Tichys Einblick
Söder, Corona und Co

Wider die Legendenbildung

In Berlin lösen sich in diesen Nachwahltagen die Legenden auf. Karl Lauterbach versucht währenddessen, eine neue zu stricken, um seine maskenlosen Fraktionskollegen reinzuwaschen. Und Markus Söder führt zugleich eine bayrische Komödie namens "Konservativ" auf.

IMAGO/Political Moments
Die schlimmste Legende krachte vorgestern zusammen. Zu verdanken haben wir es der neuen SPD-Fraktion. Allein für dieses historische Foto hat es sich gelohnt, dass „der Armin und ich“, also CDU und CSU, eine donnernde Niederlage erlitten haben und die Genossen in Bataillonsstärke in den Bundestag eingezogen sind: 206 Abgeordnete präsentieren sich der staunenden Öffentlichkeit auf einem riesigen Foto „oben ohne“, strahlend, lachend … und der Zukunft zugewandt.

Apropos Zukunft: Laschets Zukunftsteam ist bereits Vergangenheit. Ende Legende! Über Deutschlands Zukunft verhandeln jetzt taufrische Innovationskräfte wie Bouffier, Strobl und Haseloff — fehlt nur noch Schäuble. Oder Schwergewichte à la Silvia Breher und Julia Klöckner. Merz, Linnemann — wer war das nochmal? Legenden …

Zurück zum legendären SPD-Foto: Allein der Abgeordnete Lauterbach aus dem Wahlkreis 101 war maskiert. Der kann wohl nicht mehr ohne den legendären Lappen. Alle anderen signalisierten überdeutlich, dass „die Pandemie“ zu Ende ist. Aus und vorbei. Unter Masken werden nur noch Schüler gezwungen, das dumme Volk, die Ewiggestrigen, die Impfverweigerer und „Corona-Leugner”.

Wir in unserem geistigen Wandlitz, so signalisiert das Befreiungs-Foto, wir scheren uns nicht mehr um die Regeln, die wir uns für andere erdachten. Wir sind nicht das Volk, schon gar nicht ein Volk. Wir sind wir, die neuen Herrscher. Herrschende Heuchler! Und der Karl aus Wahlkreis 101 erklärte das bei BILD TV so: Man habe ja „nur für den Moment der Aufnahme die Maske abgenommen“.

Der „Moment“ dauerte exakt zwölf Minuten, um die Legendenbildung gleich im Keim zu ersticken. Jetzt droht wohl ein Massensterben der neuen Massenfraktion. Zumindest aber bis zu eine Million Euro Bußgeld. Denn die Ex-Groko hat eine 5.000 Euro-Strafe für Maskenverweigerer im Bundestag beschlossen. Gemeint war natürlich die blaue Schwefelpartei. Jetzt sind die Roten dran. Tja, Hochmut kommt vor dem Fall.

Auch die Legende, dass noch mehr Hochmut nicht geht, wurde zerstört. Es geht immer noch ein Schüppchen drauf, würde Armins Vater, der legendäre Kumpel unter Tage sagen. Das schaffte der Generalsekretär der CSU, der dann auch die prompte Antwort der FDP-Politikerin mit den unaussprechlichen vier Namen bekam. Der große Staatsmann aus der fränkischen Provinz sei leider unabkömmlich für solche Nichtigkeiten wie Koalitions-Sondierungen, hatte er verlautbart.

Danke, liebe Frau Marie-Agnes Strack-Zimmermann für diesen Söder-Entzauberungs-Tweet. Sie haben ja so recht: „Lieber Markus Blume, das Zauberwort gerade für Sie heißt aktuell Demut. Sie brauchen uns, nicht wir Sie. Sticheleien angesichts Ihrer Partei, die den Geburtstag von Edmund Stoiber und CSU-Meetings der Regierungsbildung vorzieht, sind fehl am Platze. Verantwortung ist gefragt.“

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Wobei wir bei der nächsten Legende wären, an der eifrig gestrickt wird. Trump ist nichts dagegen. Sein „America First“ war billiger Abklatsch des bayerischen Originals. Spätestens seit Strauß ist das alpenländische Credo: Bayern zuerst. Dazu bringt Söder nun den Politologen Ulrich Sieberer (Universität Bamberg) bei ntv in Stellung, den er, so nehme ich mal an, verlautbaren lässt: „Söder hat andere Prioritäten, und die liegen in Bayern.“ Während man in Berlin sondiere, „blicken alle Augen in der CSU bereits auf die bayerische Landtagswahl 2023“.

Laut Sieberer „schrillen in München die Alarmglocken“. Klar! Söders Pleitewelle ist unübersehbar. Die Bilanz der Landtagswahl 2018 und nun der Bundestagswahl: eine einzige Katastrophe. Da passt kein Techtelmechtel mit den Grünen, denen er noch Stunden vor der Wahl in den Allerwertesten gekrochen war. Jetzt kommt wieder die Komödie „Konservativ“ zur Aufführung.

Es ist jedoch keine Legende, sondern der feine Unterschied: Leute wie Strauß brachten trotz Landesstolz à la „Bavaria First“ meist die besten Leute im Bund in Stellung. Doch Söder hinterlässt verbrannte Erde. Sein Hass gegen Laschet wird zur Legende des Unions-Untergangs. Der Verfall war programmiert: Statt einstiger CSU-Schwergewichte wie Theo Waigel, Wolfgang Bötsch, Franz Josef Strauß und Co schickte Söder die Doro und den Andy nach Berlin. Und nicht zu vergessen: den Horst, den Heimatminister für unkontrollierte Einwanderung.

Mit die schwächsten Minister der vergangenen Koalition kamen von der CSU. Und sie alle bekamen ihr Fett weg vom Wähler. Von wegen starke CSU mit sämtlichen verfügbaren Direktmandaten. Ende Legende! Die Wahrheit: Die Doro (Bär) erlitt eine knallende Klatsche in ihrem Wahlkreis Bad Kissingen, exakt minus 12 Prozentpunkte bei den Erststimmen. Der Andy (Scheuer) stand ihr in Passau in nichts nach, im Gegenteil: ein Minus von 16,8 Prozentpunkten. Sechzehn Komma Acht. So viel zur Legende, Söders Personal sei der Retter der Union. Der Imageverlust der Union (Forschungsgruppe Wahlen) lässt sich an diesen beiden Koryphäen geradezu personalisieren.

Und das beendet gleich die nächste Legende: Mit Söder wäre alles anders, sprich: besser, geworden. Leider ist auch der geschätzte Hesse Hans-Jürgen Irmer (CDU) diesem täglich via Umfragen befeuerten Missverständnis aufgesessen. Er meint im TE-Interview sogar jetzt noch, der Retter käme aus Franken. Ausgerechnet der standhafte Irmer, der wie kaum einer glasklar für „CK“ steht: für das Christliche und das Konservative in der Union.

Wie will er denn vor seinen Wetzlarer Wählern erklären, dass gerade jener Söder noch kurz vor Toresschluss als Protestant die katholische Kirche zur Segnung der „Ehe für alle“ aufgefordert hat. Um nur ein Beispiel der Anbiederung an die Grünen zu nennen, von Klima und Corona ganz zu schweigen. Vom Kreuz-Aufhängen zur Regenbogen-Maske war nur ein kurzer Weg. Man muss halt flexibel sein.

Nein, die erfolgte Quittung ist das Ende der Legende, der konservative „Berliner Kreis“ hätte je etwas zu melden gehabt in der Union. Neben Irmer sind auch fast alle anderen „Berliner“ mit der jetzigen Wahl von der Bildfläche verschwunden. Man kann sich jetzt in einer Telefonzelle treffen. Das Konservativ-Christliche hat bei CDU und CSU keine Konjunktur mehr. Die Wahl hat auch dieser Legende ein Ende gesetzt. Und was die deutsche Demokratie angeht: leider Legende. Meine Stimme im Berliner Wahlbezirk Wilmersdorf, kurz nach acht Uhr im Wahllokal 610 eingeworfen, wurde laut offizieller Verlautbarung nur „geschätzt“. Das programmierte Chaos! Ich verlange Wahlwiederholung.