Tichys Einblick
Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Systembruch im deutschen Migrationsrecht

Entgegen der Ankündigung von mehr „Härte“ in der Asyl- und Migrationspolitik seitens der neuen CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer betreibt die Kanzlerin die weitere Aufweichung ihrer Migrationspolitik zulasten des bestehenden Asylrechts.

John MacDougall/AFP/Getty Images

Am 13. März hat die Bundeskanzlerin den Entwurf des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes an den Bundespräsidenten mit der Bitte weitergeleitet, die Beschlussfassung des Bundestags herbeizuführen. In dem Gesetzentwurf werden auf rund 200 Seiten sämtliche Änderungen und Ergänzungen dargelegt, die am bestehenden Aufenthaltsgesetz vorgenommen werden sollen, um „die Bedarfe des Wirtschaftsstandortes Deutschland und die Fachkräftesicherung durch eine gezielte und gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften aus Drittstaaten zu flankieren und so einen Beitrag zu einem nachhaltigen gesellschaftlichen Wohlstand zu leisten.“

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In dem Gesetz wird, wie angekündigt, unter anderem die umstrittene Frage des Aufenthaltsrechts für abgelehnte Asylbewerber mit Duldung neu geregelt. In § 19d ist daher vorgesehen, dass einem geduldeten Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen „eine Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer der beruflichen Qualifikation entsprechenden Beschäftigung erteilt werden“ kann. Diese Voraussetzungen gelten als erfüllt, sofern er in Deutschland:
(a) eine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen hat oder
(b) mit „einem deutschen Hochschulabschluss vergleichbaren ausländischen Hochschulabschluss seit zwei Jahren ununterbrochen eine dem Abschluss angemessene Beschäftigung ausgeübt hat oder
c) seit drei Jahren ununterbrochen eine qualifizierte Beschäftigung ausgeübt hat und innerhalb des letzten Jahres vor Beantragung der Aufenthaltserlaubnis für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen oder anderen Haushaltsangehörigen nicht auf öffentliche Mittel mit Ausnahme von Leistungen zur Deckung der notwendigen Kosten für Unterkunft und Heizung angewiesen war.“

Außerdem muss der betreffende Ausländer über ausreichenden Wohnraum und ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, die in dem Gesetz allerdings nicht weiter qualifiziert werden.

Wer diese Voraussetzungen erfüllt, erhält in Deutschland, sollte das Gesetz den Bundestag passieren, in Zukunft abweichend von den §§ 5 und 10 des bisherigen Aufenthaltsgesetzes auch als abgelehnter Asylbewerber einen regulären Aufenthaltstitel. Ausgenommen sind lediglich diejenigen abgelehnten Asylbewerber, die die genannten Voraussetzungen nicht erfüllen oder die Ausländerbehörde vorsätzlich über „aufenthaltsrechtlich relevante Umstände“ getäuscht, behördliche Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich hinausgezögert oder behindert haben, Verbindungen zu extremistischen oder terroristischen Organisationen unterhalten oder wegen einer „vorsätzlich begangenen Straftat“ verurteilt worden sind. Letzteres gilt wiederum nicht für Straftaten außerhalb des Aufenthalts- und Asylgesetzes, die mit weniger als 50 Tagessätzen sowie für Straftaten innerhalb des Aufenthalts- und Asylgesetzes, die mit weniger als 90 Tagessätzen bestraft worden sind.

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Mit diesen Regelungen haben sich innerhalb der Koalition diejenigen Kräfte durchgesetzt, die seitens der SPD wie auch der Union unter der Devise „Aufenthaltsrecht für alle Asylbewerber durch Arbeit“ mit Unterstützung weiter Teile der Wirtschaft und der Gewerkschaften einen Verzicht auf die Rückführung abgelehnter Asylbewerber fordern, sofern diese in Ausbildung oder Arbeit gekommen sind. Der Vorsitzende der deutschen Verwaltungsrichter, Robert Seegmüller, hat dies in der WELT vom 18. März treffend als einen Systembruch im deutschen Migrationsrecht bezeichnet, das bislang zwischen der im Asylgesetz geregelten humanitären Migration und der im Aufenthaltsgesetz geregelten Arbeitsmigration getrennt hat.

Mit dieser Trennung sollte laut Seegmüller ein Missbrauch des Asylgesetzes zur Arbeitsmigration verhindert werden. Das neue Gesetz hebt diese Trennung nun auf und wird damit folgendes bewirken:

• dem ohnehin schon grassierende Missbrauch des Asylgesetzes zur Arbeitsmigration wird, entgegen allen gegenteiligen Erklärungen der Bundesregierung, Tür und Tor geöffnet. Wer als Arbeitsmigrant nach Deutschland kommen will, dafür aber nicht die qualifikatorischen Voraussetzungen erfüllt, darf dafür nun, mit rechtlichem Segen und finanzieller Unterstützung der Steuerzahler, den Asylweg nutzen;

• das Asylgesetz wird in ein Einwanderungsrecht umfunktioniert. Das wird den Anreiz, via Asyl nach Deutschland einzuwandern immens verstärken;

• gleich darf ein Arbeitsmigrant, der aufgrund des neuen Gesetzes zunächst ohne Asylantrag und ohne Arbeitsvisum für ein halbes Jahr nach Deutschland kommen darf, um sich hier eine Arbeit zu suchen, bei erfolgloser Suche einen Asylantrag stellen, um nach sechs Monaten nicht wieder ausreisen zu müssen und als Asylbewerber auf Staatskosten versorgt zu werden;

• die ohnehin schon bestehende Überlastung der Verwaltungsgerichte mit Einsprüchen gegen Abschiebungsbescheide wird weiter zunehmen, da mit § 19d eine Vielzahl von Einspruchsmöglichkeiten geschaffen werden, die den abgelehnten Asylbewerbern erweiterte Einspruchsmöglichkeiten und deren Anwälten zusätzliche Verdienstchancen verschaffen;

• und schließlich wird das Asylgesetz komplett ad absurdum geführt, wenn in Zukunft nicht mehr die vorgebrachten Asylgründe, sondern allein der Arbeitsmarkt darüber entscheidet, wer in Deutschland bleiben darf.

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Dies scheint die Bundesregierung mit ihrer Kanzlerin aber nicht weiter zu kümmern. Sie versprechen sich von §19d des neuen Gesetzes die Lösung des mit ihrer Politik der offenen Grenzen von ihnen selbst geschaffenen Problems einer stetig steigenden Zahl abgelehnter Asylbewerber, die nicht in ihre Heimat zurückgeführt werden können. Ein katastrophales Vollzugsdefizit des geltenden Asylrechts soll nun dadurch behoben werden, dass abgelehnte Asylbewerber unter dem Vorwand des Fachkräftebedarfs rechtlich zu Arbeitsmigranten umdefiniert werden. Da wäre es doch angebracht, auf die Prüfung von Asylgründen gleich ganz zu verzichten und jedem Asylbewerber sofort eine Niederlassungserlaubnis nach § 18a des Aufenthaltsgesetzes zu erteilen. Den deutschen Verwaltungsgerichten würde dies viel Arbeit ersparen und den Unternehmen ein noch größeres Rekrutierungsreservoir aus Drittstaaten erschließen.

Mit einer gewissen Spannung wird man nun beobachten dürfen, wie sich angesichts der in diesem Jahr anstehenden Wahlen die Unionsfraktion in den anstehenden Beratungen im Bundestag sowie die CDU-geführten Landesregierungen im Bundesrat in dieser Frage positionieren, nachdem im Anschluss an das CDU-Werkstattgespräch zum Thema Asyl und Migration von der neuen CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer mehr „Härte“ angekündigt worden ist.