Tichys Einblick
Grüner Filz in Berlin

Rechnungshof weist Stadtrat Verschwendung nach – Ermittlungen trotzdem eingestellt

Einem grünen Stadtrat wird vom Rechnungshof bescheinigt, den Steuerzahler durch rechtswidrige Amtsführung eine mindestens sechsstellige Summe zu kosten. Die Staatsanwaltschaft des grünen Justizsenators weigert sich trotzdem, weiter zu ermitteln. Ein Lehrstück über die politisierte Justiz der Hauptstadt.

Wohnungsbaustadtrat Florian Schmidt

imago images / Seeliger

Filz ist ein interessanter Stoff. Die natürliche Variante besteht aus Wolle oder anderen Tierhaaren, für die künstliche Variante kommen die unterschiedlichsten Fasern in Frage. Immer werden die Materialien so bearbeitet, dass sie schließlich nicht mehr voneinander zu lösen sind.

Das wird noch wichtig. Nur ein klein wenig Geduld, vertrauen Sie mir.

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„Unsere Juristen müssen begreifen, dass der Staat und das von ihm geschaffene Recht dazu dienen, die Politik von Partei und Regierung durchzusetzen.“
(Walter Ulbricht – Rede im April 1958)

Der Berliner Stadtbezirk Kreuzberg ist für die Grünen so ein bisschen das, was für die Sozialdemokraten (Gott hab‘ sie selig) früher einmal das Ruhrgebiet war: die Herzkammer der Bewegung.

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Noch zu Mauerzeiten siedelten sich hier besonders viele westdeutsche „Alternative“ an – vor allem schwäbische Wohlstandskinder, die weder Wehrdienst noch den damals üblichen Zivildienst leisten wollten (beides gab es im geteilten Berlin wegen des Vier-Mächte-Status nicht). Kreuzberg wurde also früh von Menschen geprägt, die sich vor ihren gesellschaftlichen Pflichten zu drücken wussten.

Das Prinzip der politischen Gravitation besagt, dass Gleiches vor allem Gleiches anzieht. Entsprechend wurde Kreuzberg zu einer Hochburg der Grünen. 2002 holte hier im Wahlkreis der ehemalige RAF-Anwalt Hans-Christian Ströbele das deutschlandweit erste Direktmandat seiner Partei für den Bundestag.

Nach der Wiedervereinigung gab es eine Gebietsreform, seitdem heißt der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Das ist etwas lang, um es auf Twitter oder bei WhatsApp auszuschreiben (23 Buchstaben, ein Satzzeichen). Deshalb haben die ortsansässigen Hipster das Kürzel „Xhain“ erfunden (fünf Buchstaben, kein Satzzeichen). Die Orthografie bereitet manchen trotzdem noch Probleme, nicht selten wird fälschlicherweise ein „E“ verwendet (wie in „Hein Blöd“).

Aber hey, dit is‘ Berlin, wa, und wir ham 2020, oda?

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Jedenfalls pflegen die Grünen im Bezirk diese Tradition: „Hier war (…) schon immer alles ein bisschen anders – und wir arbeiten dafür, dass es auch so bleibt.“ 

Auf der Internetseite des grünen Kreisverbandes Xhain posiert dessen Vorstand vor einem Plakat. Darauf steht: „Die Häuser denen, die drin wohnen“. Das klingt nicht nur nach Enteignung der Vermieter, das ist auch so gemeint.

Seit 2015 gilt bundesweit eine Mietpreisbremse. Allerdings hat sie auch nach mehreren Nachbesserungen ihren Zweck, die Mietpreise zu bremsen, weitgehend verfehlt. Die Grünen in Friedrichshain-Kreuzberg haben deshalb erst ihre gesamte Hauptstadt-Partei auf Linie gebracht – und dann mit deren Hilfe für Berlin die deutschlandweit radikalste lokale Regelung durchgesetzt: den sogenannten Mietendeckel. Die Folgen sind verheerend, vor allem für die Mieter: In der Hauptstadt ist die Zahl der angebotenen Mietwohnungen in nur zwölf Monaten um sagenhafte 25 % eingebrochen. Kleinvermieter gehen pleite; Häuser verrotten, weil für Modernisierungen kein Geld mehr da ist; und statt mehr Wohnraum ist weniger verfügbar.

Eine Hauptstadt entleibt sich
Berliner Trio infernale: Lompscher, Behrendt, Schmidt
Der grüne Wunschtraum von einer sozialistischen Wohnungswirtschaft führt also schon nach wenigen Monaten – nun ja, eben in das Elend einer sozialistischen Wohnungswirtschaft. Entsprechend schnell und heftig wächst der Widerstand: nicht nur bei den großen Immobilienunternehmen, denen etwa die Hälfte aller Mietwohnungen in Berlin gehört; sondern vor allem bei den zahllosen Kleinvermietern, denen die andere Hälfte gehört und von denen jetzt viele vor dem Ruin stehen – dank Mietendeckel und auch ganz ohne Corona,

Von der Realität lassen sich echte Ideologen aber nicht beeindrucken. Entsprechend trotzig und trotzkistisch reagiert der Senat aus SPD, SED/PDS/Linker und B‘90/Grünen: Man plant jetzt, ein paar hunderttausend Wohnungen zu verstaatlichen.

Galionsfigur der hauptstädtischen Immobilienenteigner war zunächst Bausenatorin Katrin Lompscher von der SED/PDS/Linken. Sie musste aber zurücktreten, weil sie mehrere Jahre lang Einkünfte aus anderen öffentlichen Ämtern nicht – wie vom Gesetz vorgeschrieben – an die Landeskasse zurückzahlte (ein Berliner Senator darf keinerlei bezahlte Nebentätigkeit ausüben). Ups.

Jetzt wird Berlins Verstaatlichungsfraktion von Florian Schmidt angeführt. Der hat zwölf Jahre lang Soziologie studiert und ist in Friedrichshain-Kreuzberg hauptamtlicher Baustadtrat – für die Grünen Xhain, die (wir erinnern uns) dafür arbeiten, dass da alles ein bisschen anders bleibt.

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Und Schmidt ist anders.

Er setzte sich dafür ein, dass besetzte Häuser trotz entsprechender Gerichtsurteile nicht geräumt wurden. In seiner Verwaltung wurden deshalb Beschwerden laut, auf Beamte, die sich an Recht und Gesetz halten wollten, sei unmoralischer Druck bis an die Grenze zum Mobbing ausgeübt worden.

Schmidt gab auch zu, gewählten Bezirksverordneten Akten vorenthalten zu haben – damit, wie er selbst sagte, die Inhalte nicht von politischen Konkurrenten „instrumentalisiert“ und von Medien „zur politischen Agitation genutzt“ werden. Die Akten betrafen einen Vorgang, der sich als Schmidts bisher größtes – und für den Steuerzahler teuerstes – Missmanagement herausstellte: den Skandal um die „Diese eG“.

Die Genossenschaft sollte mit Schmidts ausdrücklichem Segen Wohnungen aufkaufen und günstig vermieten. Leider war sie klein und, nun ja, chronisch klamm. Um den schönen Plan mit der „Diese eG“ trotzdem umsetzen zu können, ließ Schmidt sein Bezirksamt bei sechs Wohnhäusern ein Vorkaufsrecht geltend machen – später sollte die Genossenschaft die Häuser dann übernehmen.

Damit ging Friedrichshain-Kreuzberg ein Haftungsrisiko in Höhe von 27 Millionen (!) Euro ein: Das sind knapp vier Prozent des gesamten Jahreshaushalts des Bezirks. Das hätte vermutlich weder der Haushaltsbeauftragten noch dem Rechtsamt gefallen. Vorsichtshalber – und gegen alle Vorschriften – verzichtete Schmidt also darauf, die beiden Stellen vor seiner Entscheidung zu konsultieren.

Ob die kleine „Diese eG“ finanziell überhaupt dazu in der Lage war, die Häuser zu übernehmen, ließ der Baustadtrat auch nicht richtig prüfen. Überraschung: Die Genossenschaft war es nicht und ging an der ganzen Transaktion fast pleite. Am Ende blieb der Bezirk, Schmidt sei Dank, auf Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 270.000 Euro sitzen.

Berlins Landesrechnungshof stellte dazu in seltener Deutlichkeit fest, Schmidt habe gegen wichtige Vorschriften verstoßen, pflichtwidrig gehandelt und dem Steuerzahler dadurch einen mindestens sechsstelligen Schaden verursacht.

Ein klarer Fall für den Staatsanwalt also? Denkste.

Die Staatsanwaltschaft Berlin hat ihre Ermittlungen gegen den grünen Stadtrat mit der Rechtsstaats-Allergie schneller eingestellt, als man im Roten Rathaus „Filz“ rufen konnte. Zwar bestehe der Verdacht auf Haushaltsuntreue – Schmidts Pflichtverstöße seien aber „nicht erheblich genug“. Den vom Rechnungshof nachgewiesenen und detailliert erläuterten Schaden will die Staatsanwaltschaft auch nicht erkennen.

Womit wir bei einem Herrn namens Dirk Behrendt wären.

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Das ist Berlins Justizsenator. Der hat in seiner noch gar nicht so langen Amtszeit die Gefängnisse der Stadt so heruntergewirtschaftet, dass mittlerweile Verbrecher aus dem ganzen Bundesgebiet geradezu darum betteln, in Berlin einsitzen zu dürfen – denn nirgendwo kann man so leicht ausbrechen wie hier.

In einem einzigen Knast (Plötzensee) machten sich sogar innerhalb von fünf Tagen gleich neun Gefangene aus dem Staub. Berlins Knackis witzeln nur noch über das „Haus der offenen Tür“. Für einen Rücktritt, gar seinen eigenen, sah und sieht Behrendt aber keinen Grund.

Er will sich weiter um sein Lieblingsprojekt kümmern: eine Broschüre mit dem schönen Titel „Leitfaden für Mitarbeitende der Berliner Verwaltung zum diversitysensiblen Sprachgebrauch“. Darin wird Berlins Staatsdienern aufgelistet, wie sie fortan sprechen – und vor allem: nicht mehr sprechen – sollen. Auszug:

  • Asylbewerber sind jetzt „Schutzbedürftige“
  • Ausländer sind jetzt „Einwohnende ohne deutsche Staatsbürgerschaft“
  • illegale Einwanderer sind jetzt „undokumentierte Migrantinnen und Migranten“
  • Wirtschaftsflüchtlinge sind jetzt „Arbeitseinwander*innen“
  • Menschen mit Migrationshintergrund sind jetzt „Menschen mit internationaler Geschichte“
  • Schwarz fahren heißt jetzt „Fahren ohne gültigen Fahrschein“
  • anschwärzen heißt jetzt „denunzieren“
  • Geschlechtsumwandlung heißt jetzt „Geschlechtsangleichung“
  • „Sie fühlt sich als Junge“ heißt jetzt „Sie ist ein Junge“
  • „Sie war früher ein Mann“ heißt jetzt „Sie wurde bei der Geburt männlich eingeordnet“.

Das ist kein Witz. Damit beschäftigt sich federführend der Berliner Justizsenator, während ihm die Häftlinge so schnell aus den Gefängnissen ausbrechen, als handele es sich um eine neue Völkerwanderung.

Richtig befehlen kann Behrendt sein Neusprech nicht, das geben die deutschen Gesetze (noch) nicht her. Aber wer nicht mitmacht bzw. mitspricht, bekommt Probleme. Bei der Polizei (die gerade in Berlin sonst ja auch gar keine anderen Sorgen hat) wird heute bereits vermerkt, wer Begriffe benutzt, die die internen Sprachzensoren nicht mehr als korrekt betrachten. Wer vermeintlich unpassend redet, muss beim Vorgesetzten zum Rapport und wird nach oben gemeldet.

Auch Behrendt versteht keinen Spaß. In seiner Verwaltung können viele ein Lied davon singen, und nicht nur eines. Widerspruch, auch juristisch begründeten, duldet der Herr nicht. Wer nicht entsprechend seiner politischen Vorgaben handelt oder auch nur dem politischen Ansehen des Senators schadet, dem werden auch schon mal Ermittlungsverfahren entzogen.

Das glauben Sie nicht? Sollten Sie aber. Da gab es zum Beispiel eine Serie von Straftaten gegen Menschen aus der linken Szene im Bezirk Neukölln. Mehrere Staatsanwälte ermittelten – gründlich und tadellos nach Ansicht der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, aber nicht nach Ansicht von grün-linken Aktivisten.

Den Aktivisten kam dann, wie günstig, ein Gerücht (!) zu Hilfe: Zwei verdächtige Rechtsextreme (!!) sollen (!!!) über einen der Staatsanwälte gesagt haben, dass er nach eigenen Angaben der AfD nahestehe und man von ihm nichts zu befürchten habe. Nun ist es nichts Besonderes, dass Verdächtige versuchen, Ermittler in Misskredit zu bringen. Der Betroffene hat den Vorwurf auch entschieden dementiert.

Das hilft im Einflussbereich des grünen Justizsenators aber nicht. Der betreffende Staatsanwalt und einer seiner Kollegen, der ebenfalls mit den Fällen befasst war, wurden in andere Abteilungen versetzt. Das Ermittlungsverfahren ging publikumswirksam (Kampf gegen Rechts und so) an die Generalstaatsanwaltschaft. Das passiert, wenn man sich im Berlin des Dirk Behrendt an Recht und Gesetz hält und sich dem eigenen Amtseid womöglich mehr verpflichtet fühlt als den politischen Zielen des Senators. 

In Berlin trägt Justitia keine Binde über beiden Augen mehr, sondern nur noch eine Klappe über dem linken.

Im Berlin des grünen Justizsenators Behrendt lässt man die Staatsanwaltschaft auch gegen den Vorsitzenden der größten Oppositionspartei ermitteln – und beantragt dafür sogar beim Bundestag die Aufhebung von dessen Immunität.

Worte wichtiger als die Wirklichkeit
Berliner SPD diskutiert Verbot des Begriffes „Clan-Kriminalität“
Der Chef der Hauptstadt-CDU, Kai Wegner, hatte im Oktober ein Konzept zur Bekämpfung der Clan-Kriminalität vorgestellt. Als PR-Gag ließ er dafür einen gemieteten Lamborghini mit falschen Einschusslöchern bekleben, auf einer Neuköllner Hauptstraße parken und kurz darauf unter den Augen der Medienvertreter abschleppen. Das Kennzeichen des gerade auch bei Zuhältern und Drogenhändlern beliebten Flitzers hatte man mit dem Fantasie-Kürzel B-YE BYE bedrucken lassen.

Und jetzt ermittelt Berlins Staatsanwaltschaft gegen Berlins CDU-Vorsitzenden ernsthaft wegen „Beihilfe oder Anstiftung zum Kennzeichenmissbrauch“. Dieselbe Berliner Staatsanwaltschaft, wir erinnern uns, ermittelt aber nicht mehr gegen den grünen Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg wegen Haushaltsuntreue.

Zweierlei ist das Berliner Maß.

Die Staatsanwälte der Hauptstadt sind, wie in allen Bundesländern, weisungsgebunden – und ihre Karriere hängt sowieso von der politischen Führung ab. Im Berliner Justizapparat weiß man, was passiert, wenn man den Chef verärgert, siehe oben.

Ach ja: Justizsenator Dirk Behrendt kommt aus – richtig: Friedrichshain-Kreuzberg.

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Es gibt aber auch eine gute Nachricht. Sofern er aus organischen Fasern hergestellt wurde – und das ist in Berlin ja eindeutig der Fall – handelt es sich beim Filz um ein Naturprodukt, das biologisch abbaubar ist.

Das müsste den Grünen eigentlich gefallen.

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