Tichys Einblick
Der oberste Richter als Aktivist

Präsident des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle kritisiert Seehofer und Dobrindt

Die Gewaltenteilung und die Verpflichtung des höchsten deutschen Gerichts zu politischer Neutralität kümmern Voßkuhle, protokollarisch fünfter Mann im Staate, offenbar nicht.

SEBASTIAN GOLLNOW/AFP/Getty Images

Andreas Voßkuhle (54) mag ein hochkarätiger Rechtsgelehrter sein. Das Amt des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), das er seit 2010 ausübt, hat er nun aber beschädigt. Beschädigt hat er auch sich selbst, denn zumindest beim Zuwanderungsthema muss er jetzt als befangen gelten. Man stelle sich vor, im Zusammenhang mit der Zuwanderungsproblematik müsste er in dem vom ihm geleiteten BVerfG-Senat aufgrund einer Verfassungsklage urteilen! Oder man stelle sich – rein virtuell – vor, die bayerische Landesregierung würde wegen der Grenzöffnung von 2015 doch noch nach Karlsruhe gehen, wie die CSU dies ja im Herbst 2015 für geraume Zeit zumindest angedroht hatte.

Was ist geschehen? Voßkuhle hat sich in einem Interview mit der „Süddeutschen“ in die Zuwanderungsdebatte eingemischt und den Sprachwart à la Georg Orwells „Wahrheitsministerium“ (dort schön zweideutig abgekürzt als „MiniWahr“) gegeben. Ohne ihn namentlich zu benennen, bezeichnete der BVerG-Präsident Horst Seehofers im Februar 2016 geprägten Begriff „Herrschaft des Unrechts“ als „inakzeptabel“. Den Begriff „Anti-Abschiebeindustrie“, den CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt benutzt hatte, wies Voßkuhle ebenfalls zurück, indem er meinte: „Wer rechtsstaatliche Garantien in Anspruch nimmt, muss sich dafür nicht beschimpfen lassen.“

Da ist – wohl von der „Süddeutschen“ dazu aufgefordert – der Gaul mit Voßkuhle durchgegangen. Natürlich wurde im Herbst 2015 geltendes nationales und internationales Recht in vielfältiger Weise gebrochen. Hans-Jürgen Papier, Voßkuhles Vorgänger als BVerfG-Präsident, und der frühere Verfassungsrichter Udo di Fabio warfen der Bundeskanzlerin bereits im Januar 2016 in der „Flüchtlingskrise” fortgesetzten Rechtsbruch und Missachtung des Parlaments vor. Deren Gutachten hätte sich Voßkuhle zu Gemüte führen sollen, ebenso das Buch „Die Herrschaft des Unrechts“, mit dem der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau wegen anhaltender Rechtsbrüche hart mit der Kanzlerin ins Gericht geht.

Voßkuhle kümmerte das nicht. Die Gewaltenteilung und die Verpflichtung zumal des höchsten deutschen Gerichts zu politischer Neutralität kümmern ihn offenbar auch nicht. Und schon gar nicht kümmert ihn, dass er sich hier von einer „Süddeutschen“ vor den Karren spannen ließ: von einer „Süddeutschen“, deren zentrales und konzertiertes Anliegen es zu sein scheint, in Bayern mit Blick auf die Landtagswahlen vom 14. Oktober 2018 einen Regierungswechsel herbeizuschreiben. Daran mitzuwirken gehört sich nicht für den protokollarisch fünften Mann im Staate.

Man muss nicht alle Äußerungen Horst Seehofers der letzten Jahre unterschreiben und gutheißen, aber dass Seehofer als Innenminister und damit zugleich als „Verfassungsminister“ nun zurückschlägt und Voßkuhle daran erinnert, dass er keine „Sprachpolizei“ sei, ist nur zu verständlich.