Tichys Einblick
Interview

Sicherheitsexperte Ralph D. Thiele: „Terroristen und islamistische Scharfmacher nicht hereinlassen“

Deutschlands Performance gegenüber Sicherheitsrisiken im Innern und Äußeren ist noch mangelhaft, sagt der Militär- und Sicherheitsexperte Ralph D. Thiele im Gespräch mit TE. Aber es gebe auch Gründe für Hoffnung.

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TE: Ich darf unser Gespräch wieder so anfangen wie einmal vor vier Jahren: Damals erinnerte ich daran, dass wir uns ausführlich über die Terrortruppen des IS unterhielten, die nach einem brutalen Vormarsch gerade große Geländegewinne gemacht und weite Teile Syriens und des Iraks unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Das war 2014. Sie sagten damals: »Hier kündigt sich – wie bei einem Krebsgeschwür – ein großangelegter Terrorexport in alle Welt an, der insbesondere in nichtstabilen Regionen entscheidende Impulse auslösen kann, dass dort Staatsgebilde zusammenbrechen.« Danach erlebten wir die Anschläge in Paris, in Nizza, dem IS wurde eine militärische Niederlage bereitet, es folgte der Lkw-Anschlag in Berlin, nicht gezählt all die vielen kleineren Anschläge, Messerattacken mit Toten in den Städten. Überraschend ist das alles nicht. Alles weitere Beispiele von Terrorexporten. Jetzt der für Terroristen wiederum sehr prestigeträchtige Anschlag von Wien.

Ralph Thiele: Der Krebs streut. Die bösartige Saat ist aufgegangen. Insbesondere junge Menschen sind anfällig für islamistische Indoktrination. Die Täter kommen heute von innen und außen und beflügeln zudem auch noch den Terrorismus der Rechtsextremen.

Wien lohnt für Terroristen, die Stadt ist ein Zentrum in Europa mit vielen internationalen Behörden, entsprechende hohe Aufmerksamkeit ist garantiert. Vor 45 Jahren überfielen Terroristen die Konferenz der OPEC, damals noch mit deutscher Beteiligung.

Wien ist mit seinem multikulturellen Zuschnitt und mit seinen traditionellen engen Verbindungen in den Nahen Osten leider eine gefährdete Stadt. Zugleich zeigt Wien bislang eine beeindruckende Resilienz gegenüber terroristischen Gefährdungen. Dies gibt Zuversicht, dass auch diese schreckliche Bluttat gemeistert werden kann, ohne das gesellschaftliche Leben dort und in anderen Teilen Österreichs dauerhaft zu beschädigen.

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Zu Ihrem Nachsatz: Im übertragenen Sinn ist Deutschland immer dabei. Sollten im Kaiserreich noch von Deutschland finanzierte islamistische Fundamentalisten das kommunistische Russland erschüttern, so hat sich Deutschland später zum Ruheraum für islamistische Fundamentalisten und Terroristen entwickelt. Im November 2001 fragte mich in Washington ein afghanischer Taxifahrer, warum wir Deutschen die Terroristen lieben. Bizarr oder? Mit der Willkommenskultur des ungeregelten Zuzugs von Flüchtlingen, Wirtschaftsmigranten mit etlichen Kriminellen, Terroristen und deren Sympathisanten im Schlepptau, wurden die Bestände an problematischen Gästen erheblich vergrößert. Das verprellt viele von denen, die unseren demokratischen Rechtsstaat tragen und vertreten. Dies beflügelt zugleich Außenseiter unserer Rechtsordnung, die sich nun aufgerufen fühlen, aktiver zu werden. Kommen Stressphasen wie die Corona-Pandemie hinzu, mag man sich fragen, wann das Stabilitätslimit unseres demokratischen Staatswesens erreicht ist.

Haben Sie auch die Nase voll von abgeschnittenen Köpfen, erschossenen friedlichen Bürgern und Lkw-Terroranschlägen in den Straßen europäischer Städte?

Jedes Opfer von Terror ist eines zu viel. Mein viel zu früh verstorbener Freund Laurent Murawiec hat in seinem Buch „The Mind of Jihad“ darauf hingewiesen, dass sich hinter dem islamischen Fundamentalismus eine entsetzliche Blutspur herzieht, in der sich dessen Anhänger auch noch genussvoll suhlen. Dieser Terror gehört unerbittlich verfolgt. Dies gilt nicht nur für die Akteure, sondern auch für  dessen Unterstützer und Profiteure. Wir dürfen Terroristen und islamistische Scharfmacher nicht in unsere Staaten hereinlassen. Damit ich an dieser Stelle nicht missverstanden werde: Diese Aussage richtet sich nicht gegen den Islam, sondern vielmehr gegen Menschen, die den Islam terroristisch missbrauchen. Die Terroristen, Unterstützer des Terrorismus und fundamentalistischen Scharfmacher, die den Weg herein gefunden haben, sollten schleunigst hinausbegleitet werden. Unsere Bürgerinnen und Bürger haben deren Gesellschaft nicht verdient. Und sollte dies unser Rechtssystem bislang nicht zulassen, muss man Terroranschläge wie in Nizza und Wien als Aufforderung verstehen, die Rechtsgrundlagen entsprechend zu adaptieren. Zugleich müssen wir unsere eigenen Instrumente für den Umgang mit Terrorismus verbessern. Das Spektrum erstreckt sich von der Dokumentation, der Datenerfassung über soziale Programme zur Prävention bis hin zum Zugriff und zur Bekämpfung des Terrorismus an seinen Quellen.

Wer sind die Hintermänner?

Das ist eine komplexe Frage. Das Beispiel Deutschlands aus dem Ersten Weltkrieg zeigt, dass auch christliche Staaten Interesse an islamistischen Fundamentalisten haben können, ebenso Organisiertes Verbrechen sowie wirtschaftliche und machtpolitische Akteure. An der Spitze staatlicher Sponsoren von Terrorismus stehen Staaten wie der Iran, der Sudan und Syrien. Auch Norkorea, China und Russland haben ihre Hände im Spiel. Die Türkei hat ganz offensichtlich nach dem Motto ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund‘ ISIS Terroristen unterstützt, die übelste Grausamkeiten an irakischen Jesiden begangen haben. Selbst die USA haben einzelne ISIS Gruppierungen in syrische Freiheitskämpfer umdeklariert, ausgebildet und ausgerüstet. Stände er nicht auf der falschen Seite, man könnte Putin dankbar sein, dass er mit seinem kompromisslosen Eingreifen dem ISIS-Spuk in Syrien ein vorläufiges Ende bereitet hat. Natürlich gibt es auch andere Hintermänner. Terroristen sichern sich finanzielle Mittel durch Erpressung, Geiselnahme, Schmuggel, illegale Geschäfte etc. Damit arbeiten sie Hand in Hand mit Organisiertem Verbrechen und deren gut-bürgerlichen Repräsentanten in den finanziellen Metropolen dieser Welt. Darüber hinaus sind es auch ordinäre Menschen verschiedenster Couleur, die Terrorismus unterstützen – frustrierte, enttäuschte, leichtgläubige, fehlgeleitete Frauen, Männer und sogar Kinder.

Sehen Sie eine ausgefeilte Strategie hinter den Anschlägen oder sind das eher zufällige Aktionen einzelner Terroristen? Ist das ein Angriff auf unsere Gesellschaft?

Es gibt strategische Überlegungen. Ganz grundsätzlich liefert der Politische Islam ideologische Grundlagen und Blaupausen für die weitere Ausbreitung. Und es gibt eine tendenziell wachsende Zahl dezentral geplanter, durchaus auch gewollt unkoordinierter Ausführungen terroristischer Gewalttaten. Das Ziel ist ein Hochschaukeln der Gewalt, die Erschütterung unserer Gesellschaften, damit in der Folge die Zahl gewaltbereiter Anhänger wächst. Diese Bedrohung müssen wir ernst nehmen.

Wer ist der neue Feind?

Expansionismus der Türkei
Merkels Appeasement gegenüber Erdogan
Der neue Feind zeigt sich nur ungern. Er liebt es, aus der Deckung anzugreifen und dabei wenig Spuren zu hinterlassen. Der neue Feind zielt auf die Stabilität von Gesellschaften und macht sie mürbe, bevor er den Angegriffenen im Handstreich übernimmt. Der neue Feind ist Technologie-affin, denn neue Technologien wie Drohnen und künstliche Intelligenz erhöhen seine Effektivität in Grauzonen und an Schnittstellen von Verantwortung. Der neue Feind ist vor allem der Politische Islam. In den letzten Jahrzehnten hat keine andere ideologische Bewegung weltweit soviel Gewalt, Zerstörung und Destabilisierung hervorgebracht wie der Politische Islam. Terrorismus ist sein hässlichstes Kind. Der neue Feind kann auch ein politischer Wettbewerber, ein Wirtschaftsriese, ein Underdog sein, der Terroristen im Kontext einer hybriden Strategie als Stellvertreter nutzt. Hybride Bedrohungen werden in den kommenden Jahren, vielleicht Jahrzehnten absehbar die größte Gefährdung für unsere Stabilität darstellen.

Sind die deutschen Sicherheitsbehörden gerüstet? Spätestens nach dem islamistischen Anschlag in Berlin am Breitscheidplatz darf man daran erheblich zweifeln.

Es gibt Fortschritte. Dennoch überholt die Dynamik aus Terrorismus, Migration und Technologieentwicklung zielführende Verbesserungen in der Aufstellung der Sicherheitsbehörden. Diese müssen sich strukturell auf die terroristischen und weiteren hybriden Bedrohungen einstellen. Hierzu brauchen sie eine verbesserte Zusammenarbeit von Bund und Ländern, aber auch in der ressortübergreifenden und multinationalen Zusammenarbeit. Datenschutz darf nicht Terroristen schützen, sondern muss deren effektive Verfolgung zulassen. Big Data und künstliche Intelligenz können die Arbeit von Sicherheitsorganen dramatisch verbessern. Hier muss sich dringend etwas tun.

Holger Douglas: Sind wir eine wehrlose Gesellschaft? Auf einem Video aus Wien sieht man, wie ein Mann ungläubig auf der Straße stehenbleibt, anstatt wegzurennen oder Deckung zu suchen. Haben wir verlernt, mit Bedrohungen umzugehen, ja sie überhaupt Ernst zu nehmen? Nach dem Zusammenbruch des Ostens, dem scheinbaren Verschwinden einer militärischen Bedrohung bemerkten wir einen trunkenen Siegestaumel, die Wehrpflicht wurde abgeschafft. Hatte Francis Fukuyama Recht mit seinem »Ende der Geschichte«, dass nach dem offensichtlichen Verschwinden totalitärer Systeme »alles gut« ist und wir dem »ewigen Frieden« nahe sind?

Ralph Thiele: Francis Fukuyama hat längst widerrufen. Die Welt hat nach dem Ende des Kalten Krieges die Chance für mehr Kooperation nicht genutzt und setzt heute wieder auf das sogenannte Nullsummenspiel: Dein Verlust ist mein Gewinn.
Entsprechend nehmen Gewalt und Gewaltbereitschaft weiter zu. Wer sich nicht selbst schützen kann, wird Nachteile erleiden. Deutschland erkennt dies zaghaft und beginnt eine Umsteuerung, die aber längst noch nicht die erforderliche Dynamik hat, die man zu einer nachhaltigen Begegnung der Sicherheitsrisiken im Innern und Äußeren braucht. Dabei sollte man nicht übersehen, dass diese mangelhafte „Performance“ auch die Wirkmöglichkeiten im Kontext von NATO und Europäischer Union begrenzt, denn Deutschland ist nun einmal ein wirtschaftlich und politisch prinzipiell bedeutender Akteur.

In Wien gab es nicht nur die wehrlose Zivilbevölkerung, sondern auch mutige Zivilisten. Es macht Zuversicht, dass mit den jungen jungen Austro-Türken Recep Tayyip Gültekin und Mikail Özen zwei Muslime Mut und Anteilnahme bewiesen haben, indem sie einen vom Attentäter angeschossenen Polizisten gerettet und auch einer älteren Frau geholfen haben, sich in Sicherheit zu bringen. „Wir stehen zu Österreich, wir stehen für Wien, wir respektieren Österreich“ sagte Özen noch am Abend des Attentats. Es sind eben nicht die Muslime, vor denen wir Sorge haben müssen. Es ist der islamische Fundamentalismus, der die Mordlust weckt. Und es sind die Hintermänner, die diese Mordlust befeuern. Ihnen müssen wir uns vor allem zuwenden.


Ralph Thiele, Oberst a.D., ist Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft und Geschäftsführer von StratByrd Consulting.

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