Tichys Einblick
Leben während des ewigen Tanzverbots

„Single-Shopping“: Wenn im Lockdown ein Supermarkt zum Kennenlernpunkt wird

Ein Supermarkt in Bayern bietet ein Dating-Programm für alle Einkäufer an. Die Idee ist gar nicht mal so absurd, bedenkt man, in was für Zeiten wir leben.

Seit einem Jahr sind die Tanzclubs nun schon zu. Auch Bars, Restaurants und Cafés sind seit Ewigkeiten im Lockdown. Seit Beginn der Corona-Krise will uns die Regierung schlicht verbieten, neue Bekanntschaften zu machen. Wer während Corona Single ist, muss da wahrlich kreativ, ja geradezu zum Dissidenten werden. Schließlich ist man laut Michael Müller schon Mörder, wenn man zum Weihnachts-Shoppen geht. Nicht auszumalen, was er von Leuten hält, die sich ganz absichtlich treffen, um infektiösen Speichel auszutauschen!

Heft 03-2021
Tichys Einblick 03-2021: Es reicht.
Vielen braven Alleinlebenden ist das wahrscheinlich zu heikel. Ich habe schon mehrmals im Radio gehört, dass Tierheime seit Corona einen wahren Ansturm auf Hunde erleben. Man will sich gar nicht ausmalen, was manche Leute aus Einsamkeit im letzten Jahr für innige Beziehungen zu ihren Haustieren entwickelt haben. Doch nicht jeder gibt sich mit einem lebendigen Kuscheltier zufrieden. Die meisten jungen Leute flirten jetzt vermutlich digital – frei nach Frau Merkels Motto: „Wir alle müssen Wege finden, um Zuneigung […] zu zeigen: Skypen, Telefonate, Mails und vielleicht mal wieder Briefe schreiben.“ Dating-Apps wie Tinder haben einen enormen Zulauf im letzten Jahr gehabt. Das Prinzip: die App zeigt einem Fotos von angemeldeten Singles aus der Umgebung an. Mit einer Fingerbewegung kann man angeben, ob der/diejenige einem gefällt – und ist der/die andere ebenso interessiert, kann gechattet werden. Wer möchte, trifft sich dann zu einem „Tinder-Date“ – nicht selten kommt es aber spätestens dann zu bösen Überraschungen. Plötzlich steht da eine ganz andere Person, als man erwartet hatte. Ist ja auch klar: Wer würde schon in sein Dating-Profil schreiben „ich bin schüchtern, langweilig und habe Mundgeruch“? Wenn man Pech hat, steht man da mit einem Mann oder einer Frau, den/die man im Club nicht einmal in Erwägung gezogen hätte. 

Das Kennenlernen in der Realität ist da besser. Aber wo soll man sich noch kennenlernen, wenn sich unsere selbsternannten Erzieher Mutti Merkel und Papi Söder mit Ausgangssperren und Kontaktbeschränkungen alle Mühe geben, uns Hausarrest zu verdonnern? Nun, ein paar Möglichkeiten gibt es da ja schon noch: auf der Straße, beim Einkaufen, an der Tankstelle, beim Spazieren in Parks, in der Schlange bei Take-away-Ständen, in der Buchhandlung, am Flughafen, in Bus und Bahn, im Warteraum beim Arzt oder beim Bürgeramt, bei Gottesdiensten, beim Bäcker, in der Drogerie … Mit etwas Glück zieht auch ein neuer Nachbar ins Haus oder man lernt, wenn man auf sowas steht, jemanden auf einer Demo kennen.

„Na, also“, denkt jetzt wahrscheinlich der ein oder andere TE-Leser Ü60, „hab dich nicht so, Kleene. Gibt doch noch genug Orte“. Na, ham se ja recht. Aber ich glaube wir jungen Leute sind einfach nicht besonders geübt im Flirten bei Tageslicht. Ist mir jedenfalls bisher noch nicht so oft passiert, dass ich von einem Mann, der nicht Türke oder Araber war, an der Tankstelle angemacht wurde. Und wenn doch, fand ich’s ganz schön schwierig ihn mir ohne FFP2-Maske vorzustellen. Außerdem: lächeln Sie mal mit einem chirurgischen Mundschutz – ist alles tricky. 

Ja, ich weiß schon, was jetzt wieder kommt. Ich sollte lieber mal wieder ein dickes Buch lesen, mich meinem Studium widmen, eine politische Partei gründen … Ja, und danach? Ich weiß ja nicht, wofür Sie so arbeiten, aber ich ackere mich seit Jahren in einem Medizinstudium ab und arbeite nebenbei, damit ich heute und in Zukunft ein schönes Leben haben kann. Und dazu gehört auch ausgehen, Freunde treffen, in den Urlaub fahren – eben all das, was einem jetzt seit einem Jahr systematisch mies gemacht wird.  

Corona-Kollateralschaden?
Polizei entfremdet sich von der Bevölkerung
Ich war also recht neidisch, als ich gelesen habe, dass in Bayern alle Flirt-Willigen nun einen neuen Ort zum Kennenlernen in Lockdown-Zeiten haben. Ein Supermarktbesitzer aus der Stadt Volkach in Unterfranken hatte die geniale Idee, in seinem Edeka „Single-Shopping“ zu veranstalten. Jeden Freitag zwischen 18 und 20 Uhr können Kunden am Eingang ein Papierherz mit einer Nummer mitnehmen, sich an die Kleidung pinnen und damit ihr Interesse bekunden. Wer zwischen Gurken und Tomaten dann jemanden sieht, der einem gefällt, kann an der Kasse entweder die Nummer ausrufen lassen oder eine Karte mit einer Nachricht und der Handynummer hinterlassen. Ich weiß, das klingt jetzt ein bisschen so wie altbackenes Flirten aus der Vorkriegszeit, wo im Lokal jeder ein Telefon mit einer Nummer auf dem Tisch hatte und man die Herzdame so direkt anklingeln konnte. Aber ich sag mal so: wirklich anders als manche Mottopartys in Tanzclubs auf Malle ist das auch nicht. Meine Freundinnen und ich waren da auch schon mal in einem Laden, wo man sich am Eingang, je nach Beziehungsstatus, entweder einen roten, einen gelben oder einen grünen Kreis auf die Brust kleben sollte. War natürlich ein Gag – wer da rot genommen hat, war ja schön blöd. 

Die Edeka-Kunden, die sich in der Presse als Single-Shopper „geoutet“ und fotografieren lassen haben, sahen jedenfalls alle recht vergnügt aus. Tina und Mona sind im Studentenalter und haben sich frisiert und geschminkt. Leider verdecken ihre riesigen FFP2-Masken den Großteil ihres Gesichts – aber das muss man vielleicht wie eine Art Maskenball sehen. Daniel Cronau, Mitarbeiter bei Edeka und selbst Single-Shopper, guckt neugierig in die Kamera. Er wird nun bestimmt keine Corona-Depressionen mehr haben, wenn jeden Freitagabend die Bude voller junger Frauen ist. 

Derweil in Berlin hat mich ein junger Mann zugeparkt – als ich ihn verärgert anspreche, lässt er sich grinsend alle Zeit der Welt, um zum Wagen zurück zu gehen. Es gibt sie noch, die Kreativen … Denn Gefühle, Frau Merkel, können Sie uns nicht verbieten!

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