Tichys Einblick
Solidarität mit Deutschland?

„Europäische Solidarität” fordern und „Solidarität mit Deutschland” meinen

Es ist in Deutschland Mode geworden, „europäische Solidarität” zu fordern. Gemeint ist meistens „Solidarität mit Deutschland” – andere sollen die Suppe auslöffeln, die das Land sich einbrockt.

IMAGO / photothek

Deutschlands Politiker sehen sich gerne als verantwortungsbewusste Architekten des gemeinsamen europäischen Hauses. Sie sind sich ihres Gewichts im europäischen Kräftegefüge bewusst, glauben aber von sich selbst, dass die die Interessen anderer Mitgliedsstaaten immer „mitdenken” und Lösungen anstreben, die für alle vorteilhaft sind.

Natürlich stimmt das nicht, kann auch gar nicht stimmen – in der Politik werden Interessen anderer Akteure zwar immer mitgedacht, aber eigentlich nur, um in Anbetracht dessen die eigenen Interessen besser durchsetzen zu können.
Solange sich alle dabei vernünftig verhalten, und kein Akteur übermächtig wird, kann das gut funktionieren. Schwierig wird es, wenn ein relevanter Akteur unvernünftige Entscheidungen trifft, die dann zu massiven Problemen führen – und diese Probleme dann auf die anderen Mitgliedsstaaten abwälzen will.

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Griechenland ist ein gutes Beispiel. Dort nutzten die politischen Eliten die EU-Mitgliedschaft und die damit verbundene verbesserte Bonität auf den Finanzmärkten, um innenpolitisch teure Klientelpolitik zu betreiben, finanziert über Kredite, die man auf Dauer nicht selbst zurückzahlen konnte. „Die EU wird schon einspringen”, dachte man sich. Das Ergebnis war die Finanzkrise von 2009.

In Deutschland blickte man auf die Griechen herab und schimpfte, dass man nun als „Zahlmeister Europas” den „faulen” Griechen beispringen müsse. Aber in manchen Bereichen hat sich Deutschland in den letzten Jahren ganz ähnlich verhalten wie Griechenland: Politische Fehler, massive Folgeprobleme, und dann der Versuch, einen Teil des Problems auf die anderen Mitgliedsländer abzuwälzen.

In der Migrationskrise 2015/16 wirkten die Worte und Handlungen der deutschen Regierung wie ein Brandbeschleuniger – ohne Absprache mit den EU-Partnern wurden die Grenzen geöffnet, und Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete: „Wir schaffen das”. Dann war man aber doch sehr rasch an den Grenzen dessen angelangt, was „geschafft” werden konnte, und hatte eine Idee: Sollen doch alle anderen EU-Länder verpflichtet werden, gemäß einer „Quote” dauerhaft Flüchtlinge aufzunehmen. „Europäische Solidarität” nannte man das. Aber was man eigentlich wollte, war Solidarität mit Deutschland.

Es scheiterte letztlich am aktiven Widerstand des ostmitteleuropäischen Visegrád-Blocks, und auch am passiven Widerstand vieler anderer Mitgliedsstaaten. Der deutsche Reflex aber war unmissverständlich sichtbar gewesen: Es war ein Versuch, Deutschlands Macht in der EU zu missbrauchen, um ein teilweise selbstgemachtes Problem auf die anderen abzuwälzen.

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In der aktuellen Energiekrise werden in Deutschland Stimmen laut, die ganz ähnliches fordern. Das Problem hoher Energiepreise und knapper Ressourcen ist natürlich eine Folge des Krieges in der Ukraine, aber nicht nur: Deutschlands „Energiewende” hatte das Land abhängiger gemacht von Russland (weil man ohne Krenkraft auskommen wollte, also mehr russisches Gas brauchte). Die fortwährende Weigerung, an eine Wiederbelebung der Atomkraft als Element der Energiepolitik auch nur zu denken, verschärft nun die Misere. Man will ein Gasembargo gegen Russland (aber wenn Russland von sich aus weniger Gas schickt, ist das ganz schlimm), ohne vorher die Auswirkungen einer solchen Entscheidung zu studieren. Das Ergebnis bislang: Mehr Geld für Putins Krieg über gestiegene Preise, aber hohe Inflation und weniger Energie für deutsche Bürger und Unternehmen.

Wie löst man das Problem? Weniger heizen, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck. Von der CDU in Deutschland und vom deutschen EVP-Chef Manfred Weber wird nun eine „Europäische Gas-Solidarität” ins Spiel gebracht. Mitgliedsländer sollen nicht selbst über ihre nationalen Gasreserven verfügen dürfen, sondern alles Gas, welches die EU erreicht, soll über einen Verteilungsmechnanismus „gerecht” verteilt werden.

Da scheint es niemanden zu stören, dass es sich im Falle Ungarns um das so verpönte russische Gas handeln würde, welches Ungarn günstig und bislang verlässlich und in vollem Umfang geliefert bekommt. Wie auch Serbien. Ungarns Gasspeicher sind relativ gut gefüllt (derzeit 23% des Jahresbedarfs) und werden weiter aufgestockt. Belgrad und Budapest haben mittlerweile vereinbart, dass Serbien ungarische Speicher nutzen kann, um Gasreserven für den Winter aufzubauen. Und dass man sich im Bedarfsfall gegenseitig aushilft.

So sieht echte Solidarität aus: Man bespricht es freundlich und beschließt es. Ein politisches Tauziehen in der EU, um Mitgliedsländer wie Ungarn dazu zu zwingen, etwas zu tun, was für Mitgliedsländer wie Deutschland gut ist, ist keine Solidarität und wird nicht funktionieren. Vor dem Hintergrund blockierter Covid-Fonds für Ungarn und Polen und Artikel 7-Verfahren gegen beide Länder darf man von ihnen nicht allzuviel Entgegenkommen erwarten.

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