vogel werde nach unseren Regeln fliegen, twitterte Breton.

Breton sass früher selbst als Konzernchef in vielen IT-Unternehmen wie France Telekom und dem französischen IT-Konzern Atos. Dieser machte mit EU-Behörden millionenschwere Geschäfte – unter anderem mit einem EU-System zum Abgleich biometrischer Daten. Vorbild China.

Mit dem ‚Angebot, das man nicht ablehnen kann‘, will die EU weiterhin die Meinungsfreiheit auf den großen Online-Plattformen einschränken. Zu sehr ist Brüssel schon lange ein Dorn im Auge, dass dort jeder sagen können soll, was er will. Im April vergangenen Jahres hatte die EU den sogenannten »Digital Services Act« verabschiedet. Der schaffte die Grundlagen für eine neue Zensur der Internet-Plattformen.

Tut doch auch nicht weh – mit Googles CEO Sundar Pichai lässt sich Breton gerne abbilden, perspektivisch am liebsten so, dass Breton sich optisch größer ausnimmt als er tatsächlich ist.

Unternehmen wie Twitter sollen der EU jährliche Berichte vor- und detailliert darlegen, wie sie mit nach Ansicht der EU schädlichen Inhalten wie rassistischen Kommentaren oder Posts, die Essstörungen verherrlichen, umgehen. Die meisten Unternehmen wie Facebook, Google und TikTok sind dem nachgekommen, lediglich mit dem von Twitter vorgelegten Bericht war Brüssel unzufrieden, dieser sei zu dünn gewesen.

Ab dem 25. August 2023 soll das Gesetz in Kraft treten. Breton droht: »Unsere Teams sind auf die Durchsetzung vorbereitet.«
Die EU hat selbst trotz vieler Milliarden an Subventionen und vieler Reden auf dem Digitalsektor bisher keine eigene Plattform zustande gebracht, digitale Technologien sind unterentwickelt.

Dennoch meinte der Kommissar lediglich, dass Twitter mehr tun müsse, um – so wörtlich – sogenannte Hassreden und Desinformation zu bekämpfen.

»Desinformation, Lügen und Propaganda befeuern Hass und sind Gift für die Demokratie«. Das twitterte Bundesinnenministerin Faeser und ergänzte, das Vorgehen von Twitter sei verantwortungslos. Es sei gut, dass es in Kürze striktere EU-Regeln gebe. »Unser Recht gilt für alle Plattformen, wir werden es durchsetzen.«

Was ihr umgehend um die Ohren flog:

Umso weniger verwundert es, dass besonders linke Politiker der Grünen und SPD, die ein ganz besonderes Verhältnis zu Wahrheit, Aufrichtigkeit, Toleranz und transparenter Information pflegen, ganz besonders Feuer und Flamme für die geforderte Zensur seitens der EU frohlocken. Man muss mittlerweile nicht einmal mehr kratzen, sondern nur noch ganz leicht an der hauchdünnen Oberfläche reiben, um zu verstehen, warum der politischen Linken die Eindämmung so immens wichtig ist.

Tränen und Gezeter über verlorene blaue Haken, etliche theatralische Abschiedsgrüße, man werde ab sofort nur noch bei Mastodon anzutreffen sein, folgten immer wieder klammheimliche, sehr schmallippige Dacapos auf der ach so verhasst gewordenen Plattform Twitter, auf deren Weiden die Reichweite hoch und die Zustimmung der eigenen Bubble einfach deutlich süßer ist als anderswo. Auch darum ist es so wichtig, die Deutungshoheit auf diesem entscheidenden Platz wieder zurückzugewinnen – was mit fair gehaltenen Marktbedingungen nicht zu bewerkstelligen wäre.

Die freie Meinungsäußerung sei die Grundlage einer funktionierenden Demokratie, und Twitter der digitale Marktplatz, auf dem die für die Zukunft der Menschheit wichtigen Themen diskutiert würden, betonte Musk ausdrücklich in seiner Erklärung zur Übernahme von Twitter. Und des einen Missinformation ist für den anderen Information, sagte er in einem bemerkenswerten BBC-Interview. Wer soll das schon entscheiden?

Linke und Grüne haben auch die noch so sachlichste formulierte Kritik bereits so lange und so oft mutwillig mit „Hass und Hetze“ subsumiert und vermengt, dass die Absicht hinter dem jüngsten Vorstoß der EU sehr klar erkennbar ist. Ursula von der Leyen, Eva Kaili oder auch Thierry Breton kritisch auf die Finger schauen? Genau das ist in diesen Kreisen „Hass und Hetze“.

Es wird nun spannend zu sehen, ob eine kleine demokratisch nicht legitimierte Kommission es wagen wird, einen Kontinent von einem der größten sozialen Netzwerke abzuschalten. Dabei spielt dieser Kontinent weltweit – nun ja – nicht die erste, nicht mal mehr die dritte Geige.

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