Tichys Einblick
Wir sind nicht allein!

Trojaner in Dresden II

Die 28 Bürger, die den „Trojaner made in Dresden“ vor den Kulturpalast stellten, berichten über ihre Erlebnisse.

Reden ist die beste Therapie. Und je eher wir damit anfangen umso friedlicher wird es ausgehen. Auch dafür stand der „Trojaner made in Dresden“, der vor dem Dresdner Kulturpalast das Licht der Öffentlichkeit erblickt hatte. Erschaffen von 28 Dresdner Bürger und Bürgerinnen aus allen sozialen und beruflichen Schichten, die damit ein bildhaftes Zeichen für die Zustände in unserem Land setzen wollten. Eines das mit 5 Metern Höhe nicht zu übersehen war. Hier sprechen sie jetzt über ihre Erlebnisse und Erfahrungen. René Jahn, der Initiator, sagt rückblickend:

„Immerhin wurde die Aktion nicht verschwiegen. Im Gegenteil. Das Medieninteresse war überraschend groß.“

In ganz Deutschland wurde über die Aktion mitten aus dem Volk berichtet. Sogar besser als erwartet. Für Aktionen, die gegen die derzeitigen politischen Verhältnisse und Abläufe protestieren, kann man heutzutage ja leicht in eine Ecke gedrängt werden, aus der man nicht mehr rauskommt. Einmal Rechter. Immer Rechter. Gegen die muss man kämpfen, wo man sie trifft. Das sollte in Dresden nicht anders sein. Bundesweit hatte die Gegenseite schon zu Störaktionen aufgerufen gehabt. Auch das ist ein Faktor, den man sich überlegen muss, wenn man in Deutschland für Deutschland demonstriert. Es kann immer böse ausgehen.

In Dresden zum Glück nicht, wie sie sagen. Weil weder unter den Bürgern, die das Kunstwerk erschaffen hatten, noch unter denen, die es bestaunten „Rechte“ im Sinne der „Antifa“ zu sehen oder zu sprechen waren. So waren ihre Dresdner Sturmtruppe über das Wochenende zu Hause geblieben. Das gefährlichste, was vor Ort passierte, geschah schon am ersten Abend. René Schäfer:

„Es war am Freitag den 13., nachts um 1.20 Uhr. Ein Marder tauchte auf.“

Der war politisch nicht so interessiert und schneller wieder weg, als er da war. Nicht mal die Polizei bekam ihn zu sehen. André Hettmann:

„Obwohl sie alle paar Minuten vorbeifuhr fuhr.“

Um die Künstler und ihr Kunstwerk im Notfall zu beschützen. Auch das ist in Deutschland mittlerweile völlig normal, wenn man seine Meinung in der Öffentlichkeit ausdrückt. Nur bewachen mussten sie ihren Trojaner selbst. Mit einem Schichtplan, den sie extra aufgestellt hatten. Doreen Ulke:

„Alle sechs Stunden wurde gewechselt. Tag wie Nacht.

In denen sie mehr als hundert Gespräche mit Menschen geführt haben, die wie sie der Meinung sind, dass es allerhöchste Zeit wird, sich wieder einzumischen. Junge wie alte, aus dem Osten wie aus dem Westen nutzten die Gelegenheit, blieben stehen, redeten mit und kamen sich dabei auch untereinander näher. Immer wieder entstanden Gruppen und Grüppchen, in denen über das Kunstwerk, seine Bedeutung und die Warnung, die damit verbunden ist, diskutiert wurde.

Barbara Lässig:

„Wir wollten damit ja auch die unterschiedlichsten Reaktionen provozieren. Um wieder einen Dialog anzuschieben, in dem sich jeder einbringen kann, der will.“

Und der Redebedarf im Volk scheint groß. Auch das war in den drei Tagen nicht zu überhören. Auch nicht, in welche Richtung es dabei geht. Anders als in den Medien meist dargestellt. Joachim Radke:

„90 Prozent haben sich unsere Petition durchgelesen, mit den meisten kamen wir danach ins Gespräch und prinzipiell war dabei festzustellen, dass die Leute im Grund genommen alle unserer Meinung sind.“

Weil in ganz Deutschland Bürger längst das Gefühl haben, in existenziellen Frage von der Mitbestimmung ausgeschlossen zu sein. Vom Euro bis zur Zuwanderung, gefragt wird vorher keiner. Auch deshalb hatten sich die 28 völlig ungefragt zu Wort gemeldet. Und unzensiert. In einer Demokratie eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Wie weit die inzwischen schon wieder gefährdet ist, zeigte sich vor der Unterschriftenwand.

Obwohl sie in den drei Tagen voll wurde, unterschrieb nicht jeder, der die Aktion unterstützte. Andreas Glaser:

„Viele sagten, ich würde ja gerne unterschreiben, aber sie trauten sich nicht.“

Daniel Heimann:

„Ich habe es selbst erlebt, dass Leute Angst hatten zu unterschreiben. Unterschriften kann man ja auch so setzen, dass sie nicht jeder lesen kann. Trotzdem hatten sie Schiss. Das muss man sich mal vorstellen. Wie da jedes Selbstbewusstsein, jeder Stolz im Dreck liegt.“

Eigentlich unglaublich in einer Demokratie. Joachim Radke:

„Wenn man sich nicht mehr traut, bei einem Projekt, das ja als Kunstwerk offensichtlich neutral dasteht, zu unterschreiben, da fragt man sich wirklich, in welche Richtung geht unsere Gesellschaft?“

Zumal die Jugend damit keine so großen Probleme zu haben scheint:

„Die Älteren haben mehr Lebenserfahrung. Die wissen bestimmte Entwicklungen zu deuten, die es schon seit Jahren gibt. Die Jugendlichen ignorieren das lieber.“

Was dabei herauskommen kann, haben sie im Osten 1989 schon mal erlebt. Damals fühlten sich die Menschen hier ähnlich ungefragt und nicht ernstgenommen. Bis die ersten es nicht mehr aushalten konnten und wollten und ihr Leben wieder selbst in die Hände nahmen. Diese Erfahrung verbindet sie alle und hat ihnen dabei geholfen, sich ein zweites Mal öffentlich zu Wort zu melden. Ohne Gewalt. Susanne Dagen:

„Wir haben Dialogbereitschaft nicht nur signalisiert, sondern auch praktiziert.“

Damit in Deutschland nicht mehr gegeneinander geredet wird, sondern miteinander. Auch mit denen, die das immer noch nicht einsehen wollen. Ein paar Vertreter des linken Meinungsspektrums waren ja doch noch an Ort und Stelle gekommen. Buchstabe für Buchstabe reihten sich die Mädchen und Jungen nebeneinander auf um ihre Deutung des Kunstwerkes zu präsentieren:

German Angst.

Die hatten sie am Ende selbst. Andreas Glaser:

„Wir haben die eingeladen mit uns einen Dialog zu führen, aber das wollten sie nicht. Da war ihre eigene German Angst offensichtlich größer.“

René Schäfer:

„Gleich am Freitag war einer von ihnen bei uns und ich versuchte mit ihm zu reden. Das kam mir dann so vor, als hätte der ein Tonband mitlaufen und wollte gewisse Schlagwörter von mir erhaschen. Wir haben dann aber immer mehr Parallelen gefunden, wo er mir beipflichten musste. Irgendwann gab er dann auf, weil er keine Argumente mehr fand.“

Eine Erfahrung, die sie immer wieder mit jenen machten, die sich als „Links“ sehen und auch so argumentieren:

„Ihre ersten Sprüche sind immer: Ihr seid doch alles Nazis. Und wenn man sie vom Gegenteil überzeugen will, hören sie gar nicht zu, sondern bringen immer wieder die gleichen Unwahrheiten über uns. Als würden sie aus einem Buch vorlesen. Mit ihnen zu reden bringt nicht viel.“

Obwohl auch ihre Meinung in einer Demokratie zählt. Aber mit der waren sie eindeutig in der Minderheit. Joachim Radke:

„Die meisten Menschen, mit denen wir gesprochen haben, waren für einen Dialog und sagten auch, auf welcher Seite sie stehen. So bekamen wir ein Meinungsbild von der Mitte der Gesellschaft, das für uns gesprochen hat. Das machte Mut. Weil man sieht, die Leute stehen hinter einem. Man ist damit nicht allein.“

Und diese Erfahrung ist wohl die wichtigste, die sie an diesem Wochenende gemacht haben. So wird das mutmachende Gefühl, mit seinen Sorgen, Bedenken, Hoffnungen und Wünschen nicht alleine in diesem Land zu sein, das Projekt auch überdauern. Es soll sogar auf Reisen gehen. René Jahn

„Es gibt schon die ersten Anfragen und Planungen.“

Wo genau darf er noch nicht verraten. Das Risiko ist zu groß, dass es dann schon im Vorfeld zu Aktionen dagegen kommt. So wäre der beste Platz eigentlich der öffentlichste Platz in Deutschland. DJ Happy Vibes, der den Soundtrack für die Aktion produziert hatte, gibt schon mal die Richtung vor:

„Auf nach Berlin.“

Direkt vor das Brandenburger. Um alle Bürger und Bürgerinnen unseres Landes daran zu erinnern, dass man nicht nur jammern darf, sondern sich auch einmischen muss, wenn man mit den Zuständen, in denen wir derzeit leben, nicht einverstanden ist. René Jahn:

„Das war und bleibt wohl immer das schwerste. Viele haben jede Unterstützung und Zustimmung signalisiert, aber die Vorstellung selbst aktiv zu werden, schreckt die meisten noch ab.

Doreen Ulke:

„Dabei ist es heute dringender denn je. Allein im Namen unserer Kinder.“

Damit die eine sichere Zukunft haben, muss man schon in der Gegenwart damit anfangen. Der Erfolg ihrer Aktion hat sie darin bestärkt und so wollen sie jetzt all diejenigen, die sie und ihr Anliegen unterstützen zusammenbringen. Nicht nur vor Ort, sondern bundesweit. René Jahn blickt voraus:

„Unser Verein, „proMitsprache eV.“ soll die Grundlage für eine neue Bewegung werden. Selbstbestimmt und eigenfinanziert. Mit 10 Euro Jahresbeitrag kann sich jeder daran beteiligen.

Das Interesse daran war schon vom ersten Tag ihrer Aktion groß:

„Aus dem Osten, wie aus dem Westen.“

Das ist wichtig für sie. Sie wollen ja einen bundesweiten Dialog anstoße. Und am einfachsten geht das, wenn wir über die vielen Probleme, die uns heute hier in Deutschland alle angehen, auch alle miteinander reden. Ohne jede Angst dabei. Denn, wie gesagt: Reden ist die beste Therapie. Und je eher wir damit anfangen, um so friedlicher geht es dabei zu. In Dresden hat das schon funktioniert.

Torsten Preuß ist Journalist und Schriftsteller.