Tichys Einblick
Vermessen und vergessen

Schäuble: „Geld ist nicht alles.“

Wie vermessen die Aussage Schäubles ist, wird deutlich, wenn man sich anschaut, wie hoch die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland ist. Im Vergleich mit den anderen 35 OECD-Ländern belegt Deutschland den zweiten Platz.

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Die Forderungen nach Steuersenkungen werden immer lauter. Trotz ausgeglichenem Bundeshaushalt und hohen Steuereinnahmen, lehnt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble eine Steuerreform ab. In einem Interview äußerte er sich nun zu dem Thema. So gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Das Bundesverfassungsgericht hat mal das Prinzip verfochten, mindestens 50 Prozent sollte jeder behalten dürfen. Juristisch finde ich das nicht zwingend.“ Die Leute sollten wissen, „dass Geld nicht alles ist und dass viel Geld zugleich viel Verantwortung bedeutet.“

Wie vermessen die Aussage Schäubles ist, wird deutlich, wenn man sich anschaut, wie hoch die Steuer- und Abgabenlast in Deutschland ist. Im Vergleich mit den anderen 35 OECD-Ländern belegt Deutschland den zweiten Platz. So bleiben einem Single ohne Kinder von 100 Euro Gehalt hierzulande gerade einmal 60. 40 Euro muss er an das Finanzamt und die Zweige der Sozialversicherung abführen. Rekord unter den wohlhabenden Ländern – nur in Belgien bleibt dem Angestellten noch weniger vom Lohn. Der aktuelle Bericht mit dem Namen „Taxing Wages 2017“ zeigt zudem auf, dass es sich bei Deutschland um das einzige aller OECD-Länder handelt, in dem die Steuer- und Abgabenlast im vergangenen Jahr sogar noch zugenommen hat. In allen anderen ist sie im selben Zeitraum gesunken. Nirgends wird der Bürger so gemolken wie hierzulande – und das, obwohl die Steuereinnahmen aufgrund der positiven Wirtschaftslage ohnehin „sprudeln“. Während der Bundesfinanzminister dem Bürger also empfiehlt, sich nicht allzu viel aus Geld zu machen, scheint man in der jetzigen Regierung doch ganz besonders viel Wert auf eben jenes Geld des Steuerzahlers zu legen.

Der Grund liegt auf der Hand: Verantwortlich für den deutschen Spitzenplatz ist gemäß der Studie vor allem unser Sozialsystem, respektive die hohen Beiträge für Kranken-, Renten, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Seit Jahren steigen die Sozialausgaben in Deutschland. Insgesamt wurden hierzulande im vergangenen Jahr 888,2 Milliarden Euro in sozialpolitische Zwecke gelenkt. Das waren 38,4 Milliarden Euro oder 4,5 Prozent mehr als im Jahr 2014. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre haben sich die Ausgaben damit sogar um insgesamt mehr als 100 Milliarden Euro erhöht. Der deutsche Sozialstaat entpuppt sich immer weiter als Raupe Nimmersatt. Eine Bürokratiekrake – geschaffen durch das politische Versprechen der „sozialen Gerechtigkeit“, das immer weitere „Ansprüche“ auf Seiten der Bevölkerung kreiert, denen die Politik im Kampf um Wählerstimmen nachgibt. Leistung – das wusste schon Dieter Nuhr – für viele nur noch etwas, was man beantragen kann, weil man einen sogenannten „Anspruch“ darauf hat. Einen „Anspruch“, den vor allem die Parteien links der Mitte erst formulieren, bevor sie sie anschießend die Gesellschaft damit erpressen. Leistung erbringen ist hingegen etwas für böse Turbokapitalisten und die sind bekanntlich nur zum Melken zu gebrauchen.

Von der stillen Enteigung der Bürger
Vernachlässigung der Infrastruktur wg. Zuwanderung
Die Frage, die sich jedoch abseits der Folgen einer immer neu generierten Anspruchshaltung, von Sinn und Unsinn eines derart aufgeblähten Sozialstaates ergibt, ist: Weshalb bekommt vor allem der Arbeitende für sein Geld so wenig Leistung? Weshalb zahlt der arbeitende Teil der Bevölkerung immer mehr Steuern- und Abgaben und hat trotzdem nicht das Gefühl, dass er dafür in irgendeiner Weise mehr Leistungen vom Staat bekommt? Weder steht ihm mehr zu, wenn er doch einmal arbeitslos werden sollte, noch hat er Aussicht auf eine angemessene Rente. Wohin fließt also all das Geld, das er Monat für Monat an den Staat ab geben muss? Die gleichen Fragen könnte man generell in Bezug auf das Steueraufkommen stellen. Weshalb verrotten unsere Schulen trotz Rekordsteuereinnahmem? Wieso müssen sich viele Menschen trotz guter Ausbildung und viel Arbeit am Ende des Tages Gedanken machen, ob sie sich Kinder jemals leisten können, während andere, die nicht arbeiten gehen, eines nach dem anderen in die Welt setzen, weil sie sich in der Gewissheit wiegen können, dass der Staat schon dafür aufkommt? Warum bekommt jemand, der gerade neulich seinen Fuß erstmalig über die Landesgrenze gesetzt und nie in diesen Topf eingezahlt hat, das Gleiche wie jemand, der sein Leben lang gearbeitet und dann in Hartz IV gerutscht ist? Ist das noch fair? Ist es das, was man unter „sozialer Gerechtigkeit“ versteht oder nur noch ein Wahnsinn, der sich aus dem Anspruch ergibt, dass doch alle gefälligst gleich zu sein haben? Ist das dann noch Liberalismus oder schon längst Sozialismus?

Möglich ist, dass Wolfgang Schäuble, der selbst mit Ministerposten und Abgeordnetendiät auf ein monatliches Einkommen von mehr als 26.000 Euro kommt (Nebeneinkünfte nicht mitgerechnet), auch deshalb den „gierigen“ Bürger zur Bescheidenheit ermahnt, damit er nicht auf die Idee kommt, genau diese Fragen zu stellen. Was eigentlich als Raubzug am Eigentum des arbeitenden Bürgers daherkommt, wird ihm so als Normalität verkauft. Es ist normal, will Schäuble sagen, dass Sie bis zum 12. Juli eines jeden Jahres ausnahmslos für den Staat arbeiten, genauso wie es normal ist, dass Sie von diesen Steuereinnahmen, die eigentlich dafür gedacht sind, dass Sie davon profitieren, nichts mehr wiedersehen. Dass sie stattdessen nicht nur an Leute fließen, die einfach nicht können, sondern immer öfter auch in Personen, die einfach nicht wollen. Die genau daraus ein Geschäftsmodell entwickelt haben. Wer das moniert, wer für sich reklamiert, dass seine Steuergelder auch ihm und seiner Familie, zum Beispiel durch Investitionen in die Zukunft Deutschlands, in Bildung und digitale Infrastruktur, zugute kommt, der ist eben gierig. Der sollte sich mal bewusst machen, so der Tenor, dass „Geld nicht alles ist“.

Blöd nur, dass man das niemandem abnimmt, der selbst auf dem Steuertopf hockt wie Dagobert Duck auf seinen Goldmünzen. Wie zynisch muss Schäubles Aussage auf jene wirken, deren Rente nach lebenslanger Arbeit nicht zum Leben reicht. Die in den Mülleimern nach Pfandflaschen suchen, während „Flüchtlinge“ und Glücksritter gleichermaßen mit Nike-Schuhen und Smartphone an ihnen vorbeiziehen.

Ein solch leistungsfeindliches System, das die belohnt, die nichts beitragen und die Leistungsträger abstraft, schafft über kurz oder lang seine eigenen Vorrausetzungen ab. Diese Entwicklung des Vollversorgerstaates, die Guido Westerwelle einst als „spätrömische Dekadenz“ bezeichnete, hat mit der Flüchtlingskrise noch einmal gravierend an Fahrt aufgenommen. Was so entsteht, ist ein immer leistungsfeindlicheres Klima, in dem der Arbeitende der Dumme ist. Das Problem für den Vollversorgerstaat ist hierbei, dass jedoch immer mehr nicht mehr dieser Dumme sein wollen. Dass wir bereits jetzt schon das erleben, was man gemeinhin „Brain Drain“ nennt. Ein Staat, der einfach nur Steuergeld umverteilt und nicht in Zukunft reinvestiert, der seinen Bürgern darüber hinaus ein immer größeres Maß an Unsicherheit, Kriminalität und Multi-Kulti-Albtraum mit Anhängern des radikalen Islams präsentiert, der ihnen kurzum nichts mehr für ihr Geld bietet, hat ein Attraktivitätsproblem. Das macht es auf Dauer immer schwieriger, jene zu halten, die aufgrund ihrer Bildung und Qualifikation die Chance haben, dorthin zu gehen, wo Leistung und Sicherheit noch etwas zählt.

Denn ja, für viele ist Geld verdammt wichtig. Es ist nicht „alles“, aber es ist das, was das „alles“ finanziert. Es entscheidet darüber, wie viele Kinder wir bekommen, welche medizinische Versorgung wir uns leisten können, ob und wo wir einen Urlaub verbringen, ob wir in einer Mietwohnung oder in einem Eigenheim mit Garten leben. Und vor allem entscheidet es darüber, wie viel wir auch bereit sind, jenen abzugeben, die vom Leben nicht so begünstigt wurden. Ein Sozialstaat, der hingegen nicht zwischen wirklich Leistungsberechtigten und solchen, die sich einfach in die soziale Hängematte legen, unterscheidet, entzieht sich selbst die Legitimationsgrundlage und damit die Bereitschaft der Bürger, dieses System zu tragen.

Aber vielleicht muss es genauso so kommen. Und wenn sich dann der Unmut derer, die vorher komfortabel vom Staat lebten, in den Straßen breit macht, könnte Wolfgang Schäuble auch ihnen noch einmal erklären, dass Geld nicht alles ist.