Tichys Einblick
Stolz und Scham

Stolz, Deutscher zu sein. Geht das?

Stolz, Deutscher zu sein, ist das legitim? Oder kann und darf jeder nur auf seine eigene Leistung stolz sein, so wie es gemeinhin propagiert wird?

 „Stolz ein Deutscher zu sein. Das geht gar nicht. Weißt du denn nicht, dass man nur auf seine eigene Leistung stolz sein kann? Weißt du nicht, dass du dich der Argumentation der Nationalisten bedienst. Damit hast du ja die gleiche Meinung wie Rechtsradikale.“ So kann man es heute an jedem Stammtisch hören. Ja es scheint, als habe sich diese Ansicht als allgemeingültig durchgesetzt.

Aber stimmt das? Kann man wirklich nur stolz auf die eigene Leistung sein? Kann man nicht auch stolz auf Andere sein? Hat der Stolz immer etwas mit Leistung zu tun? Es lohnt sich, dies etwas genauer anzuschauen.

Im Grimm´schen Wörterbuch wird „stolz sein“ in unterschiedlichster Form gebraucht:

weh dem, der nicht stolz auf die seinigen seyn darf! maler Müller  

ich (bin) stolz auf meinen urgroszvater – A. v. Droste-Hülshoff

stolz auf das vaterlandA. v. Humboldt

Stolz hat also zunächst einmal nichts mit Leistung zu tun, sondern mit einer als positiv bewerteten Eigenschaft. Der stolze Ritter ist auf seinen Stand stolz.

so ward im zu mynne
von ir ain zartes kussen kunt

an seinen stoltzen ritters munt

Heinr. v. Neustadt

Stolz auf Andere

Worauf ist man also stolz? Man ist nicht nur stolz auf die eigene Leistung, man ist auch stolz auf die, mit denen man sich verbunden fühlt. Man ist also stolz auf sich, auf die Kinder, auf den Fußball-Club, auf Freunde, die endlich etwas erreicht haben. Also einfach auf alle, mit denen man sich identifiziert.

Heute kann man hören: „Ich bin stolz auf dich“. „Schon neulich war ich so unglaublich stolz auf deinen Erfolg.“ „Ich bin stolz darauf, einen so tollen Freund zu haben.“

Umgekehrt bedeutet dies, wer nicht das Gefühl der Verbundenheit und des Stolzes auf Andere entwickeln kann, ist ein emotional verarmter Egozentriker. Stolz ist ein sozialer Kitt, er ist notwendig für das Selbstbewusstsein einer Gruppe und ermöglicht das Gefühl der Zugehörigkeit.

Kann man nur auf die eigene Leistung stolz sein?

In der heute herrschenden Leistungsgesellschaft soll nur noch die individuelle Leistung Messlatte für den Stolz sein. Mit anderen Worten: In unserem grenzenlosen Individualismus hat der Erfolgreiche das Recht, stolz auf sich zu sein, der Erfolglose eben nicht, der darf sich nicht nur schämen, nein ihm wird auch noch die Möglichkeit genommen, stolz auf ein großes Ganzes sein zu können.

Ausgerechnet die politisch korrekte „Linke“, die die heutige Sprache definiert und sich als Anwalt der Opfer propagiert, findet nichts dabei, die Erfolglosen ins Abseits zu stellen. Aber gerade diese sind zuvörderst keine Internationalisten, sie leben auf heimischem Boden. Familie, Region, Nation sind ihre Elemente, hier fühlen sie sich zugehörig. Bei dem Begriff Europa werden sie misstrauisch, als Weltbürger sehen sie sich aber ganz und gar nicht.

Warum darf man nicht auf Deutschland stolz sein?

Und das steckt wohl hinter dem erbitterten Vorwurf, man dürfe nicht stolz auf Deutschland sein: Die emotionale Verbundenheit mit der Nation soll zerstört werden, ja sie soll gar nicht erst entstehen. Da man dies nicht so offen sagen möchte, manipuliert man einfach die Sprache und argumentiert, man dürfe nur auf die eigene Leistung stolz sein. Die Nation, besonders die deutsche, ist besonders verdächtig und eine Wurzel des Übels. Für den „linken“ Mainstream gibt es nur das Individuum und den Weltbürger. Identitäten sind angeblich beliebig austauschbar. Das Geschlecht ist angeblich so auswechselbar (Gender Mainstream) wie die Kultur. Aber wer sich mit allem verbunden wähnt, ist mit nichts verbunden.

Aber wer das Gefühl des Stolzes auf Gruppen abwertet, versucht das natürliche Bedürfnis einer Gruppe nach eignem Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit zu zerstören und verhält sich asozial.

Stolz auf Deutschland

Ich bin stolz Deutscher zu sein, bedeutet man ist stolz auf die Vorfahren, die Deutschland zu dem gemacht haben, was es heute ist. Und man ist stolz auf die heute lebenden Deutschen, die Deutschland zu einem Land gemacht haben, indem sie gerne leben. Nationalstolz, ist stolz sein auf die eigene Nation und deren Kultur. Das gilt, wie man weiß für jede Nation, soll aber angeblich für Deutschland nicht gelten. In ihrer Doppelmoral geht aber der politisch korrekte Mainstream noch weiter. Zeit-Online fragt: Bist du stolz Europäer zu sein? Aha, das ist also erlaubt, Stolz auf den ganz großen „Nationalstaat“, Hauptsache Deutschland dient nicht als Identifikationsfläche.

„Say it loud, I’m black and proud!“ von James Brown kann jederzeit aus dem Radio tönen und das weiße Publikum wippt begeistert mit. Auf was er da so genau stolz ist, erfährt man allerdings im Lied nicht. „Ich bin stolz darauf, ein Weißer zu sein“, wäre dagegen Rassismus pur. Für so eine Aussage hat man sich zu schämen gelernt, obwohl die politisch korrekte Linke sich ironischerweise auf universelle Werte beruft, die die der Kultur der Weißen geschaffen hat.

Stolz und Scham

Der Gegensatzbegriff zum stolz sein ist das sich schämen oder auch peinlich berührt sein. Kann ich mich für Andere schämen? Sich als Deutscher für den Nationalsozialismus zu schämen ist ja angesagt. Aber wer sich über Identifikation für die Nation schämt, der kann natürlich auch auf diese stolz sein. Scham ohne Stolz ist eine moderne Form des schizophrenen Denkens und Fühlens.

Aber wenn das Verbundenheitsgefühl die Grundlage für Stolz und Scham ist, bedeutet das auch, dass wenn sich ein Freund bei Anderen blamiert, ich mich trotzdem mit ihm verbunden fühle, und er mir deshalb nicht peinlich ist. Wenn ich mein Fähnchen nicht in den Wind hänge, werde ich trotzdem zu ihm stehen.

Gibt es eine besondere Verantwortung Deutschlands?

Erwächst nun aus der deutschen Scham eine besondere moralische Verantwortung, ein deutscher Sonderweg des besonders Guten?

„Vielleicht gab es bisher keine gefährlichere Ideologie, keinen größeren Unfug in psychologicis als diesen Willen zum Guten“, meinte Nietzsche.

Wer die Geschichte des 20. Jahrhunderts Revue passieren lässt, sieht, dass Nietzsche recht hatte und die besonders „Guten“ immer auch die größten Verbrechen begingen, um „das Gute“ durchzusetzen. Der Zweck heiligt auch heute die Mittel.

So kann man mit guten Argumenten zu der Meinung kommen, dass Deutschland nicht mehr und nicht weniger Verantwortung als andere hat, menschlich zu handeln.
Eine besondere Verantwortung gegenüber der Welt zu haben, wie sie landauf und ab postuliert wird, bedeutet gleichzeitig eine deutsche Sonderrolle, es bedeutet wieder ein: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. So sollte wohl auch die deutsche Rolle in der Merkelschen Migrationspolitik beispielhaft für die Welt und für Europa sein. Wie es aber bei moralischen Musterknaben oft der Fall ist, wirkt das Strebertum nicht beispielhaft sondern spalterisch. Das Fremdeln Osteuropas und der Brexit haben viel mit der deutschen moralischen Überheblichkeit zu tun.

Folgen des Antistolzes

Wenn Erdoğan in Deutschland ist, füllen Türkischstämmige die Hallen von Oberhausen oder Köln im Handumdrehen. Für kritische Denker ist das keine Überraschung, für die deutschen Mainstream-Medien schon. In ihrer ideologischen Beschränktheit begreifen sie bis heute nicht, dass Erdoğan den Türken in Deutschland eine emotionale Identifikation bietet, die ihnen Deutschland nicht bietet. Dass nationale Identifikation besonders in orientalischen Kulturen ein essentielles Bedürfnis ist, bleibt völlig unverstanden.

Vor allem junge Menschen, die hier geboren und aufgewachsen sind, jubeln Erdoğan zu. Warum tun sie das, obwohl sie doch die deutsche Staatsbürgerschaft haben?

Es geht der jungen Generation um Emotionen, um Identifikation, die ihnen Deutschland verwehrt. Denn auf Deutschland kann und soll man ja nicht stolz sein. So drängt der herrschende antinationalistische Mainstream Türkischstämmige in einen türkischen Nationalismus.

Wenn gleichzeitig deutsche „Linke“ und Feministen das Kopftuch und den Islam verteidigen, greifen psychologische Mechanismen, die alles mit 2erlei Maß messen: Was man sich selbst verbietet, bewundert man unbewusst beim Anderen.

Der Islam stößt in ein Vakuum, das der internationalistische deutsche Mainstream den Einwanderern vorenthält. Eine Integration arabischer mittelalterlicher Kulturen gelingt nur über das Herz, und sie gelingt nur über kulturelle Symbole, die die Einwanderer berühren, sie gelingt nur über einen ausgeprägten Stolz auf das neue Vaterland. Wird dieser Stolz tabuisiert, werden sich die Einwanderer andere, religiöse Identifikationspunkte in Parallelgesellschaften suchen. Und dann können sich nicht nur die Internationalisten warm anziehen.

In den USA ist dies anders. Dort sind die USA Identifikationspunkt, und es ist völlig selbstverständlich, dass die Einwanderer stolz darauf sind, Amerikaner zu sein. Dort werden die Nation und ihre Werte zelebriert. Dort stehen im Kino die Zuschauer zur Nationalhymne auf, aus Respekt und Identifikation mit den USA. Welche Identifikation ist Deutschen mit ihrem Land erlaubt, ohne als „Nazis“ abqualifiziert zu werden?

Der deutsche politisch korrekte Nihilismus hält die Menschen existenziell hin. Er sagt: Jeder kann machen, was er will, solange er sich das Grundgesetz hält. Stolz sein auf Deutschland, ist hier aber verfemt. Welche Rituale der nationalen Verbundenheit erlaubt sind, bleibt bestenfalls unklar, am besten aber sollten es aber gar keine sein. Vielleicht bleibt noch das Absingen der deutschen Nationalhymne bei internationalen Fußballspielen. Aber gerade hier singen muslimische Spieler nicht mit, was sowohl für Ur-Deutsche als auch für Migranten eine außerordentlich negative Symbolkraft entfaltet.

Im Gegensatz zum deutschen National-Nihilismus bietet der dschihadistische Islam leicht Identifikationspunkte: Er beantwortet alle Fragen, zerstreut Zweifel, und kämpft gegen eine westliche Welt, von der er sich hintergangen fühlt. Der einst gefürchtete Westen fürchtet heute den Dschihad. Der Islamismus schafft Bruderschaft für solche, die sich emotional ausgegrenzt fühlen, und auch er ist der Meinung, universelle Werte zu vertreten. Er ist ein Antipol gegen einen verderbten Westen, der seine Ideale verraten hat und nur noch und Geld und Erfolg huldigt. Auch der Islamismus ist von seinem Gutsein restlos überzeugt.

So führt also der Zwang zum Gutsein egal welcher Prägung zu einer Umkehr des Goetheschen:

Ich bin ein Teil von jener Kraft, Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Steht am Ende eine Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft?

Beifall von der falschen Seite?

War da noch was? Ach ja: Im Text oben wurde ja vom Mainstream-Stammtisch diagnostiziert „Stolz Deutscher zu sein? Weißt du nicht, dass du dich der Argumentation der Nationalisten bedienst. Damit unterstützt du sie ja.“

Ein Argument nur deshalb für falsch zu halten, weil es vom politischen Gegner kommt, war schon immer ideologisch borniert. Auch Menschen, deren Meinungen ich persönlich für falsch halte, sagen natürlich Dinge, die richtig sind. Und hier lohnt es sich oft, besonders gut hinzuhören, denn von Freunden, die meiner Meinung sind, wurde ich vielleicht nicht darauf aufmerksam gemacht.

Dass Hitler Wagner gehört und Autobahnen gebaut hat, macht beides weder besser noch schlechter. Die Neigung die Aussage „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ deshalb für falsch zu halten, weil Nazis dies auch sagten, ist irrational und bösartig. Wer gegen vernünftige Argumente den Zusammenhang von Islam und Islamismus bestreitet, weil er damit fürchtet, die AfD zu stärken, dessen Argumentation ist rein ideologisch begründet. Er setzt sich weder rational noch vorurteilsfrei mit den Argumenten auseinander und nimmt so den Anderen in keiner Weise ernst. Dass ausgerechnet die politisch Korrekten ihre Gegner in dieser Weise verböst und auch noch stolz darauf sind, gehört zur herrschenden Doppelmoral, zum Pharisäertum derjenigen, die heute die öffentliche Meinung beherrschen.