Tichys Einblick
Folgen des staatlichen Korporatismus

Rumstehen statt Vorstehen oder Defectum de Ducibus (Lat. Führungsversagen)

Die Verfilzung von Staat und Konzernen ermöglicht eine stille Komplizenschaft zwischen Unternehmen und Politik. Dienen, statt unverdiente oder durch Risikoabwälzung erschlichene Boni, Pflicht, statt Partydemokratiebraucht's. MEGA: Make Europe Great Again.

© AFP/Getty Images

Es ist eine wohlfeile Übung, der Politik – zu Recht – ein Versagen vorzuwerfen, wenn es um Gestaltung, Erhalt und Sicherung der freien und sozialen Marktwirtschaft geht, dem ökonomischen Grundpfeiler auf dem unsere politische Freiheit und demokratische Grundordnung seit 1948 ruht. Die Eliten befinden sich in einem Strudel an bürokratischer Anmaßung des Wissens von der Geldpolitik über die Energiewende, die Bankenregulierung bis zum Gestrüpp des Steuerrechtes und der Gesetzesflut aus Brüssel.

Es lohnt sich aber, über den politischen Tellerrand zu blicken und die Frage zu stellen, ob wir in Deutschland und Europa nicht ein viel breiteres Elitenversagen beobachten müssen, das diesem Abgrund an Planwirtschaft und Wegbereitung in die Knechtschaft erst Raum gegeben hat. Und leider ist es da tatsächlich so, dass die Werteerosion in den Führungsetagen der Konzerne sich als die Planierraupe betätigt, die es der mit der Anmaßung nicht vorhandenen Wissens befallenen Bürokratie überhaupt erst ermöglicht, ihre freiheitsfeindlichen Konzepte, Normen und Verirrungen durchzusetzen.

Immer der böse Kapitalismus!
Korporatismus – ein zunehmendes Übel
Man kann dabei ein sich wiederholendes Muster beobachten, bei dem die Eliten aus Politik und Management Hand in Hand das Desaster vorbereiten. Zuerst schafft man perverse Anreize für die wirtschaftlichen Führungseliten, sich unter Verletzung bewährter Werte zu bereichern. Die Verfilzung von Staat und Konzernen ermöglicht dabei eine stille Komplizenschaft zwischen Unternehmen und Politik. Ein Musterbeispiel dafür war die Bestellung eines weiblichen Vorstands (Nicht: Vorständin, es heißt ja auch nicht Vorständer) aus der Politik bei Volkswagen. Ein Vorgang, der gleich mehrere Quotenziele abarbeitete: Die Frauenquote, die Vertretung einer politischen Richtung (hier: SPD) im staatsbeeinflussten Konzern und die Quote der Aktionärsausbeutung durch die Auszahlung einer Abfindung nach dem offenbaren Versagen der Kandidatin ein knappes Jahr nach Amtsantritt, die mit 12 Mio. Euro etwa 300 Jahresgehältern eines VW-Fließbandarbeiters entsprach. Dass die Frau für Ethik und Compliance zuständig war, gibt dem Ganzen eine Note der Verrottung durch Verspotten der hart arbeitenden Menschen, die dieses Geld erwirtschaften müssen.

Aus kleinen Verfehlungen werden dann langsam immer größere, bis sich das Übel seinen Weg an die Oberfläche bahnt und ein wirtschaftliches Desaster erzeugt.

Dann kommen erst eine Phase des Leugnens durch das Management, ein ambivalentes Changieren der Politik und schließlich der Moment, in dem die Feinde der marktwirtschaftlichen Ordnung Ihre Chance erkennen, den jakobinischen Furor als Chefankläger des „Systems“ zu entfesseln. Die Politik flüchtet sich in eine „rette-sich-wer-kann“ Haltung und findet in der freien Wirtschaft im Allgemeinen und der betroffenen Industrie im Besonderen den Sündenbock ihrer Wahl.

Verhängnisvolle Staatsanreize

Das ist der Augenblick, in dem eine „Wende“ verkündet wird (davon verstehen wir etwas in Deutschland) und schuldbewusst dreinschauende Manager in Talkshows antreten, um sich dem Ritual stalinistisch-maoistischer Selbstbezichtigung zu unterwerfen. Es ist dieser Minsky-Moment der Kaufmannsethik, der dann dem Desaster der Planwirtschaft den Weg bereitet. Denn ab hier ist das desavouierte Management nur noch Statist bei der Umsetzung der ideologisierten Ziele links-grüner Bauart, die ihre staatsplanwirtschaftlichen Richtungsvorgaben auch noch ungestraft und allen Ernstes als marktwirtschaftlichen „Strukturwandel“ unters Volk bringen dürfen.

Das konnte man bei der Finanzkrise mustergültig beobachten. Statements der Unterwürfigkeit unter den Primat der Politik in Verbindung mit der Beobachtung, dass „sich kein Politiker mehr mit uns Bankvorständen vor der Kamera zeigen möchte“ werden garniert mit dem Schweigen von Managern, die sehr wohl um das Desaster wissen, in dessen Vorbereitung sie eingebunden sind.

Das Vorbereitungsmuster entsprach übrigens genau dem, was wir jetzt in der Autoindustrie sehen können. Erst schaffte der Staat Anreize zur Selbstbereicherung. Basis dafür ist das Aktienrecht, bei dem man in nachgerade unfassbare Weise die Eigentumsrechte von den Eigentümern abgetrennt und an eine Kaste sich selbst optimierender Manager abgetreten hat. Diese Ursünde wider den Geist der Marktwirtschaft, die sich im Grunde vor allem aus den Rechten am Eigentum definiert und erhebt, ist sozusagen der Mord am Schleusenwärter.

Unternehmerbild an Schulen
Das ewige Stereotyp vom kapitalistischen Ausbeuter
Dann erzeugte man durch viele große und kleine Eingriffe in die Funktionsfähigkeit der Märkte die Anreize, ja oft sogar den Zwang, Entscheidungen zu treffen, die die Banken in ihrer Tragfähigkeit aushöhlten und sie zugleich zu Erfüllungsgehilfen politischer Ziele machten. Man zwang die Banken in den USA zur Kreditvergabe an nicht kreditwürdige Hauskäufer („Clinton Community Reinvestment Act“), schützte die Ratingagenturen durch maximale Marktzutrittsbarrieren vor Konkurrenz (Securities and Exchange Commission), kurbelte künstlich den Verbriefungsmarkt an (Freddie Mac und Fannie Mae) und fand in den staatseigenen Landesbanken willige Käufer dieses mit Hilfe marktfremder Eingriffe gemischten toxischen Gebräus. Die schlauen Banker und Investmentbanker, die den Trend der Staatseingriffe verstanden hatten, sahen darin eine Gelegenheit, ihre Boni in astronomische Höhen zu treiben und zu Lasten ihrer Arbeitgeber, der Aktionäre, abzukassieren. Das Muster wiederholte sich im LIBOR-Skandal, wo man ein System etablierte, das „die Beteiligten zur Manipulation eingeladen hat“, wie später ein Kommissionsbericht lapidar feststellte. Eine Einladung die der selbstverliebte Alt-68er und seine Adepten des Wertenihilismus nicht ausschlagen konnten.

Die Leistungsfiktion im modernen Wohlfahrtsstaat
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Jetzt also die Autoindustrie. Die Symbiose mit der Politik hat erst dazu geführt, dass eine Diskussion über die technische Umsetzbarkeit der immer enger werdenden Abgasvorgaben zu Kosten, die der Verbraucher noch bezahlen kann, überhaupt nicht mehr stattfand. Von Ihrer Erfüllung hingen aber Umsatz und Boni des Top-Managements ab. Also verfiel man auf das Tricksen. Man bürdete dem Eigentümer, also dem Aktionär damit ein Risiko auf, das dieser bei Transparenz und klarem Verstand nicht eingegangen wäre. Ganz genauso wie die Trader in den Banken mit Geld zockten, das ihnen nicht gehörte. Der eigentlich komplett unschuldige Aktionär ist am Ende der, der dann die Zeche zahlt. Ökonomische Blindgänger, wie der Grüne Özdemir, dessen aufgesetzte staatsanwaltlich anklagende Körperhaltung, Gestik, Mimik und Sprache mir jedes Mal fast eine Zwerchfell-Zerreißung provozieren, halten das dann auch noch für „verursachungsgerecht“. Der resultierende Verlust der ethischen Integrität vor den Augen der Öffentlichkeit schiebt schließlich die ganze Branche als möglichen Verteidiger der Marktwirtschaft beiseite. Und es ist sicher kein Zufall, dass diese Katastrophe in einen Konzern ihren Ausgang genommen hat, der wie kaum ein anderes Unternehmen in Europa dem staatlich-gewerkschaftlichen Korporatismus frönt, eine staatliche Sperrminorität bei den Aktienanteilen ertragen und per Spezialgesetzgebung („Volkswagengesetz“) diesem Aktionär Sonderrechte einräumen muss.
68er Philosophie der Beliebigkeit

Was treibt diese Handlungsweise an? Ich wage die These, dass es eine Werteerosion ist, die sich durch unsere gesamte Führungselite hindurchzieht und die die Manifestation der 68er Philosophie der Beliebigkeit („erlaubt ist was gefällt“) in Verbindung mit der Zielerreichung des Marschs durch die Institutionen (Dutschke) ist. Wo früher Kaufmannsehre, in christlich-jüdischem und aufklärerischem Weltbild wurzelnde Moral und ein Ethos des Dienens und des leistungsgerechten Verdienens herrschte, regiert heute im Namen des vergötzten Ich die ungebremste Gier, die sich von der Leistung emanzipiert hat. Dass die Grenze der eigenen Freiheit in dem Respekt vor dem Rechten der Anderen liegt, wird von dieser Art quasireligiöser Individualismus-Anbetung ausgeblendet. Auch der Umstand, dass dieses Verhalten zum Totengräber der Freiheit wird, findet keine Kenntnisnahme. Wer braucht Freiheit, wenn er reich sein kann und das ohne eigene Leistung und eigenes Risiko?

Die Hochglanzprospekte der „Corporate Social Responsibility“, kurz CSR, sind eben nicht in der Lage, Rückgrat zu ersetzen, wo keines da ist. Die Ethik-Kurse im Rahmen der MBA-Programme nehmen diese Wertebeliebigkeit als gegeben an und hin. Ergebnis: Sie bringen ihren Empfängern wohl eher bei, wie weit sie gehen können, und ab wo sie sich besser nicht mehr erwischen lassen sollten und verschwenden wertvolle Lernkapazität mit Gender Gleichheitsgrundsätzen und feministischen Quotenregeln, die im Multiple Choice Verfahren solange angeklickt werden müssen, bis die politisch korrekte Antwort über den gesunden Menschenverstand gesiegt hat.

Ehrbarer Kaufmann statt Korporatismus

Marktwirtschaft braucht tradierte Werte. Und man kann es nicht oft genug betonen: Das sind die Werte des ehrbaren Kaufmanns, dessen Handschlag etwas gilt, es sind die Werte des Dienens und Verdienens, und es sind die Werte des verfassungspatriotischen Staatsbürgers, der bei aller Selbstoptimierung nicht das Gemeinwohl aus dem Blick verliert. Dieses Gemeinwohl besteht nicht primär in Umverteilung und Sozialstaat, sondern vor allem darin, die Marktwirtschaft, die uns die Möglichkeit gibt, wirtschaftlich erfolgreich zu sein, vor Missbrauch und Erosion zu schützen. Dann hat Marktwirtschaft auch die Kraft, sozial zu sein.

Man kann jedem Menschen die Freiheit zugestehen, sich seine Werte selbst auszusuchen, aber nicht jeder Wertekanon macht auch eine Gesellschaft erfolgreich. Die Beliebigkeit der Werte kann das nicht. Eine Gesellschaft hat daher nicht die Freiheit, sich ihre Werte beliebig auszusuchen, wenn sie Erfolg und Bestand haben will. Falsche Werte werden vom evolutionären Prozess, dem auch die Gesellschaften unterliegen, aussortiert.

Ergebnis der Verirrung in dieser Beliebigkeit: Manager, die Weltkonzerne führen sollen, stehen wie die begossenen Pudel bei Weltmeisterschaften fürs dumm Rumstehen vor der Kamera, bar jeder Glaubwürdigkeit und haben nicht mehr den Mut, der sich abzeichnenden Planwirtschaft, die als „Wende“ verkauft wird, aber eine sozialistische Halse ist, mehr entgegenzusetzen als ein „Mea Culpa“ und ein „wir bessern uns“. Defectum de ducibus. Folgen statt Führung.

Wer das ändern will, muss die Wertedebatte führen, gegen den 68er Konsens, gegen die politische Korrektheit, gegen die Beliebigkeit. Dienen, statt unverdiente oder durch Risikoabwälzung erschlichene Boni, Pflicht, statt Partydemokratie ist die Devise. MEGA: Make Europe Great Again.