Tichys Einblick
MASSNAHMEN GEGEN islamische Extremisten

Seehofer richtet „Expertenkreis politischer Islamismus“ ein

Deutschland hat nun einen Expertenkreis gegen Islamismus. Die renommierte Islam-Expertin Susanne Schröter meint, dies sei dringend notwendig – genau wie auch eine Dokumentationsstelle als nächsten Schritt. Gleichzeitig kritisiert sie, dass Islamisten in andere Expertenkreise berufen werden.

IMAGO / photothek

Wenige Wochen vor dem mutmaßlich islamistisch und frauenfeindlich motivierten Attentat in Würzburg wurde vom Bundesinnenministerium (BMI) und dessen leitendem Minister Horst Seehofer (CSU) der „Expertenkreis zu politischem Islamismus“ berufen, der am 15. Juni 2021 zum ersten Mal zusammengetreten ist. Im Auftrag des Ministeriums soll der Expertenkreis Handlungsempfehlungen für den Umgang mit islamistischen Gruppierungen und Ideologien erarbeiten. Damit soll er der Prävention beim Kampf gegen Extremismus und Terrorismus dienen. Er besteht aus zehn eingesetzten Experten, darunter befinden sich die Ethnologin Susanne Schröter, der Islamwissenschaftler Mouhanad Korchide und der Migrationsforscher Ruud Koopmans. Die Idee geht auf ein Positionspapier von Unionspolitikern zurück, die jedoch auch eine Dokumentationsstelle forderten. Auch gibt es den Widerspruch, dass ein Expertenkreis gegen Islamismus gegründet wird, jedoch ein anderer vom BMI einberufener Expertenkreis mit Islamisten besetzt ist. TE sprach darüber mit der renommierten Islam-Expertin Susanne Schröter.

Expertenkreis geht auf Positionspapier zurück

Die Einrichtung eines „Expertenkreises zu politischen Islamismus“ geht auf das „Positionspapier zum Politischen Islamismus“ der Unionspolitiker der „Arbeitsgruppe Innen und Heimat“ zurück. Hinter dem Positionspapier und den darin geforderten Maßnahmen steckt federführend der Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries (CDU). Seit Jahren – bereits vor seinem Einzug in den Bundestag 2017 – widmet sich de Vries unermüdlich dem Kampf gegen den politischen Islam. So setzte er sich für den Stopp staatlicher Mittel an DITIB sowie ein Betätigungsverbot gegen Hisbollah-Vereine ein: Die „Türkisch Islamische Anstalt für Religion“ (DITIB) ist die Auslandsabteilung der türkischen Religionsbehörde Diyanet, die unmittelbar dem türkischen Präsidenten untersteht. Die Hisbollah ist eine islamistische, antisemitische Partei im Libanon, deren militärischer Arm als Terrororganisation gilt. Ihr politischer Arm aus Vereinen und Moscheen war bis April 2020 noch nicht in Deutschland verboten. Nun wurde mit dem neuen Expertenkreis eine Forderung umgesetzt. Seehofer hatte tatsächlich das Thema zur Chefsache gemacht. Jährlich soll der Expertenkreis einen Bericht mit Empfehlungen vorlegen und für eine Sensibilisierung der Verantwortlichen in Bundesregierung, Landesregierungen und Parlamenten sorgen.

Fokus auf legalistischen Islamismus

In einer Pressemitteilung sagt Christoph de Vries über die Einrichtung des Expertenkreises: „Das ist insofern wichtig, als dass der Fokus der Politik bisher mehr auf islamistischem Terrorismus und Gefährdern lag, während das ideologische Fundament nicht nur weitgehend unbeachtet blieb, sondern islamistische Organisationen sogar Partner des Staates waren und sind.“ Der Fokus soll also besonders auf den sogenannten „legalistischen Islamismus“ liegen, der sich im rechtsstaatlichen Rahmen bewegt. Im neuem Bundesverfassungsschutzbericht 2020 heißt es, legalistische Islamisten „verfolgen ihre jeweiligen Ziele – in der Regel eine langfristige Veränderung des in Deutschlands auf der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beruhenden gesellschaftlichen und politischen Systems – auf Grundlage der hiesigen Gesetze.“ Der Verfassungsschutz zählt beispielsweise zu legalistischen Islamisten: Die Muslimbruderschaft (MB) und ihr nahestehende Organisationen wie die „Deutsche Muslimische Gemeinschaft“ (DMG), schiitische Vereine wie das „Islamische Zentrum Hamburg“ (IZH), unterschiedliche Gruppen der „Millî Görüş“-Bewegung sowie die türkisch-islamistische „Furkan Gemeinschaft“.

Im Sommer letzten Jahres warnten Verfassungsschützer vor der Gefahr des legalistischen Islamismus, indem sie diese Form als die langfristig größere Gefahr halten würden. Dadurch, dass diese sich in die Gesellschaft und Politik einschleichen und jene zu beeinflussen versuchen, könnte langfristig die Demokratie beschädigt werden. Die Tragweite des legalistischen Islamismus war besonders im Jahr 2020 deutlich zu spüren: Als beispielsweise eine mutmaßliche Islamistin kurzzeitig Beraterin im Auswärtigen Amt wurde, im Zuge der NRW-Kommunalwahlen eine große Anzahl an systematischen Unterwanderungen von Parteien publik wurde oder als TE als erstes Medium darüber berichtete, dass sich mutmaßliche Islamisten in dem „Expertenkreis gegen Muslimfeindlichkeit“ des Bundesministeriums und in dem „Expertengremium Antimuslimischer Rassismus“ des Berliner Senats befinden.

Einen Expertenkreis gegen Islamismus – einen Expertenkreis mit Islamisten?

Vor diesem Hintergrund ist eine Widersprüchlichkeit groß. Denn das Bundesinnenministerium gründet einen Expertenkreis, um gegen den Islamismus anzukämpfen, doch gleichzeitig verfügt das Ministerium über einen anderen Expertenkreis, in welchem Islamisten sitzen. Auch entstand die Idee und wurde die Debatte gelenkt für einen Expertenkreis gegen Muslimfeindlichkeit und „Antimuslimischer Rassismus“ von islamistischen Akteuren, worüber TE bereits berichtete. Zudem sitzen in dem „Unabhängigen Expertenkreis gegen Muslimfeindlichkeit“ (UEM) des BMI einige kritisch zu betrachtende Wissenschaftler wie zum Beispiel Yasmin Shooman, worüber TE ebenfalls berichtete. Einerseits arbeitet Shooman mit islamistischen Gruppen und Akteuren zusammen und sympathisiert mit propagierten Ansichten von legalistischen Islamisten; andererseits stuft Shooman Islamkritiker – also solche die im „Expertenkreis politischer Islamismus“ vertreten sind – per se als „rechtspopulistische Akteure“ ein. Dies wirkt wie ein Stolperstein im Kampf gegen den Islamismus.

Ein Gespräch mit der Islam-Expertin Susanne Schröter

Die renommierte Islam-Expertin Prof. Susanne Schröter, die in dem neuen Expertenkreis politischer Islamismus vertreten ist, leitet als Direktorin das Forschungszentrum Globaler Islam (FFGI) in Frankfurt. TE sprach mit der Ethnologin über die Gründung des neuen Expertenkreises.

TE: Frau Prof. Schröter, wie wichtig ist der neue Expertenkreis besonders vor dem Hintergrund des letzten mutmaßlich islamistischen Attentats in Würzburg?

Prof. Susanne Schröter: Das Attentat von Würzburg zeigt deutlich, dass die Gefahr, die von Islamisten für unsere Gesellschaft ausgeht, trotz vielfältiger Präventionsmaßnahmen nicht gebannt ist. Auch die Sicherheitsbehörden verweisen auf eine nach wie vor hohe Anzahl gewaltbereiter islamischer Extremisten. Es tut also dringend Not, die Prämissen zu überprüfen, die den Präventionsmaßnahmen zugrunde liegen. Die Einrichtung des Expertenkreises ist absolut notwendig und war eigentlich längst überfällig. Ihm fällt jetzt die Aufgabe zu, das Problem sachlich und in seinem weiteren Kontext zu erörtern. Wir müssen uns meiner Meinung nach fragen, welche Rolle die islamistische Ideologie, abgeschottete muslimische Communities oder auch Fehler bei der Einwanderungspolitik spielen.

In dem Positionspapier „Politischer Islamismus“ der Unionspolitiker war eine weitere geforderte Maßnahme auch eine „Dokumentationsstelle Politischer Islamismus“ wie sie bereits in Österreich eingeführt worden ist. Wie wichtig ist nun neben dem Expertenkreis auch eine Gründung einer solchen Dokumentationsstelle?

Das Wissen über den politischen Islam ist in unserer Gesellschaft wenig entwickelt. Im Forschungszentrum Globaler Islam, das ich seit 2014 leite, erhalten wir regelmäßig Anfragen von Lehrern, Politikern, Journalisten, aber auch von Entscheidern aus Behörden. Dabei geht es um konkrete Auskünfte zu islamistischen Organisationen, Personen oder Moscheegemeinschaften, um Konzepte zur Prävention und Deradikalisierung, um Evaluation und um vieles mehr. Ich selbst halte Vorträge bei unterschiedlichen Einrichtungen. Wir sehen einen riesigen Bedarf, können diesen aber mangels Personals nur unvollständig decken. Eine gut ausgestattet Dokumentationsstelle, die sich ausschließlich der Forschung zum politischen Islam und der Vermittlung dieses Wissens an die Gesellschaft befassen kann, ist dringend notwendig.

Was ist Ihre Meinung zu dem Fakt, dass in einem anderen vom BMI eingerichteten Expertenkreis Mitglieder einer mutmaßlich islamistischen Organisation sitzen sowie Wissenschaftler, die oft Islam-Experten und -Kritiker wie Sie als „Rechtspopulisten“ bezeichnen, mit Begriffen wie „Islamophobie“ hantieren und mit kritisch zu betrachtenden Personen wie Farid Hafez – der in Verbindung mit der islamistischen Muslimbruderschaft und dem türkischen Präsidenten Erdogan gebracht wird – zusammen arbeiten?

Ich kritisiere, dass Islamisten durch Berufungen in Expertenkreise – wie denjenigen gegen Muslimfeindlichkeit – gesellschaftlicher Einfluss gegeben wird. Damit macht man, um es salopp auszudrücken, den Bock zum Gärtner. Die Denunziation islamismuskritischer Stimme als islamophobisch, rassistisch oder sogar rechtsradikal sollte von der Politik entschieden zurückgewiesen werden. Es handelt sich dabei um eine orwellsche Sprachverdrehung, die vollkommen inakzeptabel ist.

Vielen Dank für das Gespräch!