Tichys Einblick
Risiken des Selbstbestimmungsgesetzes

Wachsende Skepsis gegen Pubertätsblocker und Transgender-Operationen

In mehreren europäischen Ländern regt sich Kritik an der Erleichterung der Geschlechtsveränderung bei Kindern und Jugendlichen mit Medikamenten und operativen Eingriffen. Dort hat man negative Erfahrungen gemacht, die wohl mit dem Selbstbestimmungsgesetz auch in Deutschland bevorstehen.

IMAGO/Christian Ohde

Seit einigen Jahren steigt die Zahl der Teenager, die ihr Geschlecht ändern wollen, rasant an. Der „Trans-Hype“, der vor allem junge Mädchen in der Pubertät betrifft, ist aber kein deutsches Phänomen – die Zahl dieser Jugendlichen hat sich in der ganzen westlichen Welt in nur wenigen Jahren um den Faktor 40, also um 4.000 Prozent, gesteigert. Es geht also nicht um ein paar hundert verwirrte Teenager, sondern um viele Tausende junge Menschen, vor allem in Europa und Nordamerika, die von Politik und Medien zunehmend ermutigt eine völlig irreversible Entscheidung treffen. Denn: Nicht nur in Deutschland schafft man sukzessive alle Hürden ab, um den Geschlechtswechsel nicht nur bürokratisch, sondern auch per Skalpell zu ermöglichen. Und doch gibt es inzwischen ein paar Länder, in denen sich zunehmend Bedenken breit machen.

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In Deutschland hat die Ampel-Regierung in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten, dass sie das bislang bestehende Transsexuellengesetz durch ein sogenanntes „Selbstbestimmungsgesetz“ ersetzen möchte. Was erst einmal sympathisch klingt, hat erhebliche Folgen: Laut Koalitionsvertrag (Seite 119) soll es ein „Verfahren beim Standesamt“ geben, „das Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand grundsätzlich per Selbstauskunft“ ermöglicht. Dann benötigt man keine psychiatrischen Gutachten mehr, die den Leidensdruck und den dauerhaften Änderungswunsch belegen. Das Fatale: Auch 14-jährige Kinder sollen selbst gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Eltern bürokratisch ihr Geschlecht wechseln können.

Die Änderung des Personenstandes ist in vielen Fällen aber nur der erste Schritt, dem medikamentöse und operative Maßnahmen folgen. Die Kosten für solche Operationen sollen laut Koalitionsvertrag künftig verpflichtend von der Krankenkasse übernommen werden. Das wirft die Frage auf, ob die bisherigen Voraussetzungen einer mindestens sechsmonatigen Psychotherapie und eines anschließenden Gutachtens über noch immer bestehenden Leidensdruck damit entfallen.

Laut dem Queer-Beauftragten der Bundesregierung, Sven Lehmann (Bündnis 90 / Die Grünen), sollen die Eckpunkte des neuen Gesetzes noch vor der parlamentarischen Sommerpause stehen. Andere Länder sind schon einen ganzen Schritt weiter.

In Schweden hat das Sozialministerium im November des letzten Jahres einen neuen Gesetzesentwurf eingebracht, der eine rechtliche Geschlechtsänderung im nationalen Bevölkerungsregister ab 12 Jahren ermöglichen soll. Kinder benötigen dann nur noch die Zustimmung ihres Vormunds – Untersuchungen und die Kontaktaufnahme zu Gesundheitsbehörden entfallen völlig. Das neue Gesetz ist ein weiterer Versuch der schwedischen Regierung, die bestehenden Regelungen über die Geschlechtszugehörigkeit zu „modernisieren“ – zuletzt war die sozialdemokratische Regierung 2018 mit einem noch radikaleren Vorhaben gescheitert: Die Altersgrenze für Operationen – also völlig irreversible Eingriffe, bei denen Brüste, Gebärmutter, Hoden und Schwellkörper amputiert werden – sollte auf 15 Jahre herabgesetzt werden – und das, ohne dass die Jugendlichen das Einverständnis ihrer Eltern oder ihres Vormundes benötigen würden. Im Entwurf war außerdem vorgesehen, dass ab dem Alter von 15 Jahren auch keine Zustimmung mehr für die Personenstandsänderung vonnöten gewesen wäre.

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Das Vorhaben ist wegen der massiven Kritik der Rechtsbeistände gescheitert. Die Altersgrenze für geschlechtsangleichende Operationen bleibt in Schweden bei 18 Jahren – auch wenn davon auszugehen ist, dass in Schweden wie in Deutschland in Einzelfällen auch Minderjährige die Genehmigung für die lebensverändernden Maßnahmen erhalten.

Schweden gilt als eines der liberalsten, beziehungsweise radikalsten Länder in Sachen Transgenderpolitik weltweit. Und doch hat sich im letzten Jahr etwas geändert: Das Karolinska-Universitätsklinikum gab eine Grundsatzerklärung heraus, in der angekündigt wurde, dass ab Mai 2021 keine pubertätshemmenden Medikamente oder gegengeschlechtlichen Hormone mehr an Minderjährige ausgegeben werden. Die Klinik warnte davor, dass die Behandlungen irreversibel negative und nicht ausreichend untersuchte Folgen haben. Schwedens Nationales Gremium für Gesundheit und Wohlfahrt ist dem Beispiel der Karolinska inzwischen gefolgt und hat ein entsprechendes nationales Richtlinienupdate herausgegeben.

Die Karolinska war damit die erste weltweit renommierte Universitätsklinik, die sich vom international angewandten „Dutch Protocol“ distanzierte – einer Leitlinie, die sich an zwei niederländischen Studien mit nur 55 Teilnehmern orientiert. In den Studien wurde festgestellt, dass die Gabe von Pubertätsblockern zu einer Reduzierung von Verhaltens- und emotionalen Problemen sowie depressiven Symptomen führte. Deshalb wird die medikamentöse pubertätshemmende Behandlung ab einem Alter von 12 Jahren (bei Mädchen unter Umständen schon ab 8 Jahren) und die mit gegengeschlechtlichen Hormonen ab 16 Jahren empfohlen. Das schwedische Klinikum wies diese Behandlungsrichtlinie als rein experimentelle und nicht ausreichend wissenschaftlich abgesicherte Methode zurück – und steht damit inzwischen nicht mehr alleine da.

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Auch in Finnland und Großbritannien wird die Vergabe dieser Medikamente inzwischen nicht mehr empfohlen – während in Deutschland das medikamentöse Aufhalten der Pubertät noch als „wertvolle gewonnene Bedenkzeit“ stilisiert wird. Und zwar ohne dabei zu beachten, was die Gabe dieser Medikamente für die Kinder-Patienten bedeutet: Pubertätsblocker und Hormone beeinträchtigen die Zunahme der Knochendichte, die Hirnentwicklung und können zu Unfruchtbarkeit führen. Und: Sie beeinträchtigen die Libido – wie aber soll ein Jugendlicher ohne sie zu seiner Sexualität finden und sich mit ihr auseinandersetzen?

Laut Alexander Korte, Oberarzt an der „Poliklinik für Kinder- und Jugend-Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie“ an der Uniklinik München, besteht bei einem Großteil der Minderjährigen ohne „die frühzeitige Weichenstellung durch Einleitung einer Hormonbehandlung“ eine reelle Möglichkeit, dass der Trans-Wunsch im Laufe der Pubertät überwunden werden könnte. Laut ihm lag der Anteil derjenigen, die auch nach der Pubertät bei dem Wunsch nach körperverändernden geschlechtsangleichenden Maßnahmen blieben, „bei 15 bis 20 Prozent“. Seit Pubertätsblocker gegeben werden, „liegt er bei nahezu 100 Prozent“.

Während in Deutschland neben Korte nur wenige Mediziner und Psychologen den „Trans-Hype“ in Frage stellen, wandten sich in Frankreich im vergangenen Jahr mehr als 50 Mediziner, Psychiater, Pädiater und Psychologen gemeinsam mit prominenten Feministinnen, Philosophen, Juristen und Soziologen in einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit. Sie wollten nicht länger schweigen und weigerten sich, unter dem Deckmantel der „Selbstbestimmung“ den starken Anstieg der Forderungen nach Geschlechtsumwandlungen bei Jugendlichen zu legitimieren. Als negatives Beispiel, vor dem man sich in Frankreich hüten sollte, nannten sie in diesem Zusammenhang Schottland. Dort soll nun jedes Kind mit Eintritt in die Grundschule (das heißt ab 4 Jahren) das Recht haben, ohne Zustimmung der Eltern seine „geschlechtliche Identität“ selbst zu bestimmen und auszuleben.

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Damit treibt Schottland die Gender- und Transideologie weiter voran, während der englische Nachbar nach dem Skandal um die Londoner Tavistock Klinik etwas zurückruderte. An der Klinik wurden Tausende Geschlechtsumwandlungen an Minderjährigen durchgeführt – 2019 meldeten sich dann mehrere Angestellte mit massiven Vorwürfen zu Wort: In dem an die Klinik angedockten »Gender Identity Development Service« (GIDS) würden Kinder und Jugendliche fehlbehandelt und erhielten viel zu schnell Pubertätsblocker. Innerhalb von drei Jahren verließen 35 Psychologen die Klinik, weil sie die Vorgänge nicht mehr mit ihrem „beruflichen Ethos und Gewissen“ vereinbaren konnten. Hinzu kam eine Welle an Klagen von Betroffenen, die ihre Geschlechtsumwandlung bereuten und sich von der Klinik nicht beraten, sondern getrieben, gefühlt hatten.

Ein bekannter Fall ist die inzwischen 24-jährige Keira Bell, die man nicht nur mit Pubertätsblockern und Hormonen behandelte, sondern der man mit nur 16 Jahren auch die Brust amputiert hatte – sie gewann den Gerichtsprozess gegen die Klinik und bekam vom High Court Recht, dass Jugendliche „mit größter Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage (seien), die Tragweite und Risiken der Einnahme von Pubertätsblockern zu erfassen und ihre Zustimmung dazu zu geben“. Das Urteil stellte fest, dass vor der Behandlung mit den wenig erforschten Medikamenten kurzzeitig die Genehmigung eines Gerichts einzuholen sei – aber es wurde in der zweiten Instanz wieder gekippt.

Nichtsdestotrotz regt sich in England Widerstand gegen den Trans-Hype. Ein Äquivalent des von der Ampel geplanten deutschen Selbstbestimmungsgesetzes, das 2020 eingeführt werden sollte, wurde nach massiven Protesten gekippt. Premierminister Boris Johnson wagte es im April gar, sich gegen die Gleichbehandlung von Transfrauen und Frauen im öffentlichen Leben auszusprechen: „Ich finde nicht, dass biologisch männliche Personen bei Sportturnieren für Frauen antreten sollten.“ Solch eine Aussage wäre im heutigen Deutschland wohl der mediale und politische Todesstoß. Im Gegensatz zu Norwegen macht man sich mit solchen und ähnlichen Aussagen aber zumindest (noch) nicht strafbar. Dort drohen einer Feministin wegen Hassrede aktuell bis zu drei Jahre Gefängnis, weil sie Tweets absetzte, die in Frage stellten, dass ein Mann eine lesbische Frau sein könnte. Bereits ein Jahr zuvor war ein Mann wegen angeblicher Beleidigung und „Missgendern“ in Norwegen zu 21 Tagen Haft und einer Zahlung von 15.000 Norwegischen Kronen verurteilt worden.

Während also in Deutschland das künftige Selbstbestimmungsgesetz die Gefährdung psychisch angeschlagener Jugendlicher noch weiter vorantreiben könnte, treten zumindest Schweden, Finnland und Großbritannien teilweise wieder auf die Bremse. Konservative Staaten in den USA gehen sogar noch einen Schritt weiter. In Arkansas und Alabama wurden Gesetze verabschiedet, die transsexuellen Jugendlichen den Zugang zu geschlechtsangleichenden Medikamenten verbieten. Der Generalstaatsanwalt von Texas will Hormontherapien, Pubertätsblocker und Geschlechts-Operationen sogar als eine Form des Kindesmissbrauchs einstufen lassen.