Tichys Einblick
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Studieren unter Corona – Bildung nur noch für Studenten, die es sich leisten können

Dass sich angesichts extremer Nachteile für impfunwillige junge Menschen immer noch Politiker hinstellen und davon sprechen, dass es weder durch die Vorder- noch durch die Hintertür eine Impflicht gibt oder geben wird, ist nicht nur grotesk, sondern dreist gelogen.

IMAGO / Bihlmayerfotografie

Seit sich das Corona-Virus in unser aller Leben gedrängt hat, sind inzwischen ganze anderthalb Jahre vergangen. Gerade für junge Leute eine schier endlos lange Zeit ohne soziale Kontakte, ohne Schule, ohne Uni und ohne Partys. Wir mussten uns im März letzten Jahres abrupt vom normalen Leben und Heranwachsen verabschieden – und zwar OHNE die Aussicht, dass der ganze Wahnsinn bald mal ein Ende nimmt.

Obwohl das dadurch erzeugte psychische Leid immens war und immer noch ist, hatte man in Politik und Medien wenig Mitleid mit der jungen Generation. Man erklärte uns lieber zum Sündenbock und zum Pandemietreiber, der durch sein wüstes und rücksichtsloses Partyleben alle anderen in die Katastrophe stürzt. Super-Spreader-Events wie Schule und Uni mussten also tunlichst unterbunden werden – zumindest bis vor kurzem. Man kann es zwar kaum glauben, aber ab kommendem Semester sollen „dank der hohen Impfquote“ nach den Schülern nun auch die Studenten endlich vom einsamen, müden und sinnlosen auf den Bildschirm Starren befreit werden. Der einzige Haken: Für Präsenzveranstaltungen gilt die 3-G-Regel. Bildung gibt es also nur noch für den, der es sich auch leisten kann.

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Als Anfang letzten Jahres das digitale Sommersemester verkündet wurde, hieß es in der entsprechenden Mitteilung der Berliner Senatskanzlei noch, die Lehre würde von „Flexibilität, Rücksicht und Verlässlichkeit“ geprägt sein. Ein Spruch, der sich wie in der Pandemie-Politik üblich, als völlig leere Floskel erwiesen hat. Die drei vergangenen Online-Semester haben genauso wenig verlässlich zu unserer Bildung beigetragen, wie Ungeimpfte künftig irgendeine Form von Flexibilität oder Rücksicht erwarten können. Als Student muss man sich sein Recht auf Bildung erkaufen, entweder durch den heilsbringenden Piks oder durch das tägliche Teststäbchen – und eben das wird in Zukunft richtig teuer. Kostenlose Bürgertests gibt es ab Oktober nicht mehr. Wer sich nicht impfen lassen will, muss dafür bezahlen, und zwar um die zwanzig Euro pro Antigen-Schnelltest. In der Uni muss bei jeder Präsenzveranstaltung ein negativer Testnachweis vorgelegt werden. Bei einem Vollzeitstudium mit fünf Tagen Uni in der Woche kommt man – bei der Forderung nach einem tagesaktuellen Test – im Monat also auf Kosten von etwa 400 Euro. Und selbst wenn der Test – wie an meiner Uni – maximal 48 Stunden alt sein darf, muss man immer noch mit Kosten um die 250 Euro rechnen.

Für die meisten Studenten sind das unbezahlbare Summen – der klassische Studentenjob reicht in der Regel sowieso kaum für Miete, Strom, Essen und den Semesterbeitrag von 315 Euro. Die Teilnahme an Präsenzveranstaltungen wird für viele Ungeimpfte also nahezu unbezahlbar und stellt sie damit erneut vor die Wahl: Impfen oder wieder zurück in die Isolation vor den heimischen PC? – sofern man überhaupt das Glück hat, dass die Vorlesungen und Seminare parallel auch online angeboten werden. Aber auch wenn: wer will schon zurück in die Einsamkeit der Online-Lehre? Die soziale Isolation und das Fehlen von Gemeinschaft, einer normalen Tagesstruktur, Diskussionen und Kontakten hat schon jetzt extrem viele junge Menschen in Verzweiflung und Depressionen gestürzt. Existenzielle Ängste, Substanzkonsum, Mut- und Antriebslosigkeit haben extrem zugenommen – dazu gibt es inzwischen zahlreiche Untersuchungen aus ganz Deutschland.

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Davon abgesehen ist der Lerneffekt von Online-Seminaren und Vorlesungen mehr als nur bescheiden. Ich durfte das ganze letzte halbe Jahr einen Vortrag nach dem anderen vor dreißig schwarzen Kacheln bei Zoom halten – davon hatte ich nichts und auch kein anderer. Die meisten Studenten wählen sich einfach mit dem Handy ein und legen es dann weg, um arbeiten zu gehen, im Internet zu surfen oder zu schlafen. Die Verlockung, sich mit etwas anderem zu beschäftigen, ist groß, Anreize und Motivation aufzupassen, sind dagegen eher bescheiden – und das kann man im Übrigen nicht nur bei den Studenten, sondern auch bei den Dozenten und Professoren beobachten.

Aber selbst, wenn man sich wirklich bemüht, aufmerksam ist und sich jedes Vorlesungsvideo und jeden noch so blöden Vortrag ganz genau anschaut, kommt am Ende nicht viel dabei rum. Der direkte Austausch, Fragen und Anschauungsmaterial sind online nicht zu ersetzen. Bei so theoretischem und realitätsfernem Geplapper wie in meinem Psychologie-Studium kann man vielleicht noch sagen: Schwamm drüber, ist sowieso egal. Aber was macht man mit Studienfächern, in denen praktische Fähigkeiten für die spätere Arbeit entscheidend sind? Eine Freundin von mir studiert Medizin und hat online gelernt, wie man einen Luftröhrenschnitt macht – in einem einzigen Online-Seminar mit Erklärvideo statt während eines ganzen Praktikums mit direkter Interaktion und Patientenkontakt. Würden Sie sich von so einem Arzt später behandeln lassen wollen? Ich nicht.

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Die deutschen Studenten vereinsamen also nicht nur, sie verblöden auch – seit ganzen anderthalb Jahren. Das ist bei Einhaltung der Regelstudienzeit ein halber Bachelor und mehr als die Hälfte des Masters. Die Folgen werden schon jetzt sichtbar: Laut Senatskanzlei für Wissenschaft und Forschung haben in Berlin im vergangenen Jahr 12.400 Studenten ihren Bachelorabschluss gemacht – fast 15 Prozent weniger als 2019. Die Zahl der Masterabschlüsse ging ebenfalls um 13 Prozent zurück. Dadurch hat sich die Zahl der Studenten insgesamt erhöht, auch wenn die Zahl der Studienanfänger um 5 Prozent zurückgegangen ist. Ich bin gespannt, wie die Universitäten künftig mit dem erhöhten Studentenandrang umgehen wollen, immerhin waren zumindest die Berliner Unis schon vor Corona völlig überlastet. In jeder Vorlesung musste ein Teil der Studenten auf den Treppen oder auf dem Boden sitzen, weil es nicht genug Plätze gab.

Das Problem wird aber natürlich vorerst abgemildert, wenn man den Großteil der Ungeimpften durch immense Zusatzkosten aus dem universitären Leben ausschließt und ihnen damit quasi ihr Recht auf Bildung entzieht. Dass sich angesichts dieser extremen Nachteile für impfunwillige junge Menschen immer noch Politiker hinstellen und davon sprechen, dass es weder durch die Vorder- noch durch die Hintertür eine Impflicht gibt oder geben wird, ist nicht nur grotesk, sondern dreist gelogen.

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