Tichys Einblick
Die etwas andere Sicht

Salzburger Festspiele 2018: Die Zauberflöte

Die Zauberflöte ist ein Renner an den größten Opernhäusern der Welt wie auch auf Provinzbühnen. Sie ist einfach zu gut, um zu enttäuschen. Sollte man meinen. Das nur schwer vorstellbare gelingt aber den Salzburger Festspielen.

BARBARA GINDL/AFP/Getty Images

Mozarts Zauberflöte ist ohne jeden Zweifel der hell leuchtende Stern eines Genies. Wer das musikalisch-technische Potential zu einer Aufführung mit auch nur ein bisschen Geschmack vereinigen kann, wird dieses Werk kaum an die Wand fahren können. Die Oper ist ein Renner an den größten Opernhäusern der Welt wie auch auf den Provinzbühnen. Sie ist einfach zu gut, um zu enttäuschen. Sollte man meinen. Das nur schwer vorstellbare gelingt aber den Salzburger Festspielen 2018. Durch Verschlimmbesserungen aller Art, brutale Eingriffe in das Werk und Fehlbesetzungen der Rollen schafft man es, Mozarts leuchtendes Gestirn in ein plump-fettiges Fastfood Produkt auf Mickymaus Niveau zu transformieren.

Wenn die Zauberflöte kritisiert wurde, dann immer wegen des Librettos von Emanuel Schikaneder. Die Geschichte ist von großer Schlichtheit und fällt selbstverständlich weit hinter die da Ponte Libretti zurück. In Salzburg reichte diese Schlichtheit selbst mit Hilfe der Texteinblendungen immer noch nicht aus. Nein, es bedurfte auch noch eines Großvaters, der den drei Knaben die Ge-chichte erzählt. Wie Jürgen Kesting in der FAZ richtig kommentiert, hat sich die Inszenierung ganz und gar dem Kinderverstand von Comic-Liebhabern angeschmiegt, jeden „höheren“ Sinn aber eskamotiert. Ziel der Aufführung ist offenbar, alles auszutreiben, was die Aura des Werks ausmacht: dass das Theater am Ende der Aufführung den „Goldtraum einer Societas humana“ (Ernst Bloch) beschwört.

Dass die Handlung von Opern immer in bestimmte Zeiten versetzt werden müssen, in die sie auch auf Teufel-komm-raus nicht hineinpassen wollen, ist mittlerweile im Regietheater Standard. Nach einem schon mal reichlich schief gegangenen Salzburger Rosenkavalier hat die Versetzung in die Zeit des ersten Weltkriegs nun leider die Zauberflöte erwischt. Wirkliche Kriegsbilder erscheinen aber nur in der Prüfungsszene als irritierende und mit der Handlung nicht im geringsten verbundene Video-Einblendungen, während der Rest der Oper von einer Tingeltangel slapstick Nummer in die nächste rauscht. Um das von Kesting angesprochene Infantilisierungsprogramm abspulen zu können, kann natürlich die Versetzung in die Zeit des ersten Weltkriegs nicht durchgehalten werden. Was würde denn das gaudi-lüsterne Publikum sagen? So kommt es, dass sich die Figuren in einem wüsten Durcheinander präsentieren müssen. Sarastro kommt daher, als wäre er als Dr. Mirakel Hoffmanns Erzählungen entsprungen. Tamino kommt mit einem lächerlichen aufgepappten Schnurrbart wie ein Operettensoldat der österreichisch-ungarischen Monarchie daher, während Pamina offenbar wieder einer ganz anderen Epoche entstammt. Sie sieht nämlich aus wie Alice Cooper, und man fragt sich, was für ein Bild von ihr Tamino (Dies Bildnis ist bezaubernd schön) gesehen hat, und wieso er nicht sofort nach der ersten Begegnung mit ihr die Flucht ergreift. Ebenso wie Pamina scheint auch der “Mohr” Monostatos eher einer Geisterbahn entsprungen zu sein. Weiß gepuderte Visage unter einer eisgrauen Stachelmähne. Von der Schikaneder’schen Originalfigur ist hier natürlich nichts mehr übrig geblieben. Die Erscheinung wäre eine Beleidigung für einen jeden wirklichen Mohren. Aber so einer kommt zum Glück gar nicht mehr vor. Weil die Zauberflöte ja bekanntlich ein rassistisches Stück ist (Originaltext: Alles fühlt der Liebe Freuden, schnäbelt, tändelt, herzt und küßt; und ich sollt‘ die Liebe meiden, weil ein Schwarzer häßlich ist! Ist mir denn kein Herz gegeben? Bin ich nicht von Fleisch und Blut? Immer ohne Weibchen leben, wäre wahrlich Höllenglut!) musste hier etwas umgestaltet werden. Aus dem Schwarzen wurde in Salzburg ein Diener (!): weil ein Diener häßlich ist. Generell macht das zwar ebenso wenig Sinn wie der Schikaneder Text, aber in Salzburg hat man sich immerhin bemüht, den aktuell auftretenden weiß-verschimmelten Monostatos aus der Rocky-Horror-Picture Show so scheußlich wie möglich zu halten.

Dass nicht alle Experten dem Gedanken einer rassen- und gendergerechten Umgestaltung unserer Klassiker folgen mögen, zeigt Tim Ashley, wenn er fragt: Yet are directors justified in attempting to rid The Magic Flute of all this? No, in my opinion. To get shot of Monostatos’s blackness, you effectively have to rewrite the opera for starters, and as a result The Magic Flute ceases to be The Magic Flute as Mozart imagined it, wanted it, and left it. No one in their right mind would con- template the comparable treatment of any of the Shakespeare plays that now present us with similar problems: a white Othello and a non-Jewish Shylock would, I suspect, be considered perverse, even by those who place themselves among the plays‘ detractors. So why on earth should we treat Mozart’s operas any differently? To examine and present his racism in a theatrical context should not, under any circumstances, be equated with condoning it.

Auf den Bühnen im deutschsprachigen Raum scheinen Bedenken dieser Art keine große Rolle mehr zu spielen. Wer vor gendergerechten Änderungen der Sprache und vor der Simplifizierung der ursprünglichen Sprache durch “leichte Sprache” nicht zurückschreckt, der wird wohl kaum Probleme damit haben, die musikalischen Werke unseres Kulturerbes dem Zeitgeist entsprechend “umzufrisieren”.

Leider finden sich in der Zauberflöte noch weitere Anstößigkeiten, die einen Schlag ins Gesicht der politisch korrekten und gendergestählt aufgeklärten Zuschauer darstellen. Junge Frauen dürfen hübsch, alte müssen hässlich sein. Wie kann man dieses Modell der Grausamkeit und Ungerechtigkeit noch weiter zulassen? Die in Salzburg vorgeführte, in ein altes Weib verwandelte, Papagena geht auf Stelzen und entlässt Staubwolken (!) aus ihrem Haar. Pfui und nochmal pfui! Wie konnte so etwas die Zensur passieren? Hier gilt es der Vernetzung mit weiteren Anti-Diskriminierungs- und sonstigen Befreiungsbewegungen (#Mefive?). Falls es zu einer Wiederaufnahme der aktuellen Inszenierung kommt, könnte man an mehreren wichtigen Stellen chirurgisch eingreifen und die Zauberflöte damit ernsthaft aufführungsrobust machen.

Opernfreunde der alten Schule erzittern ob dieser Perspektiven. Schlimm genug, sollte man nun denken. Aber es kommt noch dicker, wenn man sich die Besetzung der Salzburger Zauberflöte ansieht. Die Königin der Nacht, in hausbackenster Aufmachung, traf nur wenige der Spitzentöne. Man muss fairerweise einräumen, dass hier eine Einspringerin für die erkrankte Albina Shagimuratova gesungen hat. Man fragt sich allerdings auch, wieso sich Salzburg bei den exorbitanten Eintrittspreisen und dem ganzen Festspielrummel für solche Fälle keine erstklassige Riege von Ersatzsängern leisten kann. Matthias Goerne ist ein hochintelligenter Musiker und ein verdienter Liedinterpret des Stimmfachs Bariton, ihm aber die Rolle des Sarastro zu geben, grenzt an völliges Verasgen. Sarastro ist ein Bass, der v.a. in der Tiefe über ein großes Volumen verfügen muss: Franz Crass, Gottlob Frick, Josef Greindl, Matti Talvela, Matti Salminen waren Sänger, die das erfüllten.

Fanden sich für Salzburg keine vergleichbaren Stimmen? Kaum zu glauben. Wieso Matthias Goerne? Und wieso gibt der sich für so etwas überhaupt her? Besetzt man den Sarastro mit Matthias Goerne, könnte man die Rolle das nächste mal konsequenterweise gleich für Andreas Scholl oder Philippe Jaroussky neu bearbeiten. Im gegenwärtigen Rausch der Gendergerechtigkeit wäre das bestimmt ein Erfolgsgarant. Da der Respekt vor dem Werk sowieso nicht mehr gegeben ist, wie man an den Eingriffen in den Text und an der Zugesellung bzw. Weglassung von Rollen sieht, könnte man den Salzburger Weg nuancierter verfolgen und z.B. die Instrumentierung auf E-Gitarren, Synthesizer und Schlagzeug umstellen und Sängern mit schmäleren Stimmen ein Mikrofon umschnallen. Szenen umzustellen und etwa die Ouvertüre nach dem zweiten Akt zu spielen, hat sich, wie die Bayerische Staatsoper gezeigt hat, durchaus schon etabliert. Das Eis ist gebrochen. Wir dürfen uns daher noch auf viel Innovatives auf den Opernbühnen freuen.

Prof. Dr. Josef Bayer, Allgemeine und Germanistische Sprachwissenschaft, Universität Konstanz.