Tichys Einblick
Mentale Ausbürgerung 

Trump und die Ausbürgerung: Dann geh doch rüber!

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) will "Hass" im Netz effektiver verfolgen. Meinungsäußerung wird von Regierungen gern als Hass interpretiert - und mit mentaler, juristischer oder tatsächlicher Ausbürgerung beantwortet.

Mark Wilson/Getty Images

Ein Tweet geht um die Welt. Am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, bewegte wieder einmal US-Präsident Trump die Medien: In einem Tweet empfahl er vier jungen weiblichen Abgeordneten der Demokraten mit Migrationshintergrund, die seine Flüchtlingspolitik scharf  kritisiert hatten, drei Dinge: (1) in ihre zerrütteten Herkunftsländer zu gehen, (2) dort Ordnung zu schaffen und (3) dann in die USA zurückzukehren und „uns zeigen, wie es geht“.

Der Tweet, der am 16. Juli vom US-Repräsentantenhaus mehrheitlich als „rassistisch“ verurteilt wurde, löste auch in Deutschland Empörung aus und wurde in der öffentlichen Meinung  unter „Rassismus“, „Frauenfeindlichkeit“ und „Fremdenfeindlichkeit“ verbucht. Kommuniziert wurde allerdings nur die erste Empfehlung des Tweets: „[Trump] forderte vier junge Abgeordnete der Demokraten auf, die USA doch bitte zu verlassen“ (ZEIT 18. Juli 2019); „[Er] forderte die politisch links stehenden Frauen auf, dorthin zurückzukehren, woher sie stammten“ (Süddeutsche Zeitung 18. Juli). Die zweite und  dritte Empfehlung, nämlich mit den neuen Erfahrungen aus den Herkunftsländern wieder in die USA zurückzukehren und politisch aktiv zu werden (Then come back and show us how it is done), wurde in den Medien weder zitiert noch erwähnt.

„You are free to leave“

Ob Trump ein „Rassist“ ist, wie die Süddeutsche Zeitung meint („Es ist … bekannt, dass an der Spitze Amerikas ein Rassist steht“), kann hier offen bleiben. Jedenfalls ist sein Tweet nicht „rassistisch“ – und das aus einem einfachen Grund: Den Ratschlag, die USA doch zu verlassen, wenn man seine Politik fundamental ablehnt, gibt er allen Gegnern, gleichgültig ob mit oder ohne Migrationshintergrund: In America,[…] you are free to leave „In Amerika hast du die Freiheit, das Land zu verlassen“, schreibt er in einem Tweet (17. Juli), und in einem vorhergehenden (16. Juli): Our country is free, beautiful and very successfull. […]  If  you are not happy here, you can leave „Unser Land ist frei, schön und sehr erfolgreich. Wenn es dir hier nicht gefällt, kannst du es verlassen“.

Fazit: Trumps Tweet an die vier Abgeordneten ist nicht „rassistisch“, sondern – unpolemisch genommen – antidemokratisch; denn in einer Demokratie wird die Regierung von den Bürgern, dem Staatsvolk, gewählt, und nicht das Volk von der Regierung. Die Staatsbürger sind der Souverän, deshalb kann keine Regierung sie auffordern, das Land zu verlassen, wenn sie mit  deren  Politik nicht einverstanden sind. Es gibt drei Arten von „Ausbürgerung“: die juristische, wie sie zum Beispiel die DDR mit Dissidenten praktizierte; die scheinbar freiwillige, bei der jemand vom Staat solange diskriminiert wird, bis er das Land verlässt, und die mentale: Hier werden politisch unerwünschte Personen oder Gruppen symbolisch und sichtbar vom demokratischen Diskurs ausgeschlossen. Deutschland hat reiche Erfahrung damit.

„Die Freiheit eines jeden Deutschen“

Trumps You are free to leave – das klingt für deutsche Ohren irgendwie bekannt. Eine ähnliche Äußerung kommt in einem Kurzvideo vor, das Anfang Juni im Internet vielfach angeklickt wurde, nach der Ermordung des Regierungspräsidenten von Nordhessen, Walter Lübcke.

Das Video zeigt einen einminütigen Ausschnitt von einer Bürgerversammlung in Lohfelden am 14. Oktober 2015, zur Zeit der Flüchtlingskrise. Lübcke, als Regierungspräsident verantwortlich für die Unterbringung der „Flüchtlinge”, erläuterte vor etwa 800 Bürgern eine geplante Flüchtlingsunterkunft am Ort, lobte die „Wertevermittlung“ der Kirchen und sagte dann in ruhigem Ton und ohne unterbrochen zu werden:

„Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Und da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist,  das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“
(Es folgt eine kurze Pause, dann setzt erstauntes Gelächter ein, das in starken Protest übergeht)

Das Zitat wurde in der Berichterstattung über den Mord nicht weiter analysiert – verständlich, weil andere Fragen im Vordergrund standen. Aber schon 2015 erregte diese Äußerung keinerlei überregionale Aufmerksamkeit. Dass ein Beamter, also Staatsdiener, sich erlaubt, Staatsbürgern zu sagen, sie könnten ja „jederzeit dieses Land verlassen“, wenn sie „nicht einverstanden“ seien, verletzt so offensichtlich die demokratische Grundlage des Gemeinwesens, dass der Dienstherr, hier: der Hessische Ministerpräsident, hätte einschreiten müssen. Es geschah nichts.

„Geh doch rüber!“

Aber vielleicht hat in Deutschland der politische Ratschlag „Dann geh doch!“ Tradition und fällt deshalb nicht mehr auf. In der alten Bundesrepublik wurde „Geh doch rüber!“ zum geflügelten Wort, mit dem man unerwünschte Bürger, von Aktivisten der Friedens- und Umweltbewegung bis zu den (wenigen) Kommunisten, geistig in die DDR abschob. Aber immerhin war die DDR ein deutscher Staat, die Unerwünschten hätten nur „nach drüben“ gehen müssen.

Seit der Wiedervereinigung ist ein „Geh doch rüber!“ nicht mehr möglich. Aber im „Kampf gegen Rechts“ entstand ein neuer, viel gehörter Schlachtruf: „Nazis raus!“. Dabei bleibt unklar, wohin die Unerwünschten denn gehen sollen und können.  Es handelt sich wohl weniger um eine Aufforderung, das Land zu verlassen, als eine mentale Ausbürgerung: „Ihr gehört nicht zu uns!“, lautet die Botschaft.

„Juden können Deutschland verlassen“

Nach dem deutschlandweiten Judenpogrom vom 9. November 1938, das vor allem im englischsprachigen Ausland verurteilt wurde, gab Propagandaminister Goebbels am 12. November der englischen Nachrichtenagentur Reuters ein längeres Interview. Der Text wurde auch in der deutschen Presse veröffentlicht, unter dem Titel: „Dr. Goebbels über die Regelung der deutschen Judenfrage“. Goebbels forderte eine „reinliche Trennung zwischen Juden und Deutschen“ und wies darauf hin, dass die deutschen Juden ohne Schwierigkeit auswandern konnten:

„Juden können Deutschland verlassen. […] Sie dürfen auch einen Teil ihres Vermögens mitnehmen.“

In der Tat wanderte zwischen 1933 und 1940 unter dem Druck der zunehmenden sozialen Diskriminierung die Hälfte der rund 500.000 als „Juden“ klassifizierten Deutschen aus, und diese Auswanderung wurde vom NS-Staat unterstützt. Aber war das die „Freiheit eines jeden Deutschen“, sein Land verlassen zu können?

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