Tichys Einblick
Torschlusspanik?

SPD auf Muslimkurs

Die wenigen säkularen Muslime, die sich mittlerweile nur noch zur Hälfte aus Türkei-stämmigen und zur anderen Hälfte aus Zuwanderern aus Afrika und Zentral- bis Südostasien rekrutieren, werden die SPD nicht retten.

© Sean Gallup/Getty Images

Es ist keine neue Erkenntnis: Zur Politik gehört eine ganz große Menge Schleim, auf dem die Politiker in die Herzen ihrer Wählern rutschen wollen. Doch die Frage ist: Wie weit kann, wie weit sollte die Anbiederung gehen? Ist es gerechtfertigt, bei der Verteilung von Schleimdrops an erhoffte Wähler FakeNews zu verbreiten? Tatsachen zu behaupten, für deren Widerlegung man nicht länger als eine Minute im Internet recherchieren muss?

Ein Musterbeispiel solcher FakeNews hatte im Juli der Bundesaußenminister zum Besten gegeben, als er in seiner Wahlbettelansprache an die türkisch-stämmige, deutsch-staatbürgerliche Wählerklientel die Behauptung aufstellte, sie oder ihre Eltern „haben dieses Land aufgebaut“. Nein, nicht die Türkei, deren Obersultanist Erdogan just zuvor „seine“ deutschen Mitbürger aufgefordert hatte, keine der großen deutschen Parteien zu wählen, war von Gabriel gemeint – sondern diese seine Bundesrepublik, die offenbar für manchen nur noch proforma den Zusatz „Deutschland“ trägt.

Die Hintergründe der Anwerbung

Blicken wir kurz zurück und begegnen wir einer Legende, die nicht nur in Sachen Türken manchen gutmeinenden Kopf verwirrt. Blicken wir zurück auf jene Anwerbeabkommen, die die noch junge Bundesrepublik in den fünfziger und sechziger Jahren des vergangenen Jahrhundertes mit mehreren Mittelmeeranrainerstaaten abgeschlossen hatte, und in deren Gefolge jene völlig zurecht als „Gastarbeiter“ bezeichneten Menschen in den Norden kamen.

Denn Gastarbeiter waren es – darüber herrschte auf beiden Seiten stets Einigkeit.

Das erste dieser Abkommen trat am 20. Dezember 1955 in Kraft. Wer nun allerdings meint, es sei deshalb geschlossen worden, weil zu jener Zeit tatsächlich noch eine Menge Wiederaufbau nach der national-sozialistischen Phase der kollektiven Selbstvernichtung zu leisten war, der irrt. Bereits damals war dieses Anwerbeabkommen faktisch nichts anderes als ein Stück Entwicklungshilfe für den früheren Kampfgenossen und späteren Kriegsgegner. Denn in Italien herrschte nach dem Krieg ein Art Notstand. Es fehlten Millionen von Arbeitsplätzen vor allem in den südlichen Regionen – und die arbeitslosen Männer wurden anfällig für die Verlockungen des Kommunismus, der unter Stalin und seinen Nachfolgern nie die Hoffnung aufgegeben hatte, vor allem im Süden Europas Teile aus der westlichen Phalanx herauszubrechen.

So standen bereits seit 1953 italienische Unterhändler regelmäßig in Konrad Adenauers Kanzleramt. Offiziell begründeten die Südeuropäer ihr Anliegen, Arbeitskräfte entsenden zu dürfen, mit dem Handelsbilanzdefizit, welches Italien gegenüber Deutschland hatte. Doch „der Alte“ zögerte. Zwar hatte es immer schon Italiener gegeben, die über die Alpen nach Norden gezogen waren, um dort ihre Existenz zu sichern – doch die Vorstellung, vertraglich eine vielleicht unbegrenzte Zahl vor allem junger Männer aufzunehmen, mochte ihm nicht behagen.

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Erst die gemeinsame Front des damaligen Ministers für besondere Aufgaben, Franz Josef Strauß, und des Bundesministers für Wirtschaft, Ludwig Erhard, vermochte den Rheinländer 1954 bewegen, dem Drängen der Regierung in Rom nachzugeben. Vor allem der geopolitisch denkende Strauß wollte damit die Südflanke des „freien Westens“ gegen die kommunistische Gefahr sichern. Und auch die Schwächung der Position der Gewerkschaften – sie waren anfangs vehement gegen die Anwerbung nicht-deutscher Arbeitskräfte – kam dem Bayern durchaus gelegen. Denn ein Überangebot zusätzlicher Arbeitskräfte auf dem deutschen Arbeitsmarkt musste zwangsläufig die Lohnforderungen der Arbeiter und Angestellten in einem erträglichen Rahmen halten. So, wie bereits die Ökonomisierung der Frau über die Erzählung von der Selbstverwirklichung in lohnabhängiger, fremdbestimmter Arbeit auch ein Instrument gegen zu hohe Lohforderungen gewesen ist, halfen in den Augen Straußens die Gastarbeiter aus dem Süden dem Wirtschaftsstandort Deutschland durch moderate Lohnabschlüsse.

Und Gastarbeiter waren es tatsächlich, die Italiener. Nur rund zehn Prozent jener, die vom Stiefel über die Alpen gezogen waren, blieben nach Ablauf ihrer zeitlich befristeten Tätigkeit in Deutschland.

NATO-Interessen und Entwicklungshilfe

Nach Abschlüssen weiterer Abkommen mit Spanien und Griechenland, bei denen ebenfalls die NATO-Interessen deutlich vor ökonomischen standen und Deutschland durch den damit verbundenen Kapitaltransfer in den Süden die dortigen Volkswirtschaften stärkte, kam es 1961 zu einem Anwerbeabkommen mit der Türkei. Der Aufbau des kriegszerstörten Deutschlands war zu diesem Zeitpunkt längst weitgehend abgeschlosssen – und mehr noch als bei den früheren Abkommen stand hinter den Kulissen der Wunsch der USA im Vordergrund, die gegen die Sowjetunion als unverzichtbar empfundene Südostflanke zu stabilisieren. Der damalige Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung, Anton Sabel, hatte es bereits am 26. September 1960 gegenüber dem Arbeitsministerium auf den Punkt gebracht. Arbeitsmarktpolitisch sei eine Vereinbarung mit der Türkei in keiner Weise notwendig. Jedoch könne er nicht beurteilen, „wie weit sich die Bundesrepublik einem etwaigen solchen Vorschlag der türkischen Regierung verschließen kann, da die Türkei ihre Aufnahme in die EWG beantragt hat und als NATO-Partner eine nicht unbedeutende politische Stellung einnimmt.“ Damit war alles gesagt.

Die ersten Gastarbeiter aus Anatolien landeten in der saturierten Bundesrepublik folgerichtig zumeist auf Arbeitsplätzen, zu denen sich deutsche Arbeitsnehmer zunehmend weniger bereit fanden – die wirtschaftliche Dynamik des Westen des früheren Deutschen Reichs hatte steile Karrieren ermöglicht, das klassische Industrieproletariat befand sich bereits deutlich im Rückgang.

Und so ist es eben schlicht ein Falschaussage, wenn der Bundesminister des Äußeren seinen „türkischen Mitbürgern“ die Schleimtüte des Wiederaufbaus um den Mund schmiert. Tatsächlich war insbesondere das Abkommen mit der Türkei maßgeblich geopolitischen NATO-Interessen geschuldet – es war Teil einer deutschen Entwicklungshilfe, die unter den Aspekten des Kalten Krieges dennoch nicht so benannt werden durfte.

Die sozialdemokratische Methode des Anwanzens

Doch das sozialdemokratische Anwanzen an die Muslime in Deutschland hat Methode. Bereits 2014 bemängelte Gabriel nach der Teilnahme am islamischen Fastenbrechen in Köln, dass es in Deutschland an „Muslimen in öffentlicher Funktion“ mangele. Es fehlten muslimische Richter, Staatsanwälte, Polizisten, Schulleiter, ließ er sich seinerzeit vernehmen. Man müsse daran arbeiten,  „Menschen den Mut zu machen, sich sozusagen auch diesen Teil der deutschen Gesellschaft zu erobern.“ Als ob es Aufgabe des Staates sein könne, derartige Positionen nach Religionsquote zu besetzen. Und als ob ein solches Ansinnen mit dem Grundgesetz vereinbar wäre.

Natürlich wissen auch Gabriel und seine SPD, dass eine offizielle Religionsquote verfassungswidrig wäre. Aber das Signal, das der damalige SPD-Vorsitzende sowohl an die Türken wie an seine Genossen schickte, war nicht zu überhören: Wann immer ihr die Möglichkeit habt, an Stelle eines deutschstämmigen Bewerbers einen türkischstämmigen Muslim zu setzen, tut dieses – da macht der scheinbar unbeabsichtigt gewählte Begriff des „Eroberns“ durchaus Sinn.

Die SPD hat ihre Prioritäten eindeutig auf die in Deutschland lebenden Muslime gelegt. Regelmäßig zu islamischen Festtagen werden höchstoffizielle Glückwünsche an die Muslime verteilt. Jüngst erst ließ sich der sogenannte Kanzlerkandidat der SPD via Facebook vernehmen – mit einem  Wunsch zum Opferfest mit der muslimischen Abraham-Definition eines „Stammvaters des Islams, des Judentums und Christentums“. Martin Schulz schließt seinen Post mit der mohamedanischen Parole: „Uns verbindet mehr, als uns trennt.“

Auch das Zuckerfest war dem Mann aus Würselen einen Segenswunsch wert.

Weihnachten? Was ist das?

Versucht man hingegen via Suchmaschine entsprechendes von Schulz zum christlichen Weihnachts- oder Osterfest zu finden – Fehlanzeige. Nur zu Weihnachten – da werden „die Roten“ dann ein wenig aktiv. Ohne dabei ihre traditionelle Distanz zur christlichen Lehre durchblicken zu lassen: „Die Roten kommen wieder! Frohe Weihnachten und guten Rutsch.“, witzelte beispielsweise „das soziale Deutschland“ und bildete drei Coca-Cola-Nikoläuse ab. Der christliche Gedanke an die Geburt Jesu ist hier längst dem Kommerz gewichen, während bei den Muslimen eine solche Verbindung als Gotteslästerung empfunden würde und daher auch für die SPD-Granden sakrosankt ist.

Was reitet die SPD?

Jenseits der von der SPD-Dame Aydan Özoguz, die keine spezifisch deutsche Kultur zu erkennen vermag, höchstamtlich vorbereiteten Übernahme Deutschlands durch „Einwanderer“, fragt sich der unbedarfte Betrachter, was die Sozialdemokratie eigentlich reitet, sich den vielleicht zwei Millionen Muslimen mit deutscher Staatsbürgerschaft derart an den Hals zu werfen?

Glauben Gabriel, Schulz und Co allen Ernstes, Muslime werden die SPD vor dem Niedergang retten? Islamische Parteien, im Zweifel aus Ankara gesteuert und finanziert, stehen längst in den Startlöchern. Die nur wenigen säkularen Muslime, die sich mittlerweile nur noch zur Hälfte aus Türkei-stämmigen und zur anderen Hälfte aus Zuwanderern aus Afrika und Zentral- bis Südostasien rekrutieren und die ihre Stimmabgabe vielleicht nicht vom Bekenntnis zu imaginären Göttern abhängig machen, werden die SPD nicht retten.

Aber diese Erkenntnis ist bei einer Partei, die offensichtlich ums politische Überleben kämpft, noch nicht angekommen. Und so darf Schulz sich weiterhin auch gegenüber den Muslimen zum Clown aus Würselen machen und damit dem Regiebuch folgen, das Sigmar Gabriel und seine Hannover-Mafia speziell für ihn erdacht haben, um selbst die zu erwartende Wahlschlappe unbeschadet zu überstehen.