Tichys Einblick
Sündenbock gefunden

Spahns Absturz: Das ideale Bauernopfer aus einer Riege der Versager

Wir können nicht öffnen, weil wir keine Schnelltests haben? Oder weil es die Merkelrunde nicht wollte? Jedenfalls sucht man nun Sündenböcke. Und wer ist da besser geeignet als der ohnehin schon ungeliebte Spahn? Doch unter den Versagern war er der harmloseste, und unter den Blinden der einäugige Prinz.

IMAGO / IPON

Der Wille nach ganz Oben zu kommen, war bei Jens Spahn stets unübersehbar. Seine viel zu dünne Krawatte scheint immer kurz davor, mitsamt seines viel zu engen Anzugs aufzureißen – wie bei Superman, nur etwas weniger cool. Vom Hoffnungsträger der Bürgerlichen zu ihrem Feindbild hat er nur zwei Jahre gebraucht. Als er zum CDU-Parteivorsitz kandidierte, glänzte er neben dem müden Verhaspeler Friedrich Merz und der ohnehin unvergleichlichen AKK vor allem durch eines: Entschlossenheit. Er steht auf der Bühne, nicht weil es irgendeinen sachpolitischen Grund dafür gäbe, sondern weil er es will.

Er wäre der optimale Politiker, allein eines fehlt ihm: Der Schein der Freundlichkeit, die Gabe des richtigen Heuchelns. Schon in öffentlichen Auftritten wirkt er durchgehend gereizt und passiv aggressiv, Menschen, die ihn besser kennen, berichten davon, wie desaströs Shake-Hands-Events im Wahlkreis sind: Rentner haben Bürgerfragen – er haut sie ihnen um die Ohren. Er, Jens Spahn, ist die soziale Dampfwalze und er ist stolz darauf. 

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Er hat es sich wohl selbst zuzuschreiben, was jetzt mit ihm passiert, Freunde hat er keine. Der Privatkrieg gegen seinen eigentlich innerparteilichen Verbündeten Laschet ist ein offenes Geheimnis – selbst Verbände, die ihm immer nahestanden, wie die Mittelstandsunion, brechen mit ihm. Und das obwohl er zuletzt nach Umfragen der beliebteste Politiker Deutschlands war. Er ritt auf der Welle der Burgfrieden-Mentalität dieses Landes. Entscheiden durfte er im Ernst zwar nie etwas, aber er war der Verkünder, der Mann in den Interviews, er präsentierte sich als Kämpfer und Macher, der ideale Schwiegerenkel. 

Doch jetzt ist alles anders, der Nebel hat sich gelegt. Die Bundesregierung ist unter Druck, das Impfversagen wurde in allen Medien bis zum Spiegel vernichtend kritisiert, der Wille nach Lockerungen ist zu groß, das Land hat genug. Und die Mannschaft, die das Desaster zu verantworten hat, sitzt in der Klemme. Markus Söder hat sich immer zum obersten Verschärfer aufgespielt – und wird die Rolle nun nicht mehr los. Seine Umfragewerte stürzen schneller, als man schauen kann. Was also tun? Diejenigen Ministerpräsidenten und die Kanzlerin, die das alles vergeigt haben – wo auf Gottes grüner Erde gibt es einen Ausweg für sie?

Natürlich: Bauern opfern, mit aller nötigen Brutalität. Erst war es Peter Altmaier, der die Corona-Hilfen nicht ausgezahlt bekommen hat. Natürlich hat Altmaier versagt, aber wer Altmaier die Corona-Hilfen anvertraut, der ist der eigentliche Versager. Wer einen Schiffsschaukelbremser einen Jumbo-Jet landen lassen will, muss sich schließlich nicht wundern, wenn es eine Bruchlandung wird. Und jetzt ist es eben Jens Spahn. Erst seine Schnelltest-Kampagne, die er ganz schnell zurücknehmen musste, weil Merkel nicht einverstanden war. Dann das geleakte Treffen mit Parteispendern, bei dem Spahn zum potentiellen Superspreader wurde.

Beim Corona-Gipfel jetzt steckt alles fest: Man will nicht lockern, muss aber. Schließlich will man lockern, kann aber nicht. Am Ende scheitern Öffnungen nur daran, dass wir keine Schnelltests haben. Klar, Söder & Co. soll keine Schuld treffen – sondern allein Jens Spahn. Natürlich ist der auch schuld – aber weder als einziger noch unbedingt in erster Linie. Der nächste Streich wird übrigens schon vorbereitet: Spahn und Scheuer sollen die Testlogistik jetzt retten. Was kann da schon schief gehen? 

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Der einstige Überflieger wird auf öffentlichem Platze zur Schau gestellt, eine politische Hinrichtung. Doch unter den Versagern war Spahn der harmloseste, und unter den Blinden der einäugige Prinz. Als er im Sommer sagte, nach heutigem Wissen würden wir die Friseure nicht mehr schließen, hatte er recht – und hätte er irgendetwas zu melden gehabt, wäre es womöglich auch so gekommen. Unter den Karrieristen ist er einer der Schlausten, und aus opportunistischer Perspektive war der zweite Lockdown Harakiri. Für den kurzen Moment konnte man vielleicht seine Beliebtheitswerte nach oben treiben, auf lange Sicht aber wird man das Land gegen sich aufbringen und seine politische Zukunft verspielen. 

Jens Spahn war schlauer als die anderen, aber er hielt sich für etwas zu schlau. Und keine Figur ist ein so idealer Sündenbock, wie der überambitionierte, rücksichtslose Griesgram – außer vielleicht Peter Altmaier, wie gesagt.

Die Galionsfigur läuft stets zuerst gegen den Eisberg. Er hat es verdient, aber man sollte sich nicht ablenken lassen. Die wahren Verantwortlichen heißen Merkel & Friends, Söder, Söder und Söder. 

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