Tichys Einblick
Von wegen Solidarität

Deutschland beschweigt den islamistischen Terror in Frankreich

Der islamistische Anschlag in Rambouillet wird in deutschen Medien sehr wenig thematisiert – und von den Spitzen der deutschen Politik ignoriert. Während unser Nachbarland erschüttert ist, dringt aus Berlin kaum ein Signal der Solidarität. Im Gegensatz dazu: Sebastian Kurz.

Trauerfeier für das Opfer des Anschlags in Rambouillet am 26. April 2021, im Vordergrund die beiden Töchter der Ermordeten.

IMAGO / IP3press

Nun ist offiziell, was in Deutschland nur wenige interessiert. „Es handelt sich um ein islamistisches Attentat“, sagte der französische Innenminister Gérald Darmanin. Am 23. April hat in der Kleinstadt Rambouillet Jamel G. der Polizeimitarbeiterin Stéphanie M. zweimal mit einem Messer in die Kehle gestochen und dabei „Allahu Akbar“ (Gott ist groß), gerufen. TE berichtete darüber. Der Attentäter warf dann sein 32 cm langes Messer auf andere Polizisten, bevor er von einem von ihnen erschossen wurde. Das Opfer, eine 49-Jährige Mutter von zwei Kindern, starb noch am Unfallort. Bei dem Täter handelt es sich um einen 37-Jährigen Tunesier, der 2009 illegal nach Frankreich kam. Er war nicht vorbestraft und den Sicherheitsbehörden nicht bekannt. Nach TE-Informationen schaute sich der Täter zuvor islamistische Propagandavideos an. Die Behörden hatten ihm 2020 eine Aufenthaltsbescheinigung  ausgestellt, nachdem er sich über zehn Jahre illegal im Land aufhielt, und ohne seine Person zu überprüfen.

Die Gleichgültigkeit der Medien

ISLAMISTISCHER TERRORVERDACHT
Messerattacke auf Polizeimitarbeiterin nahe Paris
Öffentliche Aufmerksamkeit, geschweige denn ein Diskurs über dieses grausame Attentat existiert in Deutschland nahezu nicht. Die meisten deutschen Medien übernahmen die Meldungen der Deutschen Presse Agentur (dpa). Auch ZDF und ARD war das Attentat nur kurze Nachrichtenmeldungen wert. Keine deutsche Talkshow beschäftigte sich mit dem Anschlag.

Es war der 17. islamistische Angriff seit 2014 auf Sicherheitskräfte in Frankreich. Seither sieht sich Frankreich mit einer Welle von islamistischen Anschlägen konfrontiert, die insgesamt mehr als 260 Todesopfer forderte. Doch von den sonst so gerne geäußerten Rufen nach europäischer Solidarität war in deutschen Medien wenig zu vernehmen. Der Spiegel kritisiert stattdessen, dass sich französische Politiker nun in ihren Positionen Marine Le Pen annähern: „Es ist, als ob der Anschlag von Rambouillet über Nacht einen bisher noch ernst zu nehmenden Teil der politischen Klasse radikalisiert hätte. Rationalität spielt in dieser Diskussion nur noch eine untergeordnete Rolle.“ Nicht die Gefahr des islamistischen Terrors steht im Zentrum des Interesses der Spiegel-Korrespondentin, sondern „die Gefahr eines rechtspopulistischen Siegs“ bei den nächsten Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Ähnlich der Tenor in der Süddeutschen Zeitung: „Sofort nutzt die Rechtsextreme Marine Le Pen den Mord für Vorwürfe an die Regierung.“

Die Ignoranz der deutschen Bundesregierung

Doch die Ignoranz ist noch größer in der deutschen Politik. In der Regierungspressekonferenz am 26. April teilte Regierungssprecher Steffen Seibert zwar das Entsetzen der Bundesregierung über die Brandkatastrophe in Bagdad mit, aber kein Wort zu Rambouillet. Er wurde von den Journalisten auch nicht darauf angesprochen. Weder von Bundeskanzlerin Angela Merkel noch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier oder Außenminister Heiko Maas oder Innenminister Horst Seehofer waren bisher öffentliche Äußerungen zu dem Anschlag zu vernehmen. Auch nicht in der Notiz des Bundespräsidialamts zum Besuch Steinmeiers bei Präsident Macron am 26. April, also nur drei Tage nach dem Anschlag. Für Geburtstagsgrüße an den Künstler Markus Lüpertz dagegen fanden Steinmeiers Presseleute Zeit und Raum. Heiko Maas twitterte am 23. April über die Eröffnung eines neuen Kanzleigebäudes der deutschen Botschaft in Belgrad und am Tag darauf zweifach über #allesdichtmachen. Kein Wort zu Rambouillet!

Das ist eine Blamage für Deutschland. Während der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wenige Stunden nach dem Attentat via Twitter seine Solidarität gegenüber Frankreich ausdrückte und betonte, dass der islamistische Terrorismus eine Bedrohung für uns und die europäische Lebensweise ist, schwieg die deutsche Spitzenpolitik. 

Die Spitzen Deutschlands haben diesen neuen islamistischen Anschlag auf Europa vollkommen ignoriert, obwohl schon in der Präambel des Grundgesetztes der Wille Deutschlands festgeschrieben ist: „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.“ Dies ist bereits die Ankündigung des Verfassungsauftrages: In Art. 24. bekennt sich das Grundgesetz zu einer „friedlichen und dauerhaften Ordnung in Europa zwischen den Völkern und der Welt.“

Die Ignoranz gegenüber Rambouillet offenbart: Die deutsche Regierung will offenbar nur dabei zusehen, wie ihre europäischen Partner und Verbündeten gegen einen gefährlichen Islamismus ankämpfen – indes Deutschland selbst auf dem Weg ist, einem Alltagsislamismus ausgeliefert zu sein. 

Islamismus gefährlicher als Pandemie

In dem Moment, in welchem Angela Merkel ganz auf ihre Corona-Politik fixiert scheint, nennt der französische Innenminister Gérald Darmanin den Islamismus „die größte Gefahr“, trotz der schweren Gesundheitskrise. Ganz Frankreich ist seit dem neuen Anschlag erneut in großer Trauer, Wut und Angst versetzt. Vor allem Polizisten rufen vermehrt dazu auf, dass die französische Regierung endlich wirksame Maßnahmen gegen den Islamismus einleitet. Die Polizisten in Frankreich wollen endlich Mittel, welche deren Sicherheit verbessert. 

Gegenüber der Zeitung Le Journal du Dimanche kündigte der Innenminister an, dass Frankreich sich für echte Kontrollen an den EU-Außengrenzen einsetzen will. Frankreich will dazu die EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2022 für eine grundlegende Reform der Freizügigkeitsregeln im Schengenraum nutzen. Die Regierung stellte am Mittwoch einen Gesetzentwurf zum verschärften Anti-Terror-Kampf sowie neue Möglichkeiten für die Geheimdienste vor. Die Bedrohung durch islamistischen Terror bleibe sehr hoch, sagte Premierminister Jean Castex nach der Regierungssitzung. Da es sich in letzter Zeit bei den Tätern „um Einzelne gehandelt habe“, welche dem Geheimdiensten zuvor unbekannt gewesen seien, stelle dies eine schwierige Bedrohung da, weshalb der Stadt und die Justiz mit verstärkten Mitteln ausgestattet werden müssen. 

Ministerin kündigt Sanktionen an
Frankreich: Ehemalige Generäle warnen vor einem Bürgerkrieg
Der Gesetzentwurf sieht die bessere Überwachung von Terrorverdächtigen im Netz vor und die Verlängerung der Überwachung von Menschen, die wegen Terrordelikten im Gefängnis saßen. So sollen „Aussteiger“ mit hoher Rückfallgefahr bis zu fünf Jahre überwacht werden können. Dies betrifft ungefähr hundert Häftlinge. Ziel ist es vor allem, mit neuen Technologien „Schritt zu halten“, da immer seltener SMS oder normale Telefonleitungen verwendet werden. Darmanin teilte mit, dass neun aufeinander folgende Angriffe erfolgten, die nicht mit bestehenden Mitteln entdeckt werden konnten, „wir sind weiterhin blind“. Die Mörder von Samuel Paty und der Frau in der Basilika in Nizza, hätten nicht per Telefon mit ihren Partnern kommuniziert, sondern mit verschlüsselten Nachrichten oder in Facebook.

Der Geheimdienst könnte mit dem neuen Gesetz Rasterfahndungen über das Internet betreiben. Die Überwachung per Algorithmus, die in Frankreich seit 2015 teilweise erlaubt ist, könnte dann festgeschrieben werden. Die Abstimmung über das Gesetzt erfolgt noch vor Ende Juli erfolgen. 

Frankreich in Solidarität – Bilder, die man in Deutschland nicht kennt

Es entstehen derzeit Bilder in Frankreich, die man aus Deutschland in diesem Maße bei islamistischen Anschlägen kaum kennt. Drei Tage nach dem Anschlag versammelte sich am Montag eine große, schwarz gekleidete Menschenmenge vor dem Rathaus der Gemeinde in Rambouillet, um die getötete Stéphanie M. zu ehren. Es sind bewegende Bilder. Mehrere hundert Menschen müssen es gewesen sein, die bei der abgehaltenen Zeremonie anwesend waren. „In allen Herzen ist eine Flamme ausgegangen. Stéphanie wurde während ihres Dienstes feige ermordet, weil sie ihr Leben anderen widmete“, sagte die Bürgermeisterin Véronique Matillon. 

Gleichzeitig fanden an mehreren Polizeistationen und Gendarmerien in ganz Frankreich Versammlungen zu Ehren von Stéphanie statt. Allein in Bordeaux müssen es über hundert Polizisten gewesen sein, die vor dem Hauptpolizeirevier ihre getöteten Kollegin ehrten. Dass die Beamten sich vor die Gebäude stellten, war auch ein symbolischer Akt; sie wollten damit zeigen, dass Polizisten, die für die Sicherheit der Bevölkerung sorgen, im Visier des islamistischen Terrorismus stehen.

Besonders der französische Präsident teilte öffentlich sein Mitgefühl, seine Solidarität und seinen Beistand mit. Emmanuel Macron besuchte ein paar Tage später persönlich die Familie. Bereits wenige Stunden nach dem brutalen Attentat, eilten sofort Innenminister Darmanin und Premierminister Jean Castex zum Tatort. Castex betonte ohne zu zögern „allen Franzosen“ gegenüber, wie groß seine Entschlossenheit sei, den Terrorismus in all seinen Formen zu bekämpfen. Am Samstag wird der Präsident sogar auf der privaten Beerdigung von Stéphanie anwesend sein. Unmittelbar nach dem Anschlag versicherte Macron via Twitter: dass die Regierung im Kampf „gegen den islamistischen Terrorismus“ keinesfalls nachgeben werde.

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